Meine ersten Assoziationen waren körperlich auszehrende Chemotherapien, die mein Haar ausfallen lassen würden und von denen ich mich ständig übergeben würde, sowie eine Liste von anderen Nebenwirkungen, die wirklich einschüchternd klangen. Klar war für mich, dass ich diesen Weg nicht alleine würde gehen können. Und dass dies auch nicht der Fall sein würde, war mir ebenso vom ersten Moment klar.
Der Kampf gegen den Krebs lässt sich nicht alleine bestreiten. Es benötigt eine Armada von unterschiedlichen Personen, die an medizinischer, pflegerischer, emotionaler und psychischer Front zusammen mit mir kämpfen. Zuerst musste ich jedoch lernen, um Unterstützung zu bitten und Hilfe anzunehmen. Für mich als durchweg selbstständige Person, die am liebsten immer alles alleine bewältigt, war dies gar nicht so einfach.
Soziales Umfeld
Die Unterstützung durch mein soziales Umfeld war ein entschiedener Game Changer in meinem gesamten Therapieverlauf. Allein die Reaktionen und der Zuspruch, den ich in der ersten Zeit nach der Diagnose erhalten habe, waren bewegend und hat den Grundstein für meine positive Einstellung gelegt, die ich an kaum einem Tag im Verlauf meiner Krankheit abgelegt habe. Überhaupt zu sehen, wie viele Menschen aus Vereinen, der Gemeinde und meinem Ehrenamt hinter mir stehen, aufrichtig Anteil nehmen, die Daumen drücken und für mich beten, gibt mir enorm viel Kraft und Motivation. Denn die Diagnose war nicht nur aus medizinischer Sicht beängstigend, sondern auch aus sozialer. Während der Alltag meiner Freunde und Familie weiterging, hatte ich das Gefühl, dass bei meinem gerade die Pausetaste gedrückt wurde. Alles drehte sich nur um die Krankheit. Pläne schmieden, sich frei bewegen, war auf einmal nicht mehr möglich. Stattdessen: Isolation im Krankenhaus, limitierte Besuche und ein Tagesablauf, der allein durch Essenszeiten und den Durchlauf von Infusionen strukturiert ist. Dadurch, dass mich meine Freunde trotzdem mit ihren Alltagsproblemen und kleinen Dramen „belasten“, geben sie mir ein Stück Normalität, Teilhabe und das Gefühl gebraucht zu werden.
Kontaktliste ausmisten
Gleichzeitig lernte ich auch, Prioritäten zu setzen – was an erster Stelle meine Genesung und meine Gesundheit ist – und mich deshalb von Dingen und Personen zu distanzieren, die dieser im Wege stehen. Dazu gehören auch Menschen, die meiner positiven Einstellung durch mitleidige Blicke, Zweifel oder Negativität im Weg stehen. Mir ist die Schwere und Ernsthaftigkeit meiner Krankheit zwar bewusst, vom körperlichen Empfinden habe ich sie aber nie auf diese Weise wahrgenommen und sie stattdessen mit Humor und jeder Menge Selbstironie angenommen. Daher wollte ich an meinem Krankenbett auch nur die Besucher, die mich weiterhin wie Kerstin behandeln, nicht wie die Krebspatientin.
In so einer Ausnahmesituation erkennt man, wen man zu seinen „echten“ Freunden zählen kann und wer doch nur „gute Bekannte“ sind. Denn es gab auch einige Menschen, deren Umgang mit meiner Erkrankung mich enttäuscht haben, weil sie sich auf einmal kaum noch gemeldet haben, wohingegen sie vor der Erkrankung fast täglich geschrieben oder gefragt haben, wie es mir geht. Auf der anderen Seite sind einige Freundschaften und Beziehungen enger und intensiver geworden. Weil trotz allem Optimismus und positivem Denken eine gewisse Verlustangst im Hinterkopf lauerte, hat das dazu geführt, dass die Kommunikation eine tiefere Ebene erreichen konnte, in der Gefühle und Sorgen viel ehrlicher und direkter angesprochen wurden. Dadurch, dass ein spontanes Vorbeischauen nicht möglich war, wurde für Besuche und Videoanrufe viel bewusster Zeit genommen, sodass für tiefgründige Gespräche mehr Raum war als im Alltagstrott.
In guten Händen
Medizinisch kann ich mich wirklich glücklich schätzen, in einer Klinik gelandet zu sein, deren onkologische Abteilung einen phantastischen Ruf genießt. Doch medizinisches Fachwissen ist nur die halbe Miete. Denn so kompetent meine Ärzte auch alle in ihrem Fachbereich sind, hat nicht jeder Arzt die Fähigkeit, den individuellen Menschen hinter der Patientenakte zu sehen und entsprechend empathisch und menschlich zu kommunizieren. Umso dankbarer bin ich für die Ärzte, die mir mit dieser Fähigkeit begegnet sind, mir die Hand gehalten, mich getröstet, mir Mut und Selbstvertrauen zugesprochen haben, als mir die Haare ausfielen oder während des 24 Stundendienstes einfach zum Quatschen und auf einen Schokoriegel ins Zimmer gekommen sind. So habe ich während der gesamten Therapie nie vergessen, wie mir eine der Oberärztinnen bei meiner Ankunft in der Notaufnahme die Hand gehalten und mir versichert hat: „Frau Barton, Sie sind hier um geheilt zu werden.“ Diese Aussage hat mich wie ein Versprechen durch die ganze Therapie begleitet.
Eine besondere Herausforderung war für mich Mangel und Flüchtigkeit von Interaktion und Kommunikation. Stundenlange Telefonate können ein Face-to-Face Gespräch nicht ersetzen. Die körperliche Distanz, die ich aus Sorge vor einem Infekt zu meinen Mitmenschen behielt, der Besuch, der nie ohne Maske und Schutzkittel das Zimmer betreten durfte, Berührung immer nur von Latexhandschuhen, nie von Haut auf Haut. All das war für mich persönlich schlimmer zu bewältigen als die reinen Chemotherapien. Ständig versuchte ich, die Pflegekräfte, die gerade im Zimmer waren, in Gespräche zu verwickeln, für die sie eigentlich keine Zeit hatten. So wurden sie mit zu meinen engsten Kontakten, hatten sie in den Wochen, die ich im Krankenhaus verbrachte, auch die größte körperliche Nähe zu mir. Als ich Weihnachten dann die onkologische Station verlassen konnte, in dem Wissen, dass ich im neuen Jahr auf der Stammzellenstation aufgenommen werden würde, konnte ich meine Dankbarkeit an die Pflege gar nicht richtig zum Ausdruck bringen, weil ich von meinen Emotionen so übermannt wurde, dass wir uns einfach nur weinend in den Arm nahmen. Seltsam wie sehr Menschen, die einem nur flüchtig begegnen und die für einen sorgen, weil es ihr Job ist, so schnell ans Herz wachsen können.
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