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Kommentar: Krankenversicherung – die kranke Versicherung?

Das deutsche Sozialversicherungssystem kommt immer stärker unter Druck. Die gesetzliche Krankenversicherung hat es besonders schlimm erwischt. Seit 1990 ist der durchschnittliche Beitragssatz von 12,78 Prozent des Einkommens auf 14,67 % zuzüglich des Zusatzbeitrags von nochmals 2,5 bis 2,9 Prozent, also insgesamt mehr als 17 Prozent, angestiegen. Ein Kommentar über die Frage, ob die Krankenversicherung nicht selber krank ist?

Der Verbandschef der gesetzlichen Krankenversicherungen, Oliver Blatt, warnt bereits für 2026 vor Zusatzbeiträgen von durchschnittlich mehr als 3 %. Das wird wohl so kommen, obwohl die Bundesregierung bereits ein Sparpaket verabschiedet hat, das die Verwaltungskosten und die Aufwendungen für Krankenhäuser senken soll. Besser wird es wohl nicht wieder werden, denn die Menschen werden immer älter und die Entwicklung medizinischer Gerätschaften und neuer Medikamente wird immer teurer. Immerhin: Die Lebenserwartung in Deutschland ist seit 1990 für Männer von knapp 72 Jahren auf jetzt fast 79 Jahre und für Frauen von damals knapp 79 auf heute 83,5 Jahre angestiegen. 

Vorschläge zur Rettung der Krankenversicherung beziehen sich allzu oft auf Kostenverschiebungen

Viele Vorschläge, die im Raum stehen, wie etwa der vom Arbeitgeberverband, man solle die Mitversicherung der Ehepartner streichen und diese sollen selbst einen Krankenkassenbeitrag zahlen, bedeuten keine Kostensenkung, sondern eine andere Art der Finanzierung. Alle Nachbarländer Deutschlands mit Ausnahme der Schweiz und Frankreichs kennen übrigens auch die Mitversicherung von Angehörigen.

Ein weiterer Punkt wären die Beiträge für Flüchtlinge, Asylbewerber und Bürgergeldempfänger. Viele sind der Ansicht, der Bund würde keine kostendeckenden Beiträge zur Krankenversicherung bezahlen und die restliche Versichertengemeinschaft wäre mit entsprechenden Beitragserhöhungen konfrontiert. Sollte dies der Fall sein, und der Zuschuss des Bundes zur Krankenversicherung nicht ausreichen, um diese Kosten zu decken, sollte die Bundesregierung hier nachbessern. Denn es handelt sich hier um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, nicht eine, die nur die Gemeinschaft der gesetzlich Versicherten betrifft.

Zudem sollte geprüft werden, ab wann Einkommen beitragsfrei gestellt werden und wie hoch der Beitrag der privaten Krankenversicherungen zur flächendeckenden Infrastruktur der Gesundheitsfürsorge ist. Zurzeit sind Einkommen von mehr als 63.900 Euro im Jahr nicht mehr beitragspflichtig.

Dies wären die wesentlichen Ansatzpunkte zur Kostenverschiebung. Hinsichtlich Gerechtigkeitsüberlegungen wären sie durchaus bedenkenswert. Auch ein geringerer Beitragssatz wäre grundsätzlich möglich, was auch zu einer höheren Beschäftigung führen könnte, weil die Kosten für Arbeit geringer wären.

Richtige Kostensenkungen sind schwierig durchzusetzen, aber machbar.

Wenn von Kostensenkungen die Rede ist, richtet sich der Blick zunächst auf die Verwaltungskosten. Nicht zu Unrecht. Nach einer Studie der Unternehmensberatung Deloitte können die gesetzlichen Kassen allein durch die Digitalisierung und die Optimierung ihrer Prozesse Kosten zwischen 8 Milliarden und 13 Milliarden pro Jahr einsparen, was in etwa 0,4 bis 0,7 Prozentpunkten des Beitragssatzes entspricht. Auch das Konzept, die Anzahl der Krankenhausbetten zu reduzieren und eine Spezialisierung der Krankenhäuser zu fördern, ist in jedem Fall richtig. In den anderen Ländern Europas gibt es längst nicht so viele Krankenhausbetten je 100 000 Einwohner wie in Deutschland. Zum Beispiel 766 in Deutschland und 190 im Wohlfahrtsstaat Schweden (Zahlen von DESTATIS). 

Ein weiterer Ansatzpunkt wäre auch die Wiedereinführung des Prinzips der Polikliniken, wie sie in der DDR bestanden hatten. Hier praktizierten Ärzte verschiedener Fachrichtungen, medizinisch-technisches Personal, Krankenschwestern und Therapeuten unter einem Dach, was Verwaltungskosten senkte und unnötige Mehrfachuntersuchungen vermied. Ein Behelf, wo Polikliniken nicht möglich sind, wäre zumindest die flächendeckende Einführung des Hausarztprinzips, um abgestimmte Therapien und medizinische Untersuchungen zu ermöglichen.

Möglich wäre es auch, Leistungen von der Krankenversicherung herauszunehmen, wie es bei Zahnersatz und Sehhilfen jetzt schon zum Teil der Fall ist. Leistungseinschränkungen wie etwa die Verweigerung von Hüftoperationen für die über 80-Jährigen haben aber immer auch eine ethische Komponente und sind schwierig zu begründen.

Leichter wäre es, auf Verhaltensänderungen der Versicherten hinzuwirken, um Krankheiten zu vermeiden und ein gesünderes Leben zu ermöglichen. Die Wahrscheinlichkeit, Krebs, Diabetes oder Herz-Kreislauferkrankungen zu bekommen, sinkt beträchtlich, wenn man sich täglich etwa eine halbe Stunde bewegt und sich etwas gesünder ernährt. Stichwort Mittelmeerdiät. Dort werden die Leute älter und bleiben länger gesund als in Deutschland, obwohl etwa in Spanien weniger Geld in das Gesundheitssystem gesteckt wird. 

Firmen und Krankenkassen sollten daher ermuntert werden, ihre Versicherten beziehungsweise ihre Belegschaften dahingehend zu unterstützen, mehr für ihre Gesundheit zu tun. Zum Beispiel durch die Bezuschussung von sportlichen Aktivitäten, Vorsorgemaßnahmen und Informationsveranstaltungen.

Auch im Bereich Gesundheit müssen sich die Bürger wohl auf eine größere Eigenverantwortung in ihrem Verhalten als auch auf höhere Aufwendungen für Vorsorge und Rehabilitationsmaßnahmen einstellen.

Ein Kommentar von Ulrich Lehmann. 


Kategorie: Analysiert

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