Der der Bundestrainer Berti Vogts konnte immer noch nicht mit Medien umgehen, es fehlte ihm die Nonchalance eines Beckenbauer. Die Mannschaft der Niederlande schied wieder mal unglücklich gegen den späteren Weltmeister, Argentinien aus. Diese Mannschaft spielte mit einem zauberhaften und witzigen Maradona spielte fantastisch. Die FIFA genehmigte ein Spielfeld in New York, welche die vorgeschriebene Größe nicht vorweisen konnte. Aber Deutschland schied nicht deswegen dort im Viertelfinale gegen Bulgarien aus.
Gewonnen hatte das Turnier Brasilien nach einem torlosen und trostlosen Endspiel im Elfmeterschießen gegen Italien. Statt fand es in der glühenden Mittagshitze im Roseball in Pasadena. Die Zeitverschiebung und die Zuschauer in Europa verlangten eine solch unsinnige Uhrzeit. Die Spieler Brasiliens widmeten den Sieg noch auf dem kürzlich zuvor tödlich in Imola verunglückten Ayrton Senna.
Italien ragte im Turnier auf ungewohnte Art heraus. Trotz drei Weltmeistertiteln, die ersten beiden unter Mussolini errungen, war die Mannschaft nie besonders originär im Erfinden einer Art Fußball zu spielen, zumindest was die Nationalmannschaft betraf. Der berühmte Catenaccio, eine auf Verteidigung beruhende Strategie, war eine Erfindung eines Argentiniers, Helenio Herrera, und wurde vom Grande Inter Mailand Anfang der 60er gespielt. Ende der 80er und frühen 90er tat sich Spektakuläres statt. Protagonist war Arrigo Sacchi. Ein Fussballspieler mit der Apologie «»I never realised that in order to become a jockey you have to have been a horse first.». Er brachte den Vereinsfussball mit einem technisch versierten offensiven Stil auf eine neue Stufe. Ort des Geschehens war Mailand und zwar bei dem Verein AC Milan, der im Besitz eines gewissen Silvio Berlusconi war. Die Titanen des Fussballs der Niederlande wie Gullit, van Basten oder Rijkaard waren dort unter Vertrag. Mit diesen und einigen Italienern lies Sacchi Offensivfussball spielen, der wie auf Knopfdruck chirurgisch präzise daherkam. «Gli Immortali» waren geboren. Der Nachfolger Capello führte das Werk ab 91 noch einige Zeit fort, nachdem Sacchi zum Nationalverband wechselte. «Das alles geschah im damaligen Nabel der Fussball Welt, Italien mit dem Inter des Lothar Matthäus und dem SSC Neapel von Diego Maradona. Selten gab es solche Qualität in einer Liga. AC war Primus ínter pares und gewann auch die Champions League die damals noch Cup der Landesmeister hieß.
Über die Untaten des Il Cavalieri Berlusconi muss man nicht berichten, seine Verwicklung in organisiertes Verbrechen, seine halbseidenen Fernsehshows und seine Tätigkeit als Politiker waren stilbildend. Einen Gegenspieler hatte er in Romano Prodi, der perfekt den seriösen Wirtschaftsprofessor aus Bologna und den EU Kommissionsvorsitzenden gab und sich immer auf Fahrrad Ausflügen anrufen ließ – ab einer bestimmten Körperfülle ist Radfahren durchaus sinnvoll zu Schonung der Gelenke.
Das alles beiseitegelassen als Fussballkenner – Berlusconi war sogar mal als Trainer erfolgreich tätig und redete immer wieder dem Trainer beim AC rein mit dem Ziel, offensiver zu spielen «Vincere e convincere» hatte er mit dem AC eines der genialsten Konstrukte im Vereinsfussball geschaffen
Der italienische Fussballverband verpflichtete Sacchi, der dann ab 91 ähnliches wie beim AC Milan es versuchen sollte. Dummerweise waren die Protagonisten beim AC Milan Niederländer. Wer konnte sie ersetzen?
Protagonist dieses Spiels in der Nation Mannschaft wurde ein gewisser Roberto Baggio, Spieler bei Juventus Turin, dem Verein der Agnellis, zuvor für immenses Geld aus Florenz losgeeist. Er war ein von den Göttern der Fussballtechnik gesegneter, offensiver Mittelfeldspieler, eine fast ätherische Erscheinung und gläubiger Buddhist. An diesem Roberto Baggio hing das Schicksal Italiens, leider hatte er sich im Halbfinale leicht verletzt, eine Verletzungsanfälligkeit war ein Thema, wobei in der zweiten Halbzeit im Halbfinale Italien vs. Bulgarien der Schiedsrichter relativ gnädig gegen Italien war. So musste er sich etwas oft im Sturm aufhalten und nicht mit größerem Radius zwischen Mittelfeld und Sturm.
Das Spiel war torlos und trostlos und endete im Elfmeterschiessen. Die Schützen auf beiden Seiten waren schwach, die der Italiener noch weit schwächer. Den letzten Elfmeter, als Italien schon im Rückstand war, jagte er wie weiland Uli Hoeneß 1976 in den Nachthimmel von Belgrad, diesmal in den glühend heißen Mittagshimmel über Pasadena. Eine Tragödie vor dem Herrn. Roberto zeigte Würde, kein Geschrei, kein Drama von ihm, nur ein leichtes Versunkensein mit geneigtem Kopf.
Ich erinnere mich noch an die Sonntagspredigt des Vertretungspfarrers im Sommer, als er sein leichtes Mitgefühl für die italienische Mannschaft u Sacchi durchklingen ließ. Ich war entsetzt. Wie kann man für Italien Sympathie empfinden, wenn gleichzeitig Berlusconi Ministerpräsident ist. Wie immer lag ich falsch. Es hatten diesmal wirklich die schlechteren gewonnen.
Dafür hatte das politische Feuilleton der 90er gewonnen. Berlusconi war nicht Weltmeister. Der Gegenentwurf internationaler Politik wie Bill Clinton strahlte noch -der Star Report war noch nicht draussen. Und dass in Russland ein notorischer Säufer den Präsidenten gab, die Mode grauslich war wie auch die Filme wie Romeo und Julia mit Leonardo DiCaprio oder Titanic. Wobei vielleicht ist Before sunrise der Robert Baggio des Films der dann in before sunset noch viel mehr Fahrt aufnimmt.
Wie immer rettet die Ästhetik. Schauen Sie sich Roberto Baggio und sein Tor im Halbfinale 94 oder seinen Auftritt nach dem verschossenen Penalty oder einen Arrigo Sacchi. Man kann auch in Erhabenheit mit Trainingshose und Poloshirt elegant gekleidet sein und damit die Würde hochhalten in einem Meer von Geschmacklosigkeit, Obszönität und Dummheit, wie sie in den frühen 90ern eine Hochzeit hatten.
Die frühen 90er gelten zurecht als schreckliche Zeit. In Deutschland war 94 ein Wahlkampf, den Helmut Kohl, der gar nicht mehr Kanzler sein wollte, gegen einen Kandidaten der mit Bart antrat. Als Wahlkampfmunition verteilte die CDU Einwegrasierer mit dem Slogan «Bart ab». Ich geriet beinahe in eine Handgreiflichkeit mit dem CSU Vertreter am nördlichen Ende des Marktplatzes in Amberg als ich den Einweg-Rasierer nahm, die Wahlbeilage wütend und demonstrativ verknüllte, ob des dummen Wahlspruches und in Erwartung weiterer 4 Jahre Kohl. Der Kandidat der SPD, Rudolf Scharping, verlor äußerst knapp. Er hatte sich hier auf Wahlkampf Veranstaltung in Sulzbach-Rosenberg, dem untergehenden Stahlstandort der Oberpfalz durchaus patent und volkstümlich gezeigt. Es folgten später Poolaufnahmen mit einer aparten Gräfin in romantischer Verliebtheit, wie sie nur das Alter jenseits der Lebensmitte kennt. Politisch war es für ihn dann vorbei, obgleich er nochmal Verteidigungsminister wurde. Die letzte Regierungszeit von Helmut Kohl war erstaunlich unaufgeregt, aber wie oft opferte Kohl seine ganze Familie und sich für einen wie auch immer nur von ihm gefühlten Auftrag zur Rettung der Welt und schleppte sich mühselig als Fremdkörper in der internationalen Politik mit Leute wie Bill Clinton oder später Tony Blair, um dann endlich an Gerhard Schröder zu übergeben. Zuvor hatte er noch sehr geschickt seinen Nachfolger Wolfgang Schäuble die Kanzlerschaft ruinierte. Ob letzterer bei der Vendetta zwischen seinem Vater, der als Katholik ob seiner evangelischen Ehefrau evangelisch erzog, mit dem Erzbistum Freiburg… ist eine andere Geschichte.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!