Was ersetzt den Teufel
Die meisten Weltanschauungen personifizieren das Böse - als Dämon, die Edda als Riesen, die christliche Bibel als Teufel oder Beelzebub. Auch Harry Potter braucht einen obersten Bösewicht, Lord Voldemort. Denn erst das große Böse macht den Protagonisten zum Helden. Es genügt nicht, einen Achttausender über die steilste Wand eines Berges zu besteigen noch das entscheidende Tor bei der Weltmeisterschaft zu schießen, einen Ertrinkenden zu retten, das Böse selbst muss überwunden werden. Es stellt sich immer als Macht dar, die dem Helden die letzten Kräfte abverlangt. Das gilt auch für den Märtyrer. Obwohl er dem Bösen physisch unterliegt, braucht er seine ganze Kraft, um nicht vom Bösen moralisch besiegt zu werden. Wenn der christliche Märtyrer entsprechend dem Vorbild Jesu seinen Hass auf seine Peiniger überwindet, hat er sie moralisch besiegt. An dem Märtyrer wird deutlich, dass das Böse eine Herausforderung an die Person ist.
Im Bösen steckt ein Wollen
Wir vermuten hinter dem Bösen keine Naturkraft. Auch wenn ein Meteor die Erde unbewohnbar machen würde, er wäre in unseren Augen nicht das Böse. Wenn hinter dem vernichtenden Zusammenstoß das Böse stehen würde, dann müsste es etwas Intentionales sein, eine Kraft oder ein Jemand, der etwas will. Das Böse muss für uns deshalb ein person-ähnliches Wesen sein, eben der Teufel. Denn nur das, was wir uns als etwas Personhaftes vorstellen können, hat Absichten. Die Absichten des Bösen gehen auf Vernichtung. Deshalb fürchten wir das Böse. Weil wir so verwundbar sind, suchen wir nach einer Schutzmacht, die das Böse im Zaum halten kann. Nach den Völkermorden des 20. Jahrhunderts ist das Vertrauen geschwunden, der im Judentum und Christentum verehrte Gott biete den Verfolgten diesen Schutz. Entweder will er seine Macht nicht gebrauchen oder er hat gegenüber dem Bösen keinen Durchgriff. Logisch ergibt sich daraus die Frage, ob das Böse eine andere Gottheit ist oder etwas Geschaffenes. Ist es eine göttliche Gegenmacht, dann steht Gott selbst im Kampf. Ist es etwas Geschaffenes, dann liegt der Widerspruch in der Schöpfung. Drei anspruchsvolle Erklärungsmodelle seien vorgestellt.
Gott muss selbst gegen das Böse kämpfen
Die vom Judentum ausgehenden Theologien des Christentums wie des Islams schrieben Gott zu, dass er selbst gegen das Böse vorgeht. Er will den Einfluss des Bösen nicht und steht eindeutig auf der Seite des Guten. Das will er zuerst von den Menschen umgesetzt wissen. Der Einzelne soll sich eindeutig für das Gute entscheiden und damit Gott ähnlich werden. Das erkannte auch die Philosophie. Platon schreibt im Teaitetos, 176a7-c3 und ähnlich in anderen Dialogen:
"Der Weg dazu ist die Verähnlichung mit Gott soweit als möglich; und diese Verähnlichung besteht darin, dass man gerecht und fromm sei mit Einsicht. ... das Wahre wollen wir so vortragen: Gott ist niemals und auf keine Weise ungerecht, sondern im höchsten Sinne vollkommen gerecht, und nichts ist ihm ähnlicher, als wer unter uns ebenfalls der Gerechteste ist."
Das Böse wird dann im letzten Buch der Bibel als Widersacher Gottes personifiziert. Gott selbst stellt sich in seinem menschgewordenen Sohn dem Bösen entgegen, um es nicht durch Gewalt klein zu kriegen, sondern durch Erleiden seines Stachels zu berauben.
Das Böse im Gefolge von Star Wars und Herr der Ringe
Die groß angelegten Filmepen haben nicht nur das Böse zur Darstellung gebracht, sondern es auch identifiziert. Die Inspiration für diese Filme liegt in der von Joseph Campbell beschriebenen Heldenreise, die dieser als Grundstruktur vieler Mythen herausgearbeitet hat. Der Junge Held ist bedroht, er muss sich auf die Reise begeben und viele Hindernisse überwinden. Am Ende begegnet er der Figur, die ihn zum letzten Kampf herausfordert. Dieser Gegner ist lange hinter einer Maske verborgen und entpuppt sich dann als der Vater des jungen Helden. Ähnlich beschreibt die Bibel den Widersacher Gottes. Dieser Geist des Widerspruchs lehnt sich gegen Gott auf, er stellt die Herrschaft Gottes in Frage. Der Unterschied zur Heldenreise liegt darin, dass der Vater, Gott, nicht der Gegner des Sohnes ist, sondern seine Kinder gegen den Bösen beschützen muss. Das Böse ist Geschöpf Gottes, das sich gegen Gott auflehnt.
Der andere ist der Böse
René Girard legt eine andere Ontologie des Bösen vor. Er situiert das Böse nicht in Beziehung auf Gott, sondern auf den anderen Menschen, der mir zum Rivalen wird. Gott ist erst einmal nicht in dieses Geflecht verwickelt, sondern der Mensch findet andere vor, die einen Platz besetzt oder eine Partnerin gewonnen haben, auf die ich auch Auge geworfen habe. Eigentlich darf es den anderen nicht geben, wenn der andere eben das bekommt, was mir eigentlich zuzustehen scheint. Das Böse entsteht also durch den anderen, einfach nur durch seine Existenz. Weil er da ist, kann sich seinen Platz nicht einnehmen. Ich muss alles daran setzen, dass er vernichtet wird, wenn er freiwillig seinen Platz nicht räumt. Das passiert täglich hunderttausendfach.
Es wird deutlich: Wenn man von Gott erwartet, dass er uns vor dem Bösen schützt, müsste man sich erst einmal festlegen, was überhaupt das Böse ist. Dann kann man auch erwarten, dass das Böse identifizierbar und vielleicht zu überwinden ist. Vorher ist zu klären, ob das Böse eigentlich ein Ergebnis der Evolution ist. Dafür spricht viel. Dann müsste es wie der Krebs keine ungreifbare Macht sein, sondern es müsste so etwas wie einen Impfstoff gegen das Böse geben.
Im nächsten Beitrag „Impfstoff gegen das Böse“ geht es um die Machtlosigkeit gegenüber dem Krieg und anderen Übeln
Link:
Gott muss sich wegen des Bösen rechtfertigen
Religion - wegen des Bösen
Literatur
Die Heldenreise nach Joseph Campbell, „Der Heros in tausend Gestalten“, New York 1949, Deutsch Frankfurt 1953
Der andere als Ursache des Bösen nach René Girard
Figuren des Begehrens, Münster 2012,
Das Heilige und die Gewalt, der französische Titel lautet „La Violence et le sacré“.
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