Wer ist für die Zerstörung verantwortlich? Foto: hinsehen.net

Theodizee - Gott vor dem Gericht der Vernunft

Warum lässt Gott die Übel in der Welt zu? Er hätte die Mittel und die Kraft, das Böse zu überwinden, nicht wir Menschen. Auf Grund seiner Allwissenheit könnte er auch die Ursachen des Bösen ausmachen und "still-legen" Außerdem verlangt das die Gerechtigkeit von ihm. Deshalb, so scheint es, muss Gott sich vor uns rechtfertigen, dass er das Böse nicht längst aus der Welt verbannt hat. Das ist die Theodizee-Frage

Theodizee heißt der Versuch, "Gott angesichts des Bösen" zu rechtfertigen. Nicht mehr, wie von Luther formuliert, muss sich der Mensch vor Gott rechtfertigen, sondern Gott selbst bedarf der Rechtfertigung. Er wird vor den Gerichtshof der Vernunft geladen. Es ist also an Gott, sich zu rechtfertigen. Die menschliche Vernunft fällt dann das Urteil, weil sie sich mit der Vernunft insgesamt identisch fühlt. Das Gerichtsurteil wird so begründet, dass gott moralisch versagt hat. Der Philosoph Christian Thies erklärt seine Ablehnung Gottes so:

 „Ich kenne keine überzeugende Antwort, warum Gott all das Negative in dieser Welt zulässt oder möglicherweise sogar verursacht. Selbst wenn es Gott gibt, so meine Überzeugung, sollte man sich gegen ihn auflehnen angesichts des abgrundtief Bösen, des unerträglichen Leidens, der gewaltigen Ungerechtigkeiten und all der andere Übel, deren Sinn wir nicht kennen.“ Christian Thies, in Transzendenzlos glücklich, S. 136

Gott steht unter Anklage
Natürlich ist die Ausgangssituation für Gott äußerst prekär, denn das Böse gibt es ja. Es bedarf keiner umständlichen Beweisaufnahme wie bei einem Verbrechen. Da muss der Tathergang rekonstruiert werden, um dann den Angeklagten auf seine Tat durch Indizien festlegen zu können. Die Philosophen, die Gott bei der Vernunft anklagen, müssen sich auch nicht wie Ärzte die Mühe machen, die Ursachen des Bösen herauszufinden, denn sie können Gott wegen mangelnder Hilfeleistung anklagen. So wie ein Schwimmer ein Kind vor dem Ertrinken retten kann, könnte auch Gott eingreifen. Die Anklage wird dadurch einfach, weil Gott ja allmächtig ist und daher immer und überall verhindernd eingreifen könnte. Er tut es aber offensichtlich nicht. Deshalb ist er der unterlassenen Hilfeleistung, wo irgendetwas auf der Welt passiert, überführt.
Schon die Anlage des Gerichtsprozesses zeigt, wie aussichtslos die Verteidigung Gottes vor dem Gericht der Vernunft ist. Gott wird ja nicht von Menschen vor einem durch Machthaber manipulierten Gericht angeklagt, sondern sozusagen vor dem eigenen Gericht, wenn er selbst die höchste Vernunft verkörpert, wenn er nicht bloß, wie Menschen, die Wahrheit sagt, sondern selbst die Wahrheit ist.

Das Argument der Freiheit

Die Verteidiger Gottes sind mit ihrer Argumentation nicht sehr erfolgreich. Meist landen sie bei der menschlichen Freiheit. Da der Mensch frei ist, muss er sich dem Sittengesetz nicht notwendig unterwerfen und kann daher den anderen belügen, vergewaltigen, ausrauben, töten und auch nicht enden wollende Kriege führen, die das Übel immer mehr Überhand nehmen lassen. Da Gott den Menschen frei will, müsse er zusehen, wie der Mensch seine Freiheit missbraucht. Das Argument zielt auf die Philosophie selbst, die ja gerade mit der Aufklärung die Freiheit des Menschen herausstellt und mit der Französischen Revolution auch durchgesetzt hat. Gerade diese Philosophie, die sich nicht auf die durch Theologen vertretene göttliche Weltregierung, sondern auf die Herrschaft der Vernunft stützt, macht Gott für das Böse und die daraus folgenden Übel verantwortlich. Inwieweit das Argumente, Gott achte die Freiheit des Menschen und könne ihn deshalb nicht vom Bösen abhalten, bedarf einer eigenen Analyse. Hier sei nur darauf hingewiesen, dass die Vernunft, die ja eigentlich Gott nicht braucht, ihn heranziehen würde, um den Übeln und Verbrechen Einhalt zu gebieten.
Die Verhandlung über Gott vor dem Richterstuhl der Vernunft führt notwendig auch zu der Frage, ob Gott nicht eine bessere Welt hätte schaffen können, die weniger fehlerhaft und damit weniger anfällig für Seuchen, Tsunamis wie auch Mobbing und Kriege wäre. Leibniz hat diese Frage aufgegriffen. Auch dazu gibt es einen eigenen Beitrag.
Vielleicht ist schon deutlich, dass die Theodizeefrage doch nicht mit einem Verhandlungstag erledigt werden kann, sondern gerade die Vernunft ein genaueres Hinsehen und eine tiefergehende Argumentation verlangt. Zumindest bleibt, ob mit oder ohne Gott, die Wirksamkeit des Bösen ungebrochen.

Das Böse fordert die Vernunft

Was wäre die Konsequenz, wenn die Gerichtsverhandlung gegen Gott damit endet, dass die Ankläger im Namen der Vernunft erklären: "Gott kann gar nicht existieren.“ Wenn aber Gott nicht der Schöpfer dieser Welt wäre, bliebe trotzdem die Frage: "Was nun mit dem Bösen?" Dann würde die Frage doch auf die Philosophie zurückfallen, nämlich woher das Böse überhaupt kommt. Die Philosophie müsste dem Menschen helfen, mit dem Bösen fertig zu werden.  Wenn von Gott, weil er ja gar nicht existieren kann,  von ihm auch keine Lösung zu erwarten ist, dann verschwindet das Böse nicht einfach, sondern bleibt als Herausforderung. Dann müssen die Menschen doch weiter in einer von Neid, Eifersucht, Geldgier, Unterdrückung und Krieg geprägten Welt leben. Jeden Tag wird ihnen diese Welt ja durch die Nachrichten vorgeführt. Das Böse wird ständig neu hervorgebracht. Damit kommt die Evolution ins Spiel. Nach dem gängigen Selbstverständnis des modernen Menschen ist er das Ergebnis eines Evolutionsprozesses. Das hätte zur Konsequenz, dass so etwas wie der Syrienkrieg eine Stufe der Evolution darstellt. Wären die Kriege wegen der Evolution notwendig, bliebe das Böse weiter in der Welt. Wenn das Gericht zur Entscheidung kommt, Gott abschaffen zu müssen, weil es die Vernunft gebietet, muss ja gerade die Vernunft die Antworten finden, wie die Menschen das weitere Anwachsen des Bösen eindämmen kann. Es ist also einiges zu tun, ehe die Gerichtsakte "Theodizee" geschlossen werden kann. Die Christen rechnen mit dem Endgericht. Bis dahin sollen sie sich für Gottes Reich der Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe einsetzen. Auch die Gottesleugner können die Zeit nutzen, das Böse und die von ihm verursachten Übel zu heilen. Für Gottgläubige wie für Gottesleugner stellt sich die gleiche Aufgabe. Dafür muss das Böse allerdings genauer in den Blick genommen werden.  

Links:
Die Auseinandersetzung mit dem Bösen fesselt die Kinogänger

 Transzendenzlos glücklich, hier das Referat von Christian Thies, aus dem oben zitiert wurde 


Kategorie: Verstehen

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