Foto: hinsehen.net E.B.

Theologie: Passwort verloren

Zwei Professoren der Theologie im Gespräch, 140 Seiten, sehr gut zu lesen und zugleich Kapitulation vor den Problemen. Die sind so unlösbar oder verlangen einen wissenschaftlich nicht begründbaren Glauben. Ein junger Mensch sollte das Fach besser nicht wählen, um mit Theologie seine Berufstätigkeit zu bestreiten. Oder doch? Es gibt das Passwort zur reichhaltigen Festplatte.

 

Zwei Freiburger Professoren können sich sehr gut ausdrücken. Ich habe immer weiterlesen können. Eine Erholung, nachdem ich wieder daran gescheitert bin, ein Dokument des Synodalen Weges ganz durchzulesen. Helmut Hoping und Magnus Striet sollte man beauftragen, die in verschlungener Sprache sich dahinquälenden Texte der Synode lesbar zu machen. Ihr Buch muss nicht überarbeitet, aber als historisches Dokument in den Glasschrank gestellt werden, Als historisches Dokument: So hat die Theologie 2022 noch gedacht, über diese Fragen,

  • ob man von der Existenz Gottes überzeugt sein kann,
  • ob es eine Erbsünde gibt, die das Böse erklärt,
  • dass Jesus Christus entscheidend für das Christsein heute ist,
  • dass die Theodizeefrage nicht lösbar ist,
  • über die Sexuallehre der letzten Päpste,
  • über das Lehramt der Bischöfe und die Lehrstühle der Theologieprofessoren,
  • über Macht und Missbrauch in der Katholischen Kirche

    Warum aber mein Urteil: In die Glasvitrine stellen: Das Verständnis, für was Theologie da ist, für was sie 2023 gebraucht wird, dafür haben beide das Passwort verloren.


Theologie ist dafür da, etwas damit zu machen

Wenn ich mit 19 Jahren das Buch in die Hand bekommen hätte, wäre ich nicht im Noviziat des Jesuitenordens gelandet, sondern in der Medizin oder Pädagogik. Ich wollte ja etwas mit meinem Leben machen. Damals war vielleicht die Medizin auf dem Stand, den die beiden Professoren für die Theologie erörtern. Gegen Herzinfarkt gab es kein Rezept. Krebs war eine ungeklärte Bedrohung, die einen treffen konnte. Wären Klassenkameraden damals an das Phänomen „Gesundheit“ herangegangen wie die beiden Professoren an das Phänomen „Glauben“, dann wären sie bei Striet auf die Feststellung gestoßen: „Tut mir leid, aber die grundlegenden Fragen sind nicht geklärt.“ Ob es Gott gibt, kann die Wissenschaft nicht beantworten. Der Kern, welcher den Menschen ausmacht und erst Theologie ermöglicht ist die Freiheit. Diese kann nicht von einem anderen geschaffen sein, ist die These von Striet. Denn wenn die Freiheit geschaffen ist, denn dann würde sie aus dessen Freiheit entspringen und wäre dann also Gottes Freiheit. Aber nicht anders als die Theologie muss auch die Medizin arbeiten. Auch sie kann ihren Kern, die Gesundheit, nicht abschließend definieren und deren Faktoren auch nicht bis in jedes Organ, jeden Muskel bestimmen. So kann die Theologie auch nicht den Menschen und schon gar nicht in seiner Freiheit letztlich erfassen. Oder warum werden immer noch Romane, also Erzählungen über die Realisierung der Freiheit, geschrieben, wenn wissenschaftlich abschließend geklärt wäre, was Freiheit ist. Glauben geht seit jeher nur mit Fragenzeichen. Das größte dürfte die Widerfahrnis des Bösen sein.
Der Gegenpol zu den vielen Sätzen, die fast alles problematisieren, womit Theologen die Kultur gestalten müssten, wiederholt Gedankengänge, die nicht für die Herausforderungen der Theologie heute entwickelt wurden. Helmut Hoping stellt sich wie Magnus Striet faktisch außerhalb der Gesellschaft. Das Ganze klingt so, als würde man Corona erklären, ohne von der Existenz der Viren zu wissen. Beide agieren auch so, als würden ihre Kollegen in der Medizin losgelöst von Krankenhäusern und Arztpraxen die Studierenden ausbilden. Jedoch ist auch die Theologie auf Anwendung bezogen, in konkreten Gemeinden, in Verbänden und auf die vielen Menschen bezogen, die meditieren und Exerzitien „machen“. Wie die Medizin mit dem Fatigue-Syndrom, Burnout u.a. neuen Krankheitsbildern fertig werden muss, so die Theologie mit dem Unvermögen, Kriege zu beenden oder den CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Auch müsste das Pfarrsystem mit seiner Familienorientierung in den Großstädten für die 50% Singles geöffnet werden. Nicht zuletzt wäre die immer größere Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen für die Theologie Thema, denn nach der biblischen Schöpfungslehre ist der Mensch in die Welt gesetzt, um sie weiter zu entwickeln. Wenn sie dabei unzufrieden werden, kann etwas nicht stimmen. Die katholische Soziallehre war und ist eine sehr erfolgreiche Theologie, um die Wirtschaft menschenfreundlich zu ordnen, für die konkrete Arbeitsumfeld fehlt eine solche Hilfe.
Ein früheres Mitglied der Freiburger theologischen Fakultät, Helmut Büsse, hat gezeigt, wie Theologie in einem anderen Feld wirksam geworden ist. Er hat mit Regisseuren des ZDF intensiv daran gearbeitet, wie einzelne Teile der Messe mit der Kamera zur Darstellung kommen können. Erstaunlicherweise haben die Übertragungen ihre Zuschauerzahlen schon in den neunziger Jahren verdoppelt, eigentlich müssten sie doch analog zu dem Rückgang der Gottesdienstbesucher abnehmen. Die Fakultät hat diesen Lehrstuhl abgeschafft und damit eine theologische Arbeit, die in Riten und Gesten Inhalte darstellt. Die Gebäude und Kunstwerke, die die Theologie im Mittelalter hervorgebracht hat, sind für den modernen Menschen immer noch sehenswert. Wie sollen aus der Theologie, über die Striet und Hoping reden, solche Ausdrucksformen erwachsen. Der Inspirator für die Gotik war Dionysius Aeropagita, dessen Lichtmystik zu den großen Fenstern der Gotik führt. Die Beispiele zeigen, welche Gestaltungskräfte in der Thelogie stecken. Würde die Theologie diese wieder freilegen, erhielte sie auch von jungen Leuten wieder Zuspruch. Es muss wieder deutlich werden, wie man mit diesem Studium in Stadt und Land einen Beruf bestreiten kann.

Nicht bei Kant stehen bleiben

Die Theologie, die die beiden darstellen, findet in ihren Köpfen statt. Es sind nur Gedanken, sehr gut dargestellt, aber völlig unzureichend, um damit dem Glauben 2023 zu helfen. Denn der Glaube ist genauso wenig Produkt der Wissenschaft wie die Gesundheit von der universitären Medizin gemacht wird. Man kann ein guter Arzt sein, ohne das Geheimnis der Gesundheit erklären zu können. Man kann ein guter Theologe sein, ohne letztlich erklären zu können, warum Menschen Gott vertrauen. So hat Jesus Glauben verstanden, nicht bloß als etwas für wahr halten, was die Philosophie sich nicht ausdenken würde, sondern sein Leben auf Gott setzen.
Was wäre dann das Passwort. Es ist überraschend einfach: Man braucht keines, so wie wenn ich in der Bahn mich in das WLAN einklinke, so habe ich bereits über das Internet Zugang zu einem großen Teil des Wissens der Theologie. Ich bekomme auch direkte Angebote für mein religiöses Leben. Die Theologen sollten nicht bei Kant und den anderen Philosophen stehen bleiben, die das Bewusstsein erforschen. Mit Marx sollten sie die Veränderung der Verhältnisse ins Auge fassen.

Theologie muss sich in der Praxis bewähren

Wie die Medizin braucht die Theologie Kliniken. Denn anders als die Philosophie soll die Theologie nicht nur das Denken, sondern das Handeln formen. Solche Verfahren gibt es bereits, so das Stundengebet oder die Exerzitien des Ignatius von Loyola. Die Caritas ist ein sehr erfolgreiches Feld. Die Universitätstheologie hätte längst für den Umgang mit Stress und zur Burnoutprophylaxe nicht nur Analysen, sondern Verfahren entwickeln können. Die Pfarreien und Verbände brauchen Verfahren, wie sie zu ökologischen Zentren werden. So wie im Bistum Freiburg die Gengenbacher Schwestern früher Nähstuben betrieben haben und Änne Burda dafür die Schnittmuster beigesteuert hat, als hier noch nicht die preiswerten, in Bangladesch gefertigten Textilien zu kaufen waren. Die Adenauerregierungen hat große Teile der damaligen Katholischen Soziallehre umgesetzt. Deshalb gibt es kaum Plattenbauten, sondern Wohneigentum, weniger Staatskonzerne, sondern Mittelstand. Theologie ist zum "Etwas Machen" da. Aber auch als Geisteswissenschaft für die Gesellschaft und nicht bloß für die Bewirtschaftung des Kirchenackers.

Die Demokratie braucht Theologie

Wenn Striet und Hoping nicht nur um die Fragen kreisen, die die Moderne dem Glauben stellt, sondern auf die Gesellschaft schauen könnten, dann würden sie erkennen, dass ihr Fach ganz anders gefordert ist. Denn wie kommt es bei ihrer Beschwörung der Freiheit zu den Parteien, die bereits im 20. Jahrhundert und jetzt wieder die demokratischen Wahlen nutzen werden, um autoritäre Regierungen zu installieren, die sich dann durch Manipulation von Wahlen legitimieren. Der 17. Juni 1953 zeigt, wie Demokratie gegen Panzer unterliegt. Wenn die Theologen nicht nur auf das Lehramt starren würden, könnten sie einen früheren Kollegen ins Gespräch bringen, der das Konzept der Volkssouveränität entwickelt hat. Francisco de Vitoria war ein Zeitgenosse Luthers, er gründete in Salamanca eine Schule, die Konzeptionen für Demokratie entwickelte.

Von der Herderkorrespondenz, die das Gespräch zwischen den beiden Professoren ermöglicht hat, erhofft sich der Rezensent noch weitere solche Gespräche, als Nächstes vielleicht schon, was die Theologie zur Akzeptanz von Demokratie beitragen kann und muss. 

Links:
a. Die Gestaltungskraft der Theologie am Beispiel der Liturgie, wie Helmut Büsse die Messfeier in ihre
    ursprünglich, von Gregor I. genial entworfene Dramaturgie zurückgeführt und so fernsehtauglich gemacht
    hat, findet sich hier: Theologie erfolgreich
b. Theologie vermittelt keine Handlungskompetenz
c. Für die Einbeziehung der Evolution in das theologische Denken hat der Medizinprofessor Wolfgang Schreiner
   bereits die notwendigen Fundamente gelegt. Evolutions-Theologie

Anhang: Fehlerkorrektur
Da Professoren auch die Aufgabe haben, schriftliche Arbeiten zu korrigieren, hier einiges, das „rot“ in „Gott – Freund der Freiheit“ angestrichen gehört:     

  1. Gottesbeweise sind nicht möglich, stellen beide fest. Solche Beweise hat zumindest Thomas v. Aquin nicht vorgelegt. Er spricht von Wegen zur Erkenntnis Gottes.
  2. Dass solche Beweise nicht möglich sind, kann man nicht mehr mit Kant begründen, der die Unmöglichkeit auf die nicht mögliche Anschauung, also eine Begrenzung des menschlichen Geistes zurückführt, indem er sagt, für das Ich, für die Gesamtheit der Welt wie auch für Gott verfüge der Mensch über keine Anschauung. Das stimmt für das Weltall nicht mehr und ist auch tautologisch, denn wie sollte der Mensch eine Anschauung von Gott erhalten, wenn dieser nicht in Raum und Zeit existiert. Mit der Relativitätstheorie ist das Thema an die Physik übergegangen, nämlich dass Raum und Zeit ihre Grenzen an diesem Kosmos finden, also die Physik Gottesbeweise für unmöglich erklärt. Es gibt außerhalb dieses Weltalls nicht Raum noch Zeit. Wenn Gott nicht Teil dieser Welt ist, kann er auch nicht wie das Higgs-Teilchen durch einen Beweis gezwungen werden, sich zu zeigen. Entscheidend war im Übrigen nicht erst Kant, sondern die griechischen Philosophen und die jüdischen Propheten, die die Götter nicht mehr auf einem der Berge lokalisierten, sondern einen Gott in einem Jenseits dieser Welt dem menschlichen Zugriff entzogen. Damit kam der Opferkult in die Kritik, hielt sich aber noch weitere 700 Jahre, bis das Christentum Staatsreligion wurde. Wenn Theologen heute noch davon ausgehen, es wäre hilfreich, wenn es Gottesbeweise gäbe, dann denken sie falsch von Gott.
  3. In einem Nebensatz wird die Final-Ursache als wissenschaftlich nicht zu gebrauchen erklärt. Also, dass die Evolution auf ein Ziel hin ausgerichtet ist. Dieses Ziel wirkt nicht aus der Vergangenheit, sondern wirkt aus der Zukunft, indem es u.a. die Mutationen aussiebt. Wenn die Wissenschaft Begründungen in der Kausalität, also in der Vergangenheit sucht, kann sie die Evolution als Höherentwicklung nicht erklären Es wird zwar von Emergenzen gesprochen. Der Begriff erklärt jedoch nicht, was die Ursache der Höherentwicklung ist. Evolution heißt ja, dass ein Wesen entstanden ist, das nach dem Sinn für sein Handeln fragt. Das Buch mit dem Gespräch der Beiden ist ein Produkt solcher Sinnsuche. Auch die Lebewesen sind auf Ziele hin orientiert. Deshalb kann man die Emergenz nicht allein auf Zufall zurückführen. Bereits in den körperlichen Abläufen gibt es hunderte von Zielvorgaben, die der gesunde Körper immer wieder herstellt. Diese Zielvorgaben, z.B. die Körpertemperatur, der Salzgehalt, die Herzfrequenz und hunderte andere Werte werden meist über das Blut gemessen und mit den Maßen verglichen, die am gesunden Körper abgelesen wurden. Um aus dem Vergleich zur Diagnose von Krankheiten zu kommen. Das Gleichgewicht, das der Körper immer wieder herstellt, entspricht nicht dem, was die Gesetze der Physik herstellen, sondern werden angestrebt. Denn anders als bei physikalischen Maßzahlen kann der Körper durchaus von den Normalmaßen abweichen. Alles Schöpfungsordnung und etwas, was die Theologie nicht beweisen, sondern nur zur Kenntnis nehmen muss.
  4. Noch ein dicker roter Strich ist an der Behauptung anzubringen, der moderne Mensch sei durch Autonomie definiert und müsse deshalb in seiner Selbstbestimmung absolut frei sein. So eine Vorstellung funktioniert nur im Kopf. Für seine Autonomie ist er nämlich auf viele Systeme angewiesen – Bildung, Gesundheitswesen, Straßen und Bahnen und dass der Staat ihn vor inneren und äußeren Feinden schützt. Das Finanzsystem greift am subtilsten in diese postulierte Autonomie ein. Zudem kann der Mensch sein Bewusstsein schon nicht ohne Sprache entwickeln. Mit der Sprache übernehme ich dann nicht nur eine Grammatik, sondern eine ganze Kultur. Es sind also nicht nur viele Institutionen, von deren Funktionieren die moderne Autonomie abhängig ist. Diese Institutionen brauchen für ihr Funktionieren eine immer weiter wachsende Verwaltung. Es sollen inzwischen 50% der Arbeitsplätze mit Verwaltung beschäftigt sein. Je mehr Autonomie, desto mehr Versicherungen.

Kategorie: Analysiert

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang