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Priester mit immer weniger Gläubigen

Als ich Messdiener war, gab es am Sonntagvormittag 4 Gottesdienste, heute noch einen. Noch bedenklicher für uns Priester war der Vorstoß beim Synodalen Prozess, die Priester überhaupt abzuschaffen. Was ist es, dass wir zum Auslaufmodell geworden sind. Hier eine Gewissenserforschung zum Gottesdienst.

 

Ich habe die Liturgiereform als großen Impuls erlebt, nicht mehr mit dem Rücken zur Gemeinde, nicht mehr die steifen Messgewänder, Fürbitten, das Ganze nicht mehr in Latein. Was ist daraus geworden? In Lateinamerika und noch kreativer in Afrika hat das Konzil sehr viel in Bewegung gebracht. In Deutschland zeigt sich, dass die Entwicklung offensichtlich andersherum ging. Es ist eine abfallende Kurve zu verzeichnen. Das gilt nicht für das Fernsehen. Gottesdienste im Fernsehen ziehen immer mehr Zuschauer an. Man kann daher nicht behaupten, dass es die neue Liturgie sei. Im Fernsehen ist sie sehr erfolgreich. Ich war 20 Jahre für die Übertragungen im ZDF-Programm zuständig, hatte innovative Kollegen und Kolleginnen sowie ein großes Engagement der Fernsehleute. Die Gemeinden haben uns immer sehr gut aufgenommen. Liturgie heißt ja auch übersetzt "Werk des Volkes". Das haben wir immer wieder erlebt. Die Bereitschaft und die Kompetenz Vieler in den Gemeinden hat den Übertragungen so viel Resonanz verschafft. Beim ZDF ist sie die einzige Sendung, die nach der Einführung der privaten Konkurrenz-Sender nicht nur mehr Zuschauer gewonnen, sondern bereits in den neunziger Jahren die Zahl verdoppelt hat. Das ist umso erstaunlicher, als alle Sender inzwischen auch am Vormittag Programme ausstrahlen. Die Pandemie hat noch einmal die Quote um hunderttausend auf 800.000 erhöht. Das wäre mit der früheren Liturgie nicht gelungen, denn die neue ist fernsehtauglicher. Nicht nur die deutsche Sprache ermöglicht den Erfolg, auch dass der Priester in die Kamera blickt und damit den Menschen mehr zugewandt ist. Allerdings fordert das auch eine überzeugende Körpersprache, eine Brille, die nicht die Augen verdeckt und nicht zuletzt, öfters aufzublicken, um die Gläubigen anzuschauen.


Nicht mehr der Liturgie einfach dienen, sondern sie inszenieren müssen

Im Rückblick auf die Messe im früheren Ritus erstaunt, dass damals die Kirche um 6 Uhr morgens so besetzt war wie heute bei dem meist einen Gottesdienst. Das, obwohl damals die meisten kein Latein verstanden und auch die wenigsten die deutsche Übersetzung mitgebetet haben. Viele haben der Messe "beigewohnt", indem sie Rosenkranz gebetet haben. Durch viele Regelungen und die steifen Messgewänder war der Priester auch in seiner Körpersprache viel mehr festgelegt. Die Rollenverschiebung durch die neue Liturgie wurde freudig begrüßt, hat sich jedoch als subtile, wohl entscheidende Ursache erwiesen, dass man uns offensichtlich nur noch schwer ertragen kann. Das ist nicht Schicksal, sondern wie bei den evangelischen Kollegen und Kolleginnen selbst verursacht.
Es ist noch nicht einmal böser Wille. Im Rückblick sehe ich mich wie die meisten Mitbrüder als den, der die Gläubigen für das Wiederkommen gewinnen muss. Von mir, also von uns hängt es aber nicht ab, ob die Gläubigen kommen. Wenigstens war das zu meiner Messdienerzeit nicht so. Die Leute sind wegen der Messe gekommen. Dafür brauchte es nur einen, der die Wandlungsworte „gültig“ sprechen konnte. Da er sich zudem mit dem Rücken zur Gemeinde kaum präsentieren konnte, kam es für die Gemeinde nicht so sehr auf den Zelebranten an. Er war Diener des Ritus und verstand sich auch so. Wir nach-konziliaren Priester vertrauen nicht mehr so auf den Ritus und bringen wohl unsere Person zu sehr ins Spiel. So toll sind wir jedoch nicht, dass wir wie freikirchliche Prediger jeden Sonntag die Menschen in die Kirche locken können. Der Vergleich mit der Tagesschau kann das erklären. Ihr ritueller Charakter macht sie erfolgreich, so dass sie deshalb ihren hervorragenden Sendeplatz behält. Ihre Inhalte können es nicht sein. Da ist die Gottesdienstübertragung sogar zuschauerfreundlicher. Wären nicht wir? Die veränderte Rolle zeigt ihre Kehrseite gleich am Anfang des Gottesdienstes.

Die meist verkorkste Eröffnung

Am Beginn reicht die Begrüßung offensichtlich nicht mehr. Es gilt, die Eucharistiefeier interessant machen. Da der zweite Teil mit Gabenbereitung, Hochgebet und Kommunion immer die gleichen Gebete hat, muss der Priester anscheinend die wechselnden Lesungen und Evangelientexte interessant machen. Deshalb werden schon am Beginn der Messe die inhaltlichen Aussagen der Texte zusammengefasst - und schon bin ich in den Klerikalismus hereingerutscht. Wenn ich so anfange, stelle ich mich nämlich nicht nur über die Texte, sondern nehme ihnen auch ihre Vorlesequalität. Es scheint so, als müsste man diese seit Jahrhunderten „funktionierenden“ Texte erst noch schmackhaft machen. Das sind sie aber aus sich selber heraus. Mit Erklärungen in der Predigt zeige ich dann noch, dass ich sie besser verstanden habe. Faktisch erzähle ich aber nicht mehr als das, was meine Zuhörer schon mehrfach gehört haben. Denn so viele Auslegungen gibt z.B. für die Wunderbare Brotvermehrung nicht. Also ist nicht nur das Vertrauen in die Kraft des Ritus verloren gegangen, sondern auch in die literarische Kraft der Bibeltexte. Da gab der alte Ritus dem Priester einen sehr viel einfacheren Einstieg. Er blieb unten stehen und betete mit uns das Confiteor, das Sündenbekenntnis. Damit stellte er sich zuerst einmal mit den Gläubigen in eine Reihe und auf die gleiche Stufe. Auch wenn er dann die wenigen Stufen zum Altar hinaufging, blieb er der Vorbeter, immer Gott zugewandt. Für die neue Priesterrolle sei noch ein weiteres Risiko diagnostiziert:

Soll die Predigt entscheiden?

Wenn es in der neuen Liturgie so viel mehr auf mich ankommt, muss ich das in der Predigt beweisen. Früher konnte sogar die Sonntagsmesse ohne Predigt gefeiert werden. Man ging davon aus, dass die Gläubigen aus sich heraus auf das Geschehen hin orientiert waren. Wenn von den Teilen der Messe gesprochen wurde, dann waren das "Opferung", heute Gabenbereitung, Hochgebet und Kommunion. Die Lesungen und die Predigt waren nur Vorspann für das Eigentliche. Die große Predigt hatte anderswo ihren Ort, z.B. als monatliche "Männerpredigt" am Abend oder bei den Volksmissionen, wenn Ordenspriester zwei Wochen in die Gemeinde kamen und jeden Tag für Kinder wie für Erwachsene außerhalb einer Messe längere Predigten hielten. Da musste nicht wie heute fast zwanghaft das Evangelium erklärt werde Die Prediger konnten auf aktuelle Fragen eingehen. Die Jesuiten wanderten mit einer sorgfältig ausgearbeiteten Predigt durch die Pfarreien, eigentlich Vorträge, die wegen der Auflagen der beiden Diktaturen in den Kirchen gehalten wurden, in der ehemaligen DDR sogar länger als in der alten Bundesrepublik. Nicht zuletzt drängte sich das Fernsehen in die Abendstunden, überhaupt übernahmen die Medien die Auseinandersetzung mit aktuellen Themen. Aus den Talkshows sind Kirchenleute faktisch verschwunden. Denn die Reduktion auf die Bibelauslegung lässt nicht mehr die Talente wachsen, die ein Sender gerne zu einer Diskussionsrunde einlädt. Auch der pastorale Ton, den die neue Liturgie hervorgebracht hat, ist nicht medienwirksam.

Warum dann noch Eucharistiefeier

Ich sitze wegen vorgerückten Alters inzwischen öfters unter den Gläubigen. Erst aus der Bank heraus wurde mir deutlich, warum das ehrliche Bemühen, Gottesdienst zu feiern, mich meist nicht da abholt, wo ich gerade stehe. Ich soll für die Lesungen und den Evangelientext gewonnen werden. Mir wird sozusagen ein besseres Verstehen versprochen. Ich komme aber wegen der größeren Nähe zu Gott, zu seinem Sohn. Mir wird das aber nicht angekündigt, sondern nur, was ich über die Bibeltexte lernen kann. Eigentlich verspricht der Gottesdienst, dass ich Gott näher komme, als wenn ich zu Hause meditiere. Das braucht es, denn diesen Bezug verliere nicht nur ich schnell durch die Woche im Durcheinander der vielen Anforderungen und dem vielen Unnötigen, das die Zivilisation durch mich durchgespült hat. Die Messe lässt den Alltag vor der Türe und bereitet mich auf die Begegnung mit Jesus vor. Jesus kommt nicht nur im Wort zu mir, sondern ganzheitlicher in Brot und, seit Corona, nicht mehr im Wein.

Muss die Eucharistiefeier reformiert werden?

Nicht nur der Fernseherfolg spricht dagegen, sondern mehr noch die Praxis in anderen Ländern. Wir können auf die Dramaturgie des Ritus setzen, ihm vertrauen, dass er wirkt. Durch die kreative Zusammenarbeit mit Fernsehleuten wurden wir auf den entscheidenden Faktor der Dramaturgie gestoßen. Die Dramaturgie der Messe muss man nur freilegen. Sie bereitet mit Lesungen, Predigt, Glaubensbekenntnis und Fürbitten auf die Begegnung mit Jesus vor. Das geschieht in mehreren Schritten und findet im Empfang der konsekrierten Hostie und des Weins seinen Zielpunkt. Diesen Spannungsbogen soll die Eröffnung so aufbauen, dass er nicht mit der Predigt schon wieder abfällt.
Nicht nur das Fernsehen braucht eine Dramaturgie. Dass es so viel mit der Messe anfangen kann, zeigt die Genialität von Papst Gregor I., auf den wohl der Aufbau des Ritus zurückgeht. Nicht meine Worte, sondern das schrittweise Auf-mich-Zukommen Jesu, bis er mich in Leib und Seele in der Hostie erreicht, bringen den Ablauf an sein Ziel. Wir sind Diener des Ritus und dann erst des Wortes. Die Gläubigen sind nicht Adressaten meiner Worte, sondern bilden den Leib Jesu. Diesen Leib baue nicht ich auf, sondern der Geist Gottes in den Gläubigen. Dafür müssen wir das Vertrauen in uns wie bei den Gläubigen neu aufbauen.

Links
Priester - keine Gläubigen - keine Eucharistiefeier, nicht umgekehrt
Pfarrer in der Nachmoderne
Priester - nicht mehr leiten, sondern begleiten 


Kategorie: Analysiert

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