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Wie im Alter streiten?

Auseinandersetzungen mit Partnern, Kindern, Freunden, Nachbarn oder Arbeitskollegen kennen wir bis ins hohe Alter. Werden sie offen und fair geführt, sind sie fruchtbar für die eigene Standortbestimmung wie auch für die Lebendigkeit in den Beziehungen. Wie wird Streit im Alter fruchtbar:

Nicht immer verlaufen solche Gespräche in Ruhe und enden in Verständigung. Unser Leben ist so kompliziert, dass wir uns oft mit einer Frage, einem Problem beschäftigen müssen. Mit Partnern, Kindern, Freunden, oder Kolleg*nnen kann ich mich darüber austauschen, um mir klar zu werden. Wenn ich den Blick anderer auf mein Problem nicht brauche, kläre ich auch Vieles mit mir alleine. Ich wäge die Pro und Contra-Argumente ab und entscheide, was geht oder nicht geht. Besser ist eigentlich der Austausch mit anderen, denn dann kommen auch Argumente auf den Tisch, die ich vielleicht nicht selbst sehe. Ich kann zu einem besser fundierten eigenen Urteil kommen, ich gewinne einen festen Standpunkt und damit mehr Sicherheit für die Umsetzung. Diese Sicherheit versetzt mich in die Lage meine Position überzeugend zu vertreten. In manchen Diskussionen geht es jedoch nicht nur darum, den Blick zu weiten, ein Problem zu lösen, sich neu auszurichten, sondern recht zu haben und zu behalten. Das führt meist zu enormen Spannungen bis hin zu Streit. Dann wird es emotional und manchmal auch verletzend. Will ich verhindern, dass empfindliche Themen im Streit enden, können mir ein paar Regeln helfen.
Da spielt das Zuhören eine große Rolle. Kann ich mir die Argumente des anderen in Ruhe anhören, auch wenn da Ansichten auf den Tisch kommen, die ich ablehne? Kontere ich sofort, ohne mich mit der mir unangenehmen Meinung überhaupt erst einmal zu beschäftigen? Bleibe ich bei meiner eigenen Ansicht hängen, entwickelt sich oft ein unerträglicher Druck. Da kann es dann auch aggressiv werden.
Wenn ich jedoch nicht sofort mit Gegenargumenten reagiere, sondern erst einmal die Sichtweise des anderen anhöre und überdenke, oder den anderen bitte, mir auch erst einmal zuzuhören, kann ich den Druck etwas rausnehmen. Mit dem Zuhören habe ich eine Chance, das Gespräch in einem ruhigen Fluss zu halten. Oft helfen sogar die Argumente des anderen mich geistig beweglich zu halten, denn in guten Diskussionen liegt Wachstumspotential für alle Beteiligten.

Im Alter schwindet die Beweglichkeit

Im Alter wird es schwieriger mit der inneren Beweglichkeit. Ich bin geistig nicht mehr so flexibel, habe mir eine Meinung zu vielen Dingen gebildet. Ich weiß eigentlich wie etwas zu gehen hat. Auch will ich mich vielleicht nicht mehr mit neuen Sichtweisen auseinandersetzen, denn alles Neue verunsichert erst einmal. Da bleibe ich doch am Liebsten bei meinen Vorstellungen mit denen ich gut gefahren bin. Im schlimmsten Falle halte ich starr an meiner Meinung fest. Man spricht nicht umsonst vom Altersstarrsinn. Die Sichtweise des anderen kann mich auch ängstigen, so dass ich noch rigider meinen eigenen Standpunkt vertrete. Es kann aber auch passieren, dass ich in volle Anpassung verfalle und mich ganz zurücknehme, die Diskussion verweigere. Wenn ich es auch noch immer besser weiß als der andere, verlaufen die Gespräche belehrend und sogar rechthaberisch. Das ist kein Genuss. Da schwingt gerne so etwas Überhebliches mit, das schwer zu ertragen ist. Wer im Beruf erfolgreich war, sich oft durchsetzen konnte, rhetorisch überlegen ist, für den besteht die Gefahr, dass er diese Fähigkeiten im Alter noch ausbaut. Das Alter ist aber nicht mehr die Zeit, um sich durchzusetzen, andere zu belehren oder klein zu machen, sondern eher innere Gelassenheit und Weisheit zu entwickeln. Ein bisschen Altersweisheit tut uns gut.

Die Macken treten deutlicher hervor

Starre Vorstellungen, Auffassungen, Meinungen, die nicht verrückbar sind, führen notwendig zu Streit. Entweder es kracht dann ordentlich und lautstarker Streit führt sogar zu persönlichen Beleidigungen, oder der andere zieht sich frustriert zurück. Beides ist für gute Beziehungen nicht ersprießlich. Eigentlich kann ich mir doch sagen, dass ich jetzt im Alter die Macken der Partner und Freunde kenne. Ich muss sie doch nicht mehr bis an die Grenzen ausreizen. Außerdem kann ich die anderen sowieso nicht mehr grundlegend in ihren Auffassungen, wie in ihrem Verhalten, verändern. Auch bei meinen eigenen Macken kann ich darauf achten, dass sie nicht dauernd zu Buche schlagen. Es ist doch sinnlos, sich damit das Leben schwer zu machen.
Oder ist es vielleicht gar Lust am Streit? Kommt damit ein wenig Lebendigkeit ins Älterwerden, weil es langweilig geworden ist? Sind es eventuell alte Verletzungen, die sich jetzt erst zu Wort melden? Traue ich mich erst jetzt, meine Wünsche offen zu äußern? Wer weiß, was alles darunterliegt!

Es geht auch im Alter um Macht

Der Eintritt ins Rentenalter, so sehr sich manche darauf freuen, ist nicht ganz ohne. Da werden die Karten neu gemischt. Jeder muss seinen Platz neu finden, der ihn zufrieden macht. Wenn ich mich gut darauf vorbereite, meine Hobbys pflege und vielleicht ein Ehrenamt einnehme, dann gelingt mir der Übergang leichter. Aber die größte Herausforderung bei Paaren besteht oft in der häuslichen Machtverteilung. Sie braucht eine neue Ausrichtung, damit es nicht ständig zu Vorwürfen kommt. Denn als Frau habe ich ja mit dem Kochen, Einkaufen, Staubsaugen, Waschen und Fensterputzen jede Menge zu tun. Wenn dann der Mann im Sessel sitzt und sich versorgen lässt, führt das nicht zu einem guten Ausgleich. Da kann es schon mal zu Ärger kommen. Gleichzeitig ist das aber mein Hoheitsgebiet als Frau, auf das ich die Hand habe. Ich kenne mich da bestens aus, weiß wie etwas gemacht werden muss und traue dem Partner oft nicht zu, meine Erwartungen zu erfüllen. Das ist sehr ambivalent, denn auf der einen Seite regt es mich auf, wenn er nichts tut und mich ackern lässt, da wäre mir lieber er würde mich unterstützen, auf der anderen Seite wird er es mir ja gar nicht rechtmachen. Kann ich ihm überhaupt im Haushalt Aufgaben anvertrauen? Wird er es ordentlich machen? Ist er nicht zu langsam? Das kann ich vielleicht nicht aushalten, dann mache ich es doch lieber selber, bevor ich hinter ihm her arbeiten muss. Er kann ja vielleicht einkaufen gehen. Aber auch nur solche Sachen, wo man nicht genau hinschauen muss, wie beim Obst oder Salat. Ihm fehlt ja der prüfende Blick“. Männer aus meiner Altersgruppe wurden in ihrer aktiven Arbeitszeit für den Haushalt oft nicht in Anspruch genommen. Wenn sie jetzt in den Ruhestand gehen haben sie meist im Gegensatz zu den Frauen erst einmal mehr freie Zeit. Sie müssen ihren Platz im Haushalt erst finden. Da lohnt es sich, sie in die Hausarbeit mit einzubeziehen. Das schafft Freiräume für mich als Frau, wenn ich die Ruhe und Geduld aufbringe ihn machen zu lassen. Damit er aber überhaupt einsteigt braucht es das Gespräch darüber, wie die Aufgaben im Haushalt gerecht verteilt werden können. Er will ja mitbestimmen welche Aufgaben er sich zutraut. Man kann nämlich die häuslichen Anforderungen aufteilen. Solche Gespräche können auf einer ruhigen, sachlichen Ebene geführt werden. Sie brauchen nicht in persönlichen Angriffen und Vorwürfen zu enden. Das tun sie dann, wenn der eine oder die andere mit der Lösung unzufrieden ist oder die Bedürfnisse des anderen nicht berücksichtigt werden.

Enttäuschungen kommen ans Licht

Eine Quelle von Streitlust sind auch Gefühle, die viele Jahre nicht ans Licht durften. Die „Zickeleien“ älterer Paare haben oft damit zu tun, dass sich einer von beiden „untergebuttert“ fühlt. Da taucht der unausgesprochene Ärger dann manchmal allzu spät auf. „Du hast dich ja wunderbar verwirklichen können, ich habe dir immer den Rücken frei gehalten“. Da steckt der ärgerliche Vorwurf drin, „ich bin zu kurz gekommen“. Solche und andere, zur rechten Zeit nicht ausgesprochenen Erwartungen an den Partner führen zu Ärger, der sich wie Ladenhüter in der Seele summiert. Irgendwann, spätestens jetzt im Alter rebellieren sie. Der Ärger muss raus. Es sind oft uralte, nie bearbeitete Verletzungen, enttäuschte Erwartungen an das Leben wie auch an den Ehepartner. Sie wurden nie benannt oder wenn benannt, nicht gehört, weil nicht hartnäckig genug eingefordert, zu früh nachgegeben, oder grundsätzlich vom anderen abgewehrt. Manchmal werden sie auch aus Angst vor möglichen Konsequenzen im eigenen Seelenkämmerlein eingesperrt, wo sie natürlich keine Ruhe geben. Jetzt, im Alter wollen sie heraus. Mit Blick auf die wenigen Jahre, die noch bleiben, bekommen diese Erfahrungen noch einmal einen richtigen Schub. Sie wollen nicht mit in das Grab genommen werden. Selbst wenn sie sich nicht mehr erfüllen, sie wollen ausgesprochen sein. Es soll Licht darauf fallen. So lange aufgestaute Enttäuschungen, die nicht befriedigt wurden, entwickeln oft eine ungeheure Eigendynamik. Das geschieht dann aber oft subtil. Man meckert über das und jenes, gibt seinem Unmut freien Lauf. Da sind dann allgemeine Vorwürfe „Du machst“, „Du hast immer“ schnell ausgesprochen. Oft bindet sich der Ärger an Nichtigkeiten. Auch wenn es zu spät ist, die eigenen Sehnsüchte noch umzusetzen, suchen sich die verletzten Gefühle einen Schuldigen. Ungelebtes Leben sucht sich wie Wasser bei einem Haarriss an der Wasserleitung seinen eigenen Weg. Es dauert, bis der Schaden entdeckt wird. Meist taucht er an einer Stelle auf, wo man ihn nicht vermutet. Was dann zum Vorschein kommt, erschreckt und ist oft schwer zu verstehen. Bei einem Wasserschaden müssen ganze Wände aufgeschlagen werden, um an die undichte Stelle zu kommen. Für liegengebliebene Konflikte braucht es Kraft, Wille und Ausdauer, einen klaren Blick um zu erkennen um was es dem anderen überhaupt geht, damit die lange verdrängten, unbefriedigten Bedürfnisse oder Verletzungen ans Licht kommen können.

Gespräche können heilen.

Jeder von uns hat so ein Kämmerlein in seiner Seele, in dem Verwundungen, Unzufriedenheit, Ärger abgelegt werden. Wir kennen sie alle, die Verletzungen, die uns von klein auf zugefügt wurden, die Missachtungen, die wir erlebt haben, das Leid, das wir durchleben mussten und vielleicht nicht genügend betrauern konnten, die Ungerechtigkeit, die wir erfahren haben. Alles das, was wir gut verdrängt in dem Seelenzimmer eingeschlossen haben. Wir kennen auch die Situationen, in denen wir selbst unserem Anspruch nicht gerecht wurden, wo ich verletzt, zu Missachtung beigetragen, oder ungerecht gehandelt habe. Alle diese Erfahrungen liegen in uns. Solange ich wegschaue und sie nicht bearbeite, arbeiten sie gegen mich. Sie nehmen Einfluss auf meine Grundstimmung, machen unzufrieden, streitsüchtig, depressiv. Damit ich in einer guten seelischen Balance bin, kann ich in diesem Seelenzimmer einfach hin und wieder Hausputz halten. Was ich mit anderen klären muss, kann ich ansprechen, was ich mit mir selber ausmache, kann ich meditieren. Das entlastet mich und andere, denn ich brauche meinen Lebensfrust nicht auf den anderen ablassen. Wie häufig passiert es, dass wir Ärger abbekommen, weil andere mit ihrem Leben unzufrieden sind und einen Blitzableiter suchen. Vermutlich stelle auch ich solche Situationen her.

Sich mit dem Leben versöhnen

Das Alter spült unbearbeitete Erfahrungen noch einmal an die Oberfläche, weil ich keine faulen Kompromisse mehr eingehen, nichts mehr wegschließen möchte. Meine Seele ruft nach Ausgleich, nach Versöhnung, nach Frieden. Friede ist ihr aber nur vergönnt, wenn ich mit mir und meinen Erfahrungen versöhnt bin. Versöhnung ist die Würdigung dessen, was mir das Leben geschenkt hat, was mir gefehlt hat, wie ich damit umgegangen bin, was ich daraus gemacht habe. Wie angenehm ist es Menschen zu begegnen, denen man den täglichen Überlebenskampf zwar ansehen kann, von denen aber ein weises Wohlwollen ausgeht, die zuhören können, die nicht von oben herunter lächeln, sondern ein Herzenslächeln von ihnen ausgeht. Sie haben einen Weg gefunden, mit sich und anderen im Frieden alt zu werden. Das heißt nicht, ohne Konflikte zu leben, jedoch von gegenseitigen, ständig neuen Verletzungen und unfruchtbaren Machtkämpfen abzusehen. 

Zu Weisheit - auch in der Machtverteilung: Alter – endlich weise werden

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Kategorie: Verstehen

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