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Missbrauch: Die zerstörerischen Verletzungen wirken weiter

Stehen zur Schuld - das brauchen die Opfer sexuellen Missbrauchs. Die Diskussion um die Gründe ist in der letzten Woche wieder entbrannt. Hinter allen Schuldzuweisungen bleibt die Aufgabe der Aufarbeitung. Weil der Berg so riesig ist, braucht es jeden, der mit abträgt.

Es braucht nicht nur Volkstrauertage, sondern auch Zeiten, sich mit der Schuld konfrontieren zu lassen, um das Böse aus der eigenen Mitte herauszuschaffen. Für die Christen sind es die 40 Tage vor Ostern, die den Blick auf die eigene Schuld lenken. Also nicht mit dem „Spiegel“ u.a. Medien den Blick auf die anderen zu richten. Dafür bleiben ja noch 320 Tage im Jahr. Haben die Katholiken die 40 Tage der Fastenzeit genutzt, um sich mit den inzwischen erst deutlich gewordenen Zahlen der Missbrauchsopfer auseinanderzusetzen? Es ist nicht die abstrakte Institution, sondern es sind die Menschen, der Schreiber dieser Zeilen eingeschlossen. Mit einem Besuch beim „Centre for Child Protection“ der Gregoriana-Universität in Rom wurde mir erst deutlich, wie stark ich selbst gefragt bin.

Jeder ist betroffen, auf jeden Fall von den Folgen

Wenn sich die Kirche als Leib Christi versteht, dann bin ich als Glied dieses Leibes mit infiziert. Ich kenne Opfer und inzwischen auch Täter. Ich gehöre zur Achtundsechziger Generation, zu deren Hauptzeit die meisten Übergriffe registriert wurden. Wir haben weggeschaut und lieber den Zölibat als institutionelle Zwangsmaßnahme bekämpft. Die siebziger Jahre waren doch auch die Zeit, in der man ungestraft sagen konnte: „Wenn es mir Spaß macht, dann kann es doch den Kindern nicht schaden.“ Im Rückblick muss ich eingestehen: Die Leute, die hätten aufmerksamer hinschauen können, die die Not der Opfer nicht registriert haben, mussten doch auch aufgerüttelt werden, als die Opfer 2010 selbst die Kraft fanden, an die Öffentlichkeit zu gehen.

Machtmissbrauch durch Nicht-Handeln

‚Es bleiben erst einmal die Verantwortlichen, die ja deshalb mit ihrem Leitungsamt reale Macht übertragen bekommen haben, damit sie handeln. Diese Macht haben sie nicht für das Wohl der Kinder eingesetzt, sondern um die Täter zu schützen. Das ist schlimm genug und hat die Folgen für die Opfer nur noch vergrößert. Aber warum gibt es erst seit 2010 die notwendige Sensibilität für die Frage. Wenn heute ein Vertuschen kaum noch möglich ist, dann liegt das doch nicht an der Institution, als hätte die sich von Grund auf reformiert. Dazu sind Institutionen gar nicht in der Lage. Es ist der Druck der Öffentlichen Meinung, der jetzt die Aufmerksamkeit und das Handeln kontrolliert und bestimmt. Das liegt einfach daran, dass eine Institution die Initiative von Sachbearbeitern und Sachbearbeiterinnen in der Regel als störend empfindet. Deshalb muss die Öffentlichkeit störend eingreifen. Das geschieht aber auf Dauer nur, wenn sich diese Öffentlichkeit mit der Frage beschäftigt, entsprechende Fernsehberichte, Artikel und Bücher wahrnimmt. Für Christen gibt es eine weitere Ressource

Jesus hat klare Vorgaben gemacht

Für die Katholische Kirche, also für jeden Katholiken, wiegt die Hintanstellung des Kindeswohls besonders schwer, weil Jesus überaus deutlich die Kinder herausgestellt hat. Nicht nur hat er den Missbrauch scharf verurteilt. In Lukas 17,2  ist diese Aussage von ihm überliefert:
„Es wäre besser für ihn, man würde ihn mit einem Mühlstein um den Hals ins Meer werfen, als dass er einen von diesen Kleinen zum Bösen verführt.“
Jesus sieht bei den Kindern auch eine größere religiöse Offenheit, er stellt sie als die in religiösen Fragen Verständigeren heraus. Sie gehören als Erste in das von ihm verkündete Reich Gottes: In Lukas 18,16f heißt es:
Jesus aber rief die Kinder zu sich und sagte: „Lasst die Kinder zu mir kommen; hindert sie nicht daran! Denn Menschen wie ihnen gehört das Reich Gottes. Amen, das sage ich euch: Wer das Reich Gottes nicht so annimmt wie ein Kind, der wird nicht hineinkommen.“  
Hätten diese Aufforderungen Jesu im Bewusstsein der Katholiken tiefere Wurzeln geschlagen, hätten nicht einzelne mit solchen Langzeitfolgen gegen das Wohl der Kinder handeln können. Die Verantwortlichen konnten die Täter auch deshalb schützen, weil die Öffentlichkeit, ob in der Kirche oder der Gesellschaft, nicht mit der gleichen Sensibilität reagiert hat wie in Fällen von Unterschlagung, Korruption, Begünstigung bei Auftragsvergabe. Jeder kann sich doch fragen, ob das Wohl der Kinder nicht von größerer Bedeutung für die Gesellschaft ist als der Umgang mit Geld. 
All diese Überlegungen bleiben allerdings weiter bei Schuldzuweisungen. Ein Blick auf das eigene Interesse zeigt dann, dass jeder von dem Geschehen betroffen ist, solange die Opfer weiter in ihrem Leid stecken bleiben

Die Schuld affiziert jeden

Die Opfer haben Gewalt erfahren. Daher mussten sie Schutzmechanismen ausbilden, vor allem deshalb, weil sie eigentlich nicht mehr vertrauen können. Hinzu kommt ein weiteres Motiv, sich zurückzuziehen: ihnen wurde nicht zugehört. Jeder, der sich zurückzieht, geht der Gemeinschaft verloren. Sind die Traumatisierten erwachsen, werden sie weiter ins Aus geschoben, indem sie für schrullig gehalten werden. Oder sie streuen Pessimismus in die Familien und Gruppen, in denen sie Mitglied sind. Da sie sich nicht direkt am Täter rächen können, lenken sie ihre Enttäuschung, ihr Misstrauen, ihre destruktiven Energien auf andere. Manche werden sogar selbst wieder zu Tätern.

„Ich habe damit nichts zu tun“

Die normale Reaktion auf diese Zusammenhänge ist, sich zu ducken: „Ich habe doch mit all dem nichts zu tun.“ In den Augen vieler stehen jedoch diejenigen, denen Missbrauch erspart blieb, für Erwachsenen, die damals dem Kind nicht geholfen, die die leisen Töne nicht verstanden haben, mit denen das Kind einen verständigen Erwachsenen gesucht hat. Wenn es sich um institutionelles Versagen handelt, dann müssen die heute für die Institution Verantwortlichen zu den Verbrechen stehen, auch dann, wenn die Täter verstorben sind. Aber die Kinder, damals sehr viel jünger als die Täter, leben noch unter uns und erhoffen sich heute das Verstehen, auf das sie lange warten mussten.

Die Last muss von Vielen abgetragen werden

Noch ein weiteres Motiv, nicht an der der Aufarbeitung mit zu arbeiten: Die Last ist zu groß. Die Lähmung der katholischen Kirche in Deutschland könnte doch auch darin ihre Wurzeln haben, dass die Aufarbeitung immer wieder gefordert, aber doch nicht angegangen wird. Haben wir tatsächlich eine Kirche, die nach den Vorgaben Jesu von den Kindern geprägt wird? Und geschieht wirklich Prävention? Die wirksamste Strategie gegen Kindesmissbrauch wäre doch, dass Erwachsene, die eine solche sexuelle Orientierung haben, zur Therapie gehen. ob Ostern wirklich die erhoffte Wende für die Kirch ein Deutschland bringt?

Ostern anders feiern, nämlich die Missbrauchsopfer aus ihrer Opferrrole entlassen

Die oben dargestellten Zusammenhänge verdanke ich Gesprächen im Centre for Child Protection und den Beiträgen von dem Zentrum herausgegebenen Sammelband „Safeguarding, Reflecting on Child Abuse, Theology and Care, Rom, Löwen 2018, Peeters Publishers 2018

 

 


Kategorie: Verstehen

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