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Karneval und Fastenzeit, letzthin mit Trump durchgespielt

Karneval sollen wir Spaß haben und dann in der Fastenzeit Buße tun. Warum sich aber in ein Narrenkostüm werfen und die Narretei in Umzügen feiern. Was wird vor dem Aschermittwoch eigentlich inszeniert: Das, was wir in zwei Akten in den USA miterlebt haben: die Zwei Reiche.

Genau der Gegensatz zwischen der Erstürmung des Parlamentes am 6. Januar und der Feier zur Amtseinführung des Präsidenten am 20.1. zeigt die zwei Reiche, die Augustinus in seinem “Gottesstaat“ beschreibt. Das wird jedes Jahr mit Karneval und Fastenzeit inszeniert. 
Der Karneval liegt nicht zufällig vor der Fastenzeit. Gegensätze sollen dargestellt werden. Im Karneval ist es die Gegenwelt zu Ordnung, Rücksichtnahme, Nächstenliebe, Sorge für die Armen, Gerechtigkeit. Der dem Menschen dienenden Ordnung gilt die Fastenzeit. Der Karneval zeigt die Unordnung, Unflätigkeit, sexuelle Ausschweifung, die Laster, er ist laut und hält sich an keine Grenzen. Das haben die Anhänger des damals noch regierenden Präsidenten der USA am 6. Januar inszeniert.

Zwei Reiche als Erklärung für die Welt wie sie ist

Der meistgelesene Autor des Mittelalters, Augustinus, hat das Konzept geliefert, aus dem das Mittelalter 600 Jahre später den Gegensatz zwischen Fastnacht und Fastenzeit entwickelt hat. Das Gesellschaftmodell dieses Theologen geht von zwei Reichen aus. Das sind das von Jesus verkündete Gottesreich und sein Gegenreich, das vom Widersacher Gottes regiert wird. In der Rhetorik von Bush jun. u.a. wurde die Bezeichnung „Reich des Bösen“ wieder aufgenommen.
Augustinus hatte nicht vor, das Karnevalsbrauchtum zu begründen. Es waren wie die Amtsübergange reale politische, bei Augustinus sogar militärische Niederlagen. Er reagierte vielmehr auf eine Anklage gegen die Christen. Als 410 die Westgoten Rom eroberten, waren für die Römer die Christen die Schuldigen. Nicht das Versagen des Staates, sondern die verweigerte Verehrung der Schutzgötter Roms durch die Christen hätten die himmlischen Mächte veranlasst, die Stadt den Eroberern preiszugeben. Augustinus rollt ausführlich die römische Geschichte auf und zeigt, wie Gewalt und Ungerechtigkeit von Anfang an bestimmend waren. Schon Romulus hatte seinen Bruder Remulus umgebracht. Da das Mittelalter in Gegensätzen dachte, entwickelte es zur "guten" Fastenzeit das Gegenbild des anrüchigen, lauten, sittenlosen Karnevals. Wir brauchen uns nicht ins Mittelalter versetzen. Die Muster, die Augustinus beschrieben hat, wurden bei der Erstürmung des US-Parlamentes deutlich. Die Vereidigung des Präsidenten und der Vizepräsidentin wurde dann als Gegenwelt zu den Ausschreitungen vom 6. Januar inszeniert. Friedvoll, von gegenseitigem Respekt bestimmt, die Armen und Kranken eingeschlossen, das sind die Werte, die in der Fastenzeit neu zur Geltung gebracht werden. In den Reden, in den Gebeten und in dem abschließenden Gedicht der jungen Amerikanerin wurden besonders Gemeinsinn und Zusammenhalt beschworen. Denn Zusammengehörigkeit durch Zuspitzung der Gegensätze war durch die Vorgänge 14 Tage vorher massiv infrage gestellt worden. Das ist der Sinn eines Festes: Die Gemeinschaft mit ihrem Wertefundament bewusst erleben und so wieder stabilisieren. Da im Karneval nicht der Ernstfall angezielt wird, sondern die Umwertung der geltenden Werte und die Herbeiführung von Anarchie nur gespielt werden, kann man auch Spaß dabei haben.

Karneval ist nicht aus germanischen Wurzeln erwachsen

Es ist also nicht germanisches Brauchtum, das wieder als Austreibung des Winters an die Oberfläche gekommen wäre. Es sind auch nicht die Saturnalien. Der Karneval ist nördlich der Alpen erst im 13. Jahrhundert entstanden und in der Romantik wiederbelebt worden. Dass die evangelischen Christen sich von dem Treiben distanzieren, hängt mit dem Spaßfaktor zusammen. Eine Spaßgesellschaft im späten Mittelalter hatte Karneval bis weit in die Fastenzeit gefeiert. Die Reformatoren, die wieder zur christlichen Tugend zurückführen wollten, konnten dieses Treiben nicht gutheißen. Da die Bedeutung des Brauchtums im 16. Jahrhundert nicht mehr bewusst war, gab es auch keine Möglichkeit, zur ursprünglichen Idee zurückzukehren. Diese Tür ist erst mit dem Buch „Fastnacht, Fasching, Karneval“ von Ditz-Rüdiger Moser 1986 wieder geöffnet worden.

Reich des Bösen im Brauchtum dargestellt

Einige Hinweise zeigen, dass das Brauchtum tatsächlich die Gegenwelt zum Gottesreich darstellt:

  • Der Narr ist derjenige, der Gott nicht aus den Werken der Schöpfung erkennt und, noch mehr, sein Leben verfehlt.
  • Der Karnevalszug ist mit Narrenschiffen bestückt. Sebastian Brandt hat 1484 in dem vor Luther meist verkauften Buch „Das Narrenschiff“ über 100 Verhaltensweisen und Einstellungen als Narretei bloßgestellt. Der größte Teil der Illustrationen stammt von Albrecht Dürer. Die Verhaltensweisen, die Brant aufspießt, so „Von schlechten Schützen“, „törichtem Tausche“, „Überhebung und Hoffart“, Wucher und Aufkauf“ und weitere Narrheiten werden in den Büttenreden an lebenden Personen konkretisiert und auf den Karnevalswagen lächerlich gemacht.
  • Die Masken symbolisieren die Laster
  • Der „Fette Dienstag“, Mardi gras geht auf die Klöster zurück, wo alles Fleisch aufgegessen wurde, weil man es über die 6 Wochen der Fastenzeit nicht aufbewahren konnte. Die Gläubigen haben das dann auch übernommen. Daraus entwickelte sich dann das Karnevalstreiben.
  • Das mittelalterliche Brauchtum hat sich in der alemannischen Fasnacht am deutlichsten erhalten. Der rheinische Karneval wurde in der Romantik wiederbelebt. 1823 gab es in Köln den ersten Umzug. Die Stoßrichtung ging auch gegen die preußische Besatzungsmacht. Der Elferrat geht auf die Jakobiner zurück, Elf ist die Zahl der Gesetzlosigkeit, sie liegt jenseits der 10 Gebote.
  • Wenn vom katholischen Predigern am Karnevalssonntag eine Büttenrede erwartet wird und er so beweisen soll, dass er Humor hat, führt das zu einem Missverständnis der Fastenzeit. „Noch einmal richtig Spaß haben, weil die Fastenzeit so traurig ist“, wird von der Feier am Kapitol in Washington widerlegt. Sie war alles andere als traurig.


Kategorie: Verstehen

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