Überholte Gottesvorstellung: Gott ist anders als hier dargestellt! Foto: hinsehen.net E.B.

Glauben 2022: Im Weltbild von Evolution und Relativitätstheorie

Die Kirchen leeren sich weiter. Sie strahlen diese Leere sogar aus. Sind es die Menschen, die sich von Gott abgewandt haben oder spüren sie, dass die Worte über Gott nicht mehr mit ihren Ahnungen überstimmen, wer Gott sein könnte. Frühere Generationen haben solche Dissonanzen aufgegriffen und von Gott neu gedacht.

Neue Entwürfe, wie Gott vorzustellen sei, gibt es immer wieder. Bereits im Alten Testament finden wir eine solche Neukonzeption. Gingen die Juden lange davon aus, dass jedes Volk einen eigenen Gott hat, wurde ihnen mit der Eroberung ihres Landes durch die Assyrer und dann durch die Neubabylonier klar, dass sie mit der Deportation nach Babylon sich nicht zwingen lassen würden, den dortigen Gott anzubeten. Sie dachten weiter, nämlich dass ihr Gott auch diese Völker regiert. Die Propheten fassten diese neue Sicht auf Gott in Worte. Im Buch Daniel wird dann gezeigt, dass selbst Nebukadnezar erkennt, dass der Gott der Juden der einzig wahre Gott ist. Es war derjenige Herrscher, der Jerusalem eingenommen und die Oberschicht nach Babylon deportiert hatte. Für den Buddhismus gilt Ähnliches. Er ist eine Neukonzeption, die vom Hinduismus die Idee der Wiedergeburt behalten, aber die Vielzahl der Götter nicht übernommen hat. 

Neue Vorstellungen von Gott

Ob jüdische Propheten, Sokrates oder Buddha, eine neue Sichtweise bleibt weiter nur eine Vorstellung des Menschen. Der Mensch kann mit seinem Denken Gott nicht erfassen, trotzdem muss er sich eine Vorstellung machen, wenn er betet und an Gottesdiensten teilnimmt. Denn wie Menschen beten, was in Gottesdiensten gesagt, in Liedern gesungen, in der Malerei dargestellt wird, entspringt den Vorstellungen, die wir uns von Gott machen. Hier liegt die Macht der Theologen, denn sie verfügen über einen entsprechenden Wortschatz, um eine Vorstellung von Gott zu formulieren. Ob Judentum, Christentum oder Islam, für das Predigtamt wird deshalb eine theologische Ausbildung vorausgesetzt.
Jesus ist in den Raum der größeren Vorstellung von Gott getreten und hat diesen noch einmal weiter geöffnet, nicht nur durch Worte, sondern dadurch, dass er seine Hinrichtung über sich ergehen ließ. Er verkündet die Herrschaft Gottes. Sie braucht keine Soldaten und auch keine Banken. Seine Botschaft erreicht uns allerdings nur vermittelt. Die Evangelisten konnten nur aus ihrem Weltbild heraus sprachlich ausdrücken, was sie von Jesus berichten. Während Jesus wohl mit seinen Bildern aus der Pflanzenwelt uns ohne Brüche erreicht, sind die Vorstellungen und die damals gebräuchlichen Begriffe, die mit Schöpfung und dem Bild vom Menschen zusammenhängen, nicht mehr mit unseren Vorstellungen kompatibel.

Das Weltbild der Bibel war nicht naturwissenschaftlich

Auch die Vorstellungen, die die Evangelien vom Mund Jesu abgelesen haben, werden aus der damaligen Sicht der Welt und in der Sprache dieser Sichtweise zum Ausdruck gebracht. Diese Sichtweise unterscheidet sich grundlegend von der, die wir in uns tragen. Wir haben Urknall und Evolution als Modell, in dem sich das Leben der Menschen abspielt. Diese Welt wird durch Naturgesetze geformt, in der dann das Zusammenleben von den Beteiligten selbst gestaltet wird. Galten die Sterne früher als Garanten der Stabilität, wissen wir heute, dass sie explodieren, verglühen, in Schwarzen Löchern verschwinden. Wir sprechen zwar noch von Fix-Sternen, die gibt es aber nicht, als wären sie an ein in sich ruhendes Himmelszelt geheftet. Auch waren die Vorstellungen, wie Energie beschaffen ist und wie sie wirkt, ganz anders. Elektrizität konnte man zwar bei Gewittern beobachten, sie wurde aber nicht verstanden.
Dieses Weltbild, das ab 1500 langsam durch das Heutige ersetz wurde, ging von Kräften aus, die in das Räderwerk des Kosmos wie in das der menschlichen Geschichte hineinspielen. Während wir uns heute den Einfluss der Sterne durch die Gravitation vorstellen, waren für die Babylonier die Sterne mit geistigen Kräften ausgestattet, die Einfluss auf den Verlauf des menschlichen Lebens nehmen. Auch heute noch funktionieren Horoskope in diesem Modell und werden nicht durch die Gesetze der Gravitation erklärt. Die Vorstellung, Gravitation sei Anziehungskraft, ist auch bereits überholt. Albert Einstein erklärt sie nicht als Kraft, sondern als Krümmung des Raumes, die Sterne und Milchstraße durch ihre Masse bewirken. Seine Deutung wird durch viele Beobachtungen als das bessere Erklärungsmodell bestätigt, auch wenn unser alltäglicher Umgang mit diesen Kräften weiter davon ausgeht, dass etwas nach unten fällt, weil es schwer ist.  

Das Reich Gottes braucht kein Territorium

Jesus hat die Vorstellungen der Propheten weitergeführt. Er verkündet die Herrschaft Gottes. Diese braucht keine Soldaten und auch keine Finanzstrategien. Diese Herrschaft überkommt den Menschen nicht von außen, sondern entwickelt sich wie aus einem Samenkorn und durchdringt wie Sauerteig das Mehl. Ihr Herrschaftsinstrument ist die Idee der Gerechtigkeit und der Solidarität. Ihr Kapital, das nicht aufgezehrt werden kann und dessen Wert Gott selbst garantiert, ist die Liebe. Dieses Gottesreich braucht kein ausgewiesenes Territorium und keine Gebäude wie den Jerusalem Tempel oder die Kaaba in Mekka. Wo Zwei oder Drei sich im Namen Jesu zusammenfinden, da ist er gegenwärtig.
Diese Botschaft, dass Gott sein Reich aufbaut, kommt uns allerdings im Weltbild der Antike entgegen. Die Erde ist eine Scheibe, die auf dem Wasser schwimmt, die Sonne umkreist die Erde. Dass sich die Himmelskörper bewegen, bedarf überirdischer Kräfte, Krankheiten sind von Dämonen verursacht.

Das Gerüst wird als überholt empfunden

In Westeuropa spüren die Menschen, dass das Gerüst, das die Kirchen für die Entfaltung des Reiches Gottes darstellen, nicht mehr in die Zeit passt. Diese Art von Institution lockt kaum noch junge Menschen, sich in ihr zu engagieren. Der Synodale Prozess versucht, das Gestell umzubauen, indem die Macht innerhalb der Kirchenorganisation anders verteilt und den Frauen mehr Wirkungsmöglichkeiten eingeräumt werden. Aber wird das gelingen, ohne dass diejenigen, die hinter verschlossenen Türen die Kirche auffrischen wollen, wenigstens einigermaßen bisherige Vorstellungen, wer Gott ist und wie er handelt, hinter sich lassen. Dazu zwei Beobachtungen

1.      Die Theologie scheint keine zukunftsfähige Rolle in der Konstruktion der Deutschen Kirche mehr zu spielen. Zumindest die Bischöfe wollen einen großen Teil der Fakultäten und Hochschulen aufgeben.

2.      Die Corona-Pandemie hat viele Aktivitäten digitalisiert und damit ins Netz verlegt. Die Gottesdienstübertragungen versammeln inzwischen mehr Menschen als die Gottesdienste in den Kirchen. Auch Bildung wird zu einem viel größeren Teil medial wahrgenommen. Wie bei vielen andere Lebensbereichen, z.B. beim Einzelhandel, müssen Virtualität und örtliche Angebote neu aufeinander abgestimmt werden.

Den Glauben in der Evolutionstheorie zur Sprache bringen

Die Digitalisierung ist eines der Felder, die neu für das Evangelium bestellt werden müssen. Noch tiefgehender ist die Herausforderung, den Menschen als Ergebnis der Evolution zu verstehen. Hier sei darauf hingewiesen, dass die Einheit alles Lebendigen deutlicher geworden ist. Alles Leben wird durch die Genetik gesteuert. Die Lebewesen sind auseinander hervorgegangen und bilden damit eine innere Einheit. Die Theologie bleibt immer noch bei der Vorstellung, dass alles zusammengehört, weil es aus der Hand des einen Schöpfers hervorgegangen ist. Wieviel tiefer verstehen wir aber, was mit Schöpfung gesagt ist, wenn die Lebewesen nicht nur von außen, sondern durch die Genetik auf die innere Einheit hin angelegt sind. Diese Vorstellung, dass wir über unsere Gene und Abstammung mit allem Lebendigen verbunden sind, würde die ökologischen Herausforderungen tiefer begründen. Die Verzögerer des ökologischen Umbaus könnten sich nicht mehr auf die Aussage der Bibel berufen "Macht Euch die Erde untertan!"
Auch in der Lebensfrage „Tod“ eröffnet die Evolution einen neuen Blickwinkel. Denn die Evolution zeigt, dass ohne Tod keine Höherentwicklung möglich ist.

Raum und Zeit funktionieren anders

Unsere Vorstellung geht davon aus, dass es Raum und Zeit gibt. In diesen Raum hat Gott die Sterne und das Leben auf diesem Planeten geschaffen. Irgendwie hat auch Gott in diesem Raum seinen Platz. Viele Deckengemälde des Barock, so wie oben das von Neresheim, stimmen mit den Erkennntissender Physik nicht überein. Wir können uns allerdings auch nicht mit den Fähigkeiten unseres Gehirns die Konsequenzen der Relativitätstheorie vorstellen. Denn unsere Vorstellungskraft ist so angelegt, dass wir uns als Fußgänger oder Autofahrer orientieren und uns über die Uhr zu gemeinsamen Treffen verabreden können. Auch wenn wir uns den riesigen Kosmos in einen ihn umgebenden Raum vorstellen müssen, Raum und Zeit sind nicht größer als dieser Kosmos. Es gibt sie nur mit der Materie. Diese Materie kann sogar den Raum „krümmen“. Diese Physik, die unsere Vorstellungskraft übersteigt, ermöglicht es, die Sphäre des Göttlichen wirklich als nicht der Zeit und dem Raum unterworfen zu denken. In diese Sphäre sollen wir ja mit dem Tod hinübergeführt werden.
Dies als Beispiele, wie die Naturwissenschaften mit den theologischen Aussagen der Bibel vereinbar sind, oft sogar interessanter als mit dem Weltbild, in dem die Autoren der Bibel predigten und schrieben. Es wird neue Forschungsergebnisse geben. Aber schon vorher können weitere Lebensbereiche mit den neuen Vorstellungen der Physik und der Biologie einem tieferen Verständnis zugeführt werden.

Die Atheisten

Was für die Theologen gefordert wird, gilt auch für die Atheisten. Sie stecken noch im Weltbild des 19. Jahrhunderts. Danach hat die Materie keinen Anfang und menschliche Freiheit ist eine Fiktion, weil die Gesetze der Physik das Gehrin steuern. Wenn sie sich als Materialisten verstehen, dann müssten sie die Relativitätstheorie einarbeiten, die besagt, dass dieser Kosmos einen Anfang hatte und dass es Raum und Zeit nur in diesem Kosmos gibt. So führt uns die Vorstellung, Gravitation würde durch die Krümmung des Raumes bewirkt, über unser Vorstellungsvermögen hinaus. Wo keine Materie, da kein Raum und keine Zeit. Schwer sich vorzustellen, aber Konsequenz der Theorien Einsteins, die durch Messungen bestätigt sind. Auf was beziehen sich dann die Aussagen der Atheisten, wenn Raum und Zeit, Energie und Materie nicht „von Ewigkeit“, also nicht zeitlos und raumlos existieren.

Auch wenn das naturwisschaftliche Weltbild neue Verstehenshörizonte eröffnet, die Hauptthemen der Bibel werden dadurch nicht gelöst: Ein Zusammenleben in Gerechtigkeit und ohne Gewalt.


Kategorie: Verstehen

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