Wenn beim Tennis ein Spieler, eine Spielerin ein Match gewonnen haben, wirken sie wie erleichtert, sie werfen den Schläger weg, heben die Arme. Dann trocknen sie das Gesicht ab, trinken etwas und verlassen müde den Platz.
Ein Tor im Fußball wird ganz anders gefeiert, Freudensprünge löst ein Tor aus, Spieler umarmen sich. Manche werfen sich auf die Knie, breiten die Arme aus, als würden sie sich an eine himmlische Macht wenden. Während Sieger im Tennis den Blick meist auf den Boden gerichtet haben, blicken die Torschützen nach oben. Ihre Gestik drückt Dank aus – der sich offensichtlich an eine Gottheit. Als Bayern München noch auf den Meistertitel abonniert waren, kniet die ganze Mannschaft in einer Reihe nieder, sie fassen sich an den Händen und heben die Arme hoch.
Woher kommt das Glücksgefühl, das oft in eine Dankesgeste übergeht? Ein Tor hat etwas Überraschendes. Die Spieler wollen, dass ein Tor fällt, sie wissen, dass ihr Einsatz und ihre Spielzüge dafür die Voraussetzung sind. Aber ein Tor läßt sich nicht berechnen wie die Spielzüge im Schach. Wenn es fällt, ist mehr passiert als wenn ein Tennisspieler den Ball dahin schlägt, wo der Gegner ihn nicht mehr erreichen kann.
Anders als beim Schach zielen die Spielzüge im Fußball nicht auf das Matt des Königs. Mit dem Ball geschieht mehr, als dass er in eine bestimmte Ecke des Feldes gelangen muß. Der Ball muß verwandelt werden, damit sich auch die Gefühle der Spieler verwandeln, ekstatisch werden können. Verwandlung beim Fußball geschieht, weil der Ball, wenn ein Tor fällt, in eine andere Welt gelangt. Der Ball muß nämlich über eine Grenze gebracht werden, die für die gegnerische Mannschaft tabu ist. Hinter der Torlinie kann kein Spieler des Gegners mehr etwas bewirken. Wenn der Ball über diese Grenze gelangt, und sei es durch ein Eigentor, dann ist er in einem Jenseits. Deshalb hinterlassen Spiele, in denen kein Tor gefallen ist, eine Leere, die den Fans das ganze Wochenende verderben kann.
Der Vergleich mit Schach oder Tennis zeigt das Besondere des Fußballs. Bei Schach und Tennis bleibt nämlich alles innerhalb des Spielfeldes. Dieses Feld hat nichts Heiliges, es spiegelt allein die Welt des Menschen. Die Grenzen des Fußballfeldes führen an zwei Stellen in eine andere Welt. Die Tore lassen eine Lücke. Wenn es gelingt, diese Grenze zu überschreiten, stellt sich unmittelbar bei Spielern und Zuschauern ein besonderes Glücksgefühl ein, bei der anderen Mannschaft der Ohnmacht. Diesen Ball kann man nicht mehr zurückholen. Das Spiel fängt dann an der Mittelinie neu an. Daher hat der Fußball nicht nur mit Können etwas zu tun, sondern auch mit Hoffnungen, nämlich die vorhandenen Grenzen zu überwinden. Das erklärt das eigenartig fade Gefühl, wenn ein Spiel mit einem Unentschieden endet oder wenn es nur 0 : 0 ausgeht. Weil alle in den Grenzen festgehalten worden sind, entsteht kein Glücksgefühl.
Mit jedem Überschreiten einer Grenze ist auch ein Sterben verbunden. Zumindest stirbt die Zeit, es gibt keine Wiederholung. Auch für die Verlierer ist es wie ein Sterben, bei einem Turnier wird man ja auch aus dem Wettbewerb geworfen
Heilige Augenblicke
Wenn eine Mannschaft deutscher Meister geworden ist und auf den Stufen oder dem Balkon des Rathauses ihrer Heimatstadt vorgestellt werden, sind sie mit Insignien ausgestattet. Sie halten eine goldene Schale hoch. Schalen und Kelch werden sogar geküsst. Der Katholik traut seinen Augen nicht, kennt er doch aus seinen Gottesdiensten Schalen und Kelche, die hochgehoben werden.
Dass Pokale den Kelchen der Messfeier zum Verwechseln ähneln, deutet auf eine kultische Verwandtschaft hin. Wir stoßen nicht nur auf Gelingen, einen Sieg an, es gibt im modernen Sport auch Anklänge an die sog. Trankopfer. Sieger eines Autorennens verschütten Sekt, das kostbarste Getränk unserer Kultur, so als wollten sie die Siegesgöttin ehren.
Das Fernsehen hat ein weiteres rituelles Element geschaffen, das aus der Frömmigkeitsgeschichte bekannt ist: Den Augenblick festhalten.
Wenn ein Tor gefallen ist, wird dieser Moment wiederholt, manchmal ohne Ende. Es gibt Augenblicke, da berührt das Glück ein ganzes Volk. Einen wichtigen Augenblick, in dem Himmel und Erde sich berühren, hält in der katholischen Frömmigkeit die Monstranz mit der verwandelten weißen Brotscheibe fest. Das ist aus der mittelalterlichen Frömmigkeit entstanden. Die Menschen wollten die Hostie sehen. Das Essen der Hostie trat immer mehr zurück. Die Priester begannen, die Hostie nach den Wandlungsworten hochzuhalten, so dass die Gläubigen die Hostie sehen konnten. Da in einer großen Kirche oft mehrere Priester an den Seitenaltären Messe feierten, konnten die Menschen mehrfach diesen wichtigen Augenblick mit vollziehen. Sie wanderten dann sogar von Kirche zu Kirche, um den Augenblick der Wandlung mit zu erleben. Es war dann nur ein kleiner Schritt, den Augenblick zu verstetigen, indem die gewandelte Hostie in einem Strahlenkranz auf den Altar gestellt wurde. Das geht beim Fußball nicht. Man kann zwar den Augenblick im Bild festhalten, jedoch geht das Spiel weiter, die nächste Meisterschaft, das nächste Turnier
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