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Es sind doch nur Haare: Die Leukämie und ich – Teil 2

Eines der Dinge, vor denen ich bei der Chemotherapie am meisten Angst hatte, war der Verlust meiner Haare. Dies war auch eine der ersten Fragen an die Ärztin als ich ins Krankenhaus eingewiesen wurde. „Werden mir die Haare ausfallen?“ Angesichts der hochdosierten Chemotherapie, die ich erhalten sollte, bestand daran von Anfang an keine Zweifel.

Ich habe nie viel Aufhebens um meine Haare gemacht, war aber dennoch stolz, wenn Freundinnen mein volles und kräftiges Haar beneideten. Ich bin nicht einmal sonderlich gut darin viel mit meinen Haaren anzustellen; Aufwendige Frisuren und Stylings bekomme ich nicht hin und wenn beim Friseur mal ein paar Zentimeter zu viel abgeschnitten wurden, nahm ich dies entspannt: „Sind doch nur Haare. Wachsen ja wieder nach.“ Als ich diesen Satz im Zusammenhang mit meinem drohenden Haarverlust zu hören bekam, hätte ich jedes Mal die Wände hochgehen können.

Femininität

Ich habe die Selbstwahrnehmung meiner Weiblichkeit zwar nie auf meine Haare reduzert, doch spielten diese eine wichtige Rolle dabei. In jeder Fernsehwerbung hört man Slogans wie „Meine Haare sind mein Markenzeichen“ oder „Jede Frau wünscht sich schönes und gesundes Haar“. Wir bekommen eingetrichtert, dass schöne Haare das Bild einer Frau erst vervollständigen. Lange Wimpern machen den Augenaufschlag erst sexy und Augenbrauen geben dem Gesicht Kontur und Form. Da ich mich im Krankenhaus, tagtäglich in schlabberigen Joggingklamotten, aufgedunsen von den Medikamenten gleichzeitig aber abgemagert ohnehin nicht sehr wohl in meinem Körper geschweige denn sonderlich weiblich gefühlt habe, waren meine langen Haare der letzte „Wohlfühlfaktor“.

Um mich auf das Bevorstehende vorzubereiten bat ich eine Freundin bereits vor der ersten Chemotherapie mir die Haare nach und nach zu kürzen. Vielleicht tut der Verlust bei kinnlangem Haar weniger weh als bei Rückenlänge? Ich besorgte mir auch schon im Vorfeld eine Perücke, damit diese direkt Verfügbar ist, sobald sie notwendig sein würde. Als dann die Chemotherapie begann, suchte ich nach jedem durchgelaufenem Infusionsbeutel nach den ersten Anzeichen. Etwa zwei Wochen nach der letzten Chemo des ersten Therapiezyklus war es dann soweit. Ich merkte wie morgens immer mehr Haare in der Bürste hängen blieben. Auf dem Kissen ein paar, abends im Kragen des Pullovers wieder ein kleines Büschel. Als ich dann eines morgens ein Büschel Haare einfach vom Kopf ziehen konnte, war für mich klar: Diese Art die Haare zu verlieren war viel schmerzhafter und ich deshalb musste ich einen Radikalschnitt machen. So bat ich eine Krankenschwester, mir die Haare abzurasieren. „Sie dürfen auch ruhig weinen“, meinte sie bevor sie loslegte.

Sichtbarkeit

Ich habe an keinem Tag meiner Erkrankung mehr geweint als an diesem. Selbst als ich die Diagnose erhielt war ich emotional stabiler. Denn mit einem Schlag war die Krankheit für alle sichtbar und somit reell. Es war nicht mehr nur eine Diagnose in meiner Patientenakte, eine Infusion, die in meinem Körper verschwand. Es war ein Stigma für alle sichtbar, auch für mich selbst. Vor allem wurde ich mit jedem Blick in den Spiegel an die Schwere meiner Krankheit erinnert, ganz gleich wie gut ich mich körperlich gefühlt habe. Es hat jedoch genau eine Woche und den Zuspruch meiner Ärztin gebraucht bis ich mich zum ersten Mal getraut habe im Spiegel ohne Mütze zu betrachten, so ganz kahl geschoren.

Identität

Ich hatte schlichtweg Angst vor dem Spiegelbild, das mich erwarten würde. Angst mich selbst nicht wieder zu erkennen. Angst mich nicht schön fühlen zu können. Angst mich fremd zu fühlen. Im Nachhinein kann ich sagen, dass ich mir diese Woche der Ängste vor meinem Spiegelbild hätte sparen können, denn wie mir die Reaktionen in meinem Umfeld gezeigt haben, steht mir eine Glatze gar nicht so schlecht. Es ist natürlich ein anderes Gesicht, das mir morgens im Spiegel entgegenblickt. Doch durch die Krankheit habe ich mich auch zu einem anderen Menschen entwickelt. Nachdem ich mich einmal an das neue Gesicht im Spiegel gewöhnt hatte und feststellte, dass es mit ein wenig Maskara ziemlich ansehnlich ist, habe ich die Mützen und Tücher schnell abgelegt. Meine Perücke habe ich bisher nur dreimal getragen. Als ich dann für mehrere Tage nach Hause durfte, habe ich mich meinen Kleiderschrank komplett ausgemistet und mich neu eingekleidet. Ich wollte mich neu definieren und dieses neue „Ich“ nach Außen präsentieren, nicht über die fehlenden Haare, sondern auf eine positive Art, als Gesamtpaket.

Meine Augenbrauen sind mir zum Glück erhalten geblieben. Aber auch für deren Verlust hatten meine Freundinnen und ich schon Pläne entwickelt. Mittlerweile wachsen meine Haare auch wieder nach.


Kategorie: Verstehen

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