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den Ärger einfach weitergeben?

Über andere schlecht reden hat in den Social Media Hochkonjunktur, war aber vorher schon verbreitet. Was treibt uns, die Fehler und Versäumnisse beim anderen mit der Lupe zu vergrößern, seinen Beitrag für das Zusammenleben für selbstverständlich zu nehmen.

Ich muss es einfach loswerden, wenn ich unfreundlich bedient wurde, ein anderer den Termin versäumt, seine Arbeit nicht pünktlich abgeliefert hat. Wer mir gerade über den Weg läuft, muss sich das anhören. "Er müsste längst da sein und den Grill anwerfen" bekomme ich als Neuigkeit beim letzten Straßenfest zur Begrüßung zu hören. "Die N. kommt sicher wieder zu spät. Heute warten wir nicht, sondern fangen pünktlich um 15h an." Das lässt mich etwas zusammenzucken. Ich habe es gerade noch geschafft, kurz vor Drei da zu sein. Als es dann um den Text für die nächste Ausgabe ging, war K. wieder in Verzug. Wir hatten schon damit gerechnet.
In diesen Reaktionen kommt mir die Welt mit ihrer ganzen Unvollkommenheit entgegen. Die Äußerungen nagen an meiner Motivation. Was ich an Mitmachwille mitgebracht habe, kann da schnell in sich zusammenschmelzen.

Ich rede auch gerne über die Fehler anderer

Kaum bin ich mit anderen Leuten zusammen, fließt mir mein Frust wie von selbst über die Lippen. Es scheint viel einfacher, Negatives zu erzählen als das, was bei der Besprechung an Positivem heraus gekommen ist. Denn mit einem Problem sind wir tatsächlich ein Stück weiter gekommen. Aber das zu erklären, wäre dann doch nicht so einfach. Ich erzähle auch nicht, dass diejenige, die oft zu spät kommt, sich inzwischen richtig in die Problemlösung reinkniet. Sie schreibt den Antrag für einen Zuschuss. Vor dieser Arbeit hatten wir uns bisher gedrückt.

Wie ist die Welt nun tatsächlich gebaut? 

Auf der einen Seite belastet das Zuspätkommen von N unser Vorankommen, zum anderen bringt sie uns mit ihrer Energie weiter, sogar zu dem dringend notwendigen Geld. Könnte sie nicht effektiv und auch pünktlich zugleich sein? Oder aber sind unsere Sitzungen nur Besprechungen? Bleiben wir in den Problemen hängen, ohne dass wir Energie für ihre Lösung gewinnen? Schlucken vielleicht unsere Zusammenkünfte Motivation und damit Kraft. Müssten wir uns nicht von Vielem lösen, womit wir es uns so schwer machen? Immer wieder drängt sich Ärger dazwischen, über den wir dann auch wieder berichten können, weil er ständig neu entsteht. 

Der Ärger will weitergegeben werden

Es gibt Ärger, der nicht mehr in meinen Erzählstrom mit einfließt. Es gibt Widrigkeiten, die haben ihren Neuigkeitswert verloren, so die Zugverspätung oder der morgendliche Stau. Da klagt kaum noch jemand drüber. Aber das sind Ausnahmen. Was hält den Motor in Gang, sich über andere zu beschweren: Die Bahn ist nicht pünktlicher geworden und die Baustellen haben sich eher noch vermehrt. Welches Benzin bekommt mein Motor, der das Klagen am Laufen hält. Der Motor läuft in mir selbst:

  • Ich will mich hundertprozentig verlassen können. Jeder, der sich nicht an Zusagen, Zeiten, Arbeitsabläufe hält, verunsichert mich. 
  • Wir verlieren wertvolle Zeit.
  • Ich strenge mich an, dass alles klappt. Ich habe den Ablauf Schritt für Schritt durchdacht. Meine gute Organisation wird durch andere infrage gestellt.

Die Rechnung scheint einfach: Wenn die einen mich enttäuschen, indem sie negative Gefühle in mir erzeugen, dann braucht es andere, an die ich diese weitergeben kann. Wenn sie bei mir bleiben, dann lähmen sie mich. Ich will aber etwas zustande bringen, produktiv sein, mich für das Gelingen anstrengen. Deshalb muss "ich den Ärger loswerden".

Erzählen schweißt zusammen

Das Erzählen hat auch einen anderen Effekt. Wir, das sind Ich und die ich ins Vertrauen ziehe, sind anders. Wir halten uns an die Verbindlichkeiten. Wir "liefern", und das sogar pünktlich. Das Reden über andere führt uns näher zusammen, wir spüren deutlicher, dass wir uns aufeinander verlassen können. 
Schlecht über andere reden, kann ein gutes Gefühl erzeugen. Wir können uns über andere erheben und uns damit im Kreis der Pharisäer wiederfinden.

Die  Ärger-Bilanz

Wir müssen unseren Ärger loswerden, um unsere Aufmerksamkeit auf das lenken zu können, was wir hinbekommen müssen. Blieb der Ärger in unseren Klamotten hängen, würden wir uns ins Nicht-Gelingen festbeißen. Mit dem Erzählen befreien wir uns von den schlechten Gefühlen, infizieren aber anderseits andere mit unserer Enttäuschung, unserer Angst, zu scheitern. Die unguten Gefühle verteilen sich möglicherweise nur, nehmen aber in der Summe zu, so wie das Kohlendioxyd nicht da bleibt, wo es entsteht. Alles lädt sich weiter mit dem Ärger-Gas auf. 

Erklärung für den Populismus 

Vielleicht lässt sich der Populismus so erklären: Das Ärgergemisch hat eine solche Konzentration erreicht, dass es sich wie ein Gewitter entlädt. Dabei zeigt es eine Kraft, indem es alle anderen Gefühle ihrer Wirkung beraubt. Es kann auch nicht überraschen, dass Unmut in Demonstrationen Ausdruck sucht, die ja nicht wie eine Fronleichnamsprozession von einer friedlichen Stimmung getragen sind. Wo Populisten die Oberhand gewinnen, scheint die Abfuhr unguter Gefühle nicht mehr zu funktionieren. Hier sind die Religionsgemeinschaften gefragt. Anstatt beim Ärgerabbau aktiv zu werden, treibt die katholische Kirche eine Unzufriedenheitsspirale immer weiter. Ebenso viele muslimische Prediger, die die westlichen Gesellschaften schlecht reden, ohne zu bedenken, dass ihre Zuhörer wegen fehlender Arbeitsplätze und des Konfessionskrieges zwischen Schiiten und Sunniten jetzt vor ihnen sitzen. Als die Religion mit ihren Fasten- wie Festzeiten noch funktionierte, war ihr Beitrag für die Ärger-Entsorgung noch spürbar. Was kann ich tun, schon morgen früh:

Verstehen lässt den Ärger abfließen

Die Dynamiken des Sich-Ärgerns bleiben zwiespältig. Auch wenn ich mich nicht so leicht in die Unmutsgefühle drängen lasse, irgendwann schafft es jemand, mich in Rage zu versetzen. Die negativen Gefühle muss ich dann loswerden. Sonst werde ich zum Dauernörgler. Ich brauche Ohren, die mir zuhören und keinen Menschen, der mir sagt: "nimm es locker. So schlimm ist es doch nicht". Ich will nicht beruhigt werden, sondern mich verstanden fühlen. Deshalb hilft die einfache Regel: Sprich in "Ich-Aussage" Also nicht "Die kommt schon wieder zu spät!" sondern "ich werde immer nervös, wenn wir nicht pünktlich anfangen können." Dann gewinne ich Verstehen beim anderen, weil der nicht überlegen muss, ob ich wirklich so nachteilig über einen anderen reden muss. Er, sie können sich auf mich konzentrieren, so dass auf diese Weise mein Ärger abfließen kann. Wendet man den Umweltgedanken an, geht es um Entsorgung, die nicht neuen Müll erzeugt. 

Gott hört sich meine Klagen an

Es gibt noch eine Möglichkeit, sich aus dem negativen Ärgerkreislauf herauszuwinden. Die Religion ist dafür da, das, was das alltägliche Leben nicht leistet, in eine andere Sphäre zu transferieren. In der jüdischen Tradition hat die Klage ihren Platz. Sie findet in den Psalmen und bei den Propheten Worte, die ich auch heute nachsprechen kann. Meine Klage verändert die Situation nicht. Sie hilft mir jedoch, mich mit der Unwirtlichkeit der Welt abzufinden. Im Gebet richte ich meine Klage an eine außerweltliche Instanz, die ändern kann, wo unsere menschlichen Fähigkeiten an ihre Grenze kommen. Auch wenn die Anlässe für meine Enttäuschungen bleiben, Religion kann mein Inneres ändern, nämlich den als Gottes Geschöpf zu sehen, der wie ich mit dem Leben ringen muss und genauso wie ich nicht vermeiden kann, anderen zum Ärgernis zu werden.


Kategorie: Verstehen

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