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Alt-werden braucht Entschiedenheit

Was im Alter auf mich zukommt, kann ich In dieser Coronazeit bereits erahnen. Die Isolation, das Alleinsein, mit dem ich mich seit einem Jahr „anfreunden muss“ steht mir im Alter nicht nur für die Zeit eines Lockdowns bevor. Ich bin auf Einiges gestoßen, das mir helfen wird, mit dem Alleinsein im Alter zurecht zu kommen.

Was ist die Herausforderung

Eigentlich fühle ich mich, obwohl ich schon ein gesegnetes Alter erreicht habe, doch ganz gesund und fit. Ich fühle mich an vielen Tagen noch jung, tatkräftig und spüre Unternehmungslust. Ich will mir eigentlich noch nicht vorstellen, dass ich mal auf fremde Hilfe, einen Rollator oder einen Rollstuhl angewiesen sein könnte: Wandern, Fahrradfahren und den Garten bewirtschaften werden allerdings irgendwann nicht mehr so möglich sein. Als Single frage ich mich, was mir dann noch das Leben ermöglicht. Für Paare scheint das Thema zu dem Zeitpunkt, da beide noch fit sind, ziemlich heikel zu sein, weil beide sich dieser Perspektive stellen müssen, wenn es zu einem guten Gespräch kommen soll. Auch ich bin versucht, diese Gedanken erst mal noch vor mir herzuschieben. Denn ich will das Leben genießen. Ich denke wie Viele: „Ich lass es auf mich zukommen“ „Man wird ja sehen, wie es sich weiter entwickelt“. „Es kommt sowieso anders als man denkt“. „Kommt Zeit kommt Rat“. Ich höre die Stimmen um mich herum: „Ich weiß, was ich nicht will. Ich will auf keinen Fall in ein Pflegeheim, ich gehe aus meinem Haus nicht raus. Wenn ich da nicht bleiben kann, dann mache ich lieber vorher Schluss mit meinem Leben.“ Schnelle Antwort auf eine schwierige Situation, die noch nicht da ist. Unabhängig davon, für welche Art von Wohnen ich mich entscheide, es ist ja nicht nur die Gebrechlichkeit die auf mich wartet. Viel schwieriger ist vielleicht das Alleinsein, die Leere um mich herum. Habe ich dafür in mir ein Reservoir angelegt, mit dem ich meine Seele nähren, mir den Schmerz der Einsamkeit lindern kann?

Mit mir alleine auskommen

Es ist nicht alleine die Hinfälligkeit, die mir das Alter irgendwann einspielt, sondern auch die Einsamkeit. Denn um mich herum werden auch meine Freund*innen nicht ewig leben. Die Menschen, die mir nahestehen, haben vielleicht auch nicht mehr die Möglichkeit, sich mit mir zu treffen, weil sie selbst und auch ich nicht mehr mobil sind. Meine Kinder wohnen auch nicht gleich nebenan, um wenigstens einmal am Tag vorbei zu kommen, um mich in den Arm zu nehmen, mich aufzumuntern, mit mir zu reden, mich anzulächeln. Ich bin dann auf mich alleine verwiesen, vielleicht habe ich noch einen sporadischen Kontakt zu einer Pflegekraft, deren Zeit aber getaktet ist. Für diejenigen, die noch zu Zweit leben, wird irgendwann diese Situation auch eintreten. Kann ich dann dieses Alleinsein, diese Ruhe um mich herum überhaupt aushalten? Wäre da noch etwas, was mich von innen her zufrieden stimmt? Corona zeigt mir gerade, wie sich das anfühlt, von Kontakten abgeschnitten zu sein. Ich bin selbst gefragt, mein Leben interessant zu machen. Jetzt wo ich noch fit bin, stehen mir trotz Lockdown noch viele Möglichkeiten offen. Wenn das alles aber nicht mehr so geht? Die erste Herausforderung hat sich mir ja schon mit dem Eintritt ins Rentenalter gestellt.

Die Anregungen aus dem beruflichen Umfeld ersetzen

Mit dem Eintritt in mein Rentenalter hat sich viel verändert. Viele berufliche Kontakte sind weggefallen und damit auch Begegnungen, die mir wichtig waren und mit denen ich das Leben als lebendig und spannend erleben konnte. Nicht nur wegen Corona wird es zunehmend stiller um mich herum. Was mir bleibt, sind noch ein paar berufliche Kontakte, die mich auch inhaltlich fordern, wie auch Begegnungen und Anforderungen, die ich durch meine Ehrenämter erlebe. Auch die langjährigen Beziehungen, die ich außerhalb meines beruflichen Netzwerkes gepflegt habe, sind für mich von besonderem Wert, weil ich mit ihnen eine Verlässlichkeit und Beständigkeit erlebe, die uns hoffentlich nach Corona noch einige Jahre zusammenführt. Alle diese Kontakte helfen mir jetzt noch, mein Leben nicht nur allein aus mir heraus lebendig zu halten. Aber genau das ist der Knackpunkt: Mit zunehmendem Alter ändern sich die Voraussetzungen, da gilt es, in mir rechtzeitig etwas zu entwickeln, das mich befähigt, mit der Einsamkeit und dem Alleinsein das auf mich zukommen wird, gut fertig zu werden.

Der Garten erweitert mein Inneres

Ich habe mich vor Jahren für einen Garten entschieden. Ich bin mit ihm eine Beziehung eingegangen, die mir immer wieder Überraschungen bietet. Ich bin gefordert, mich mit ihm zu beschäftigen, ihn in seinem Wachstum zu verstehen, die Tierwelt darin zu erkunden, die Pflanzen zu beobachten. Als ich noch berufstätig war, hatte ich die Zeit nicht, mich so intensiv mit ihm zu beschäftigen. Jetzt bin ich immer mehr zur Beobachterin geworden. Ich lese in ihm, wie in einem spannenden Buch. Ich schreibe über ihn. Mein Garten hat mich dazu gebracht, Ökologie auch im Kleinen zu verstehen. Ich kann immer mehr Zusammenhänge erschließen. Ich lese in Fachliteratur nach, was ich nicht verstehe. Die Zeit, die ich in ihm verbringe, lässt mich alles um mich herum vergessen. In diesem Garten ist kein Tag wie der andere. Er ist lebendig wie das Leben selbst, deshalb hat er mich auch inspiriert, auf mein Leben zu schauen. Rückblick zu halten auf das, wie sich in meinem Lebensgarten entwickelt hat. Dadurch bin ich zum Schreiben gekommen. Nach welchen Werten habe ich gelebt? Tragen sie mich auch heute noch?
Der Garten wie das Schreiben sind zeitaufwändig. Ich brauche mehrere Stunden am Tag, die mich aber auch von innen her zufrieden stellen, die mich „mich aushalten lassen“. Die Erfahrungen mit der Arbeit im Garten, die Meditationen in ihm, die stillen Stunden der Beobachtung haben mir auch einen intensiveren Blick auf die Schöpfung eröffnet. Die Erkenntnisse sind schwer zu beschreiben, mir fehlen dafür die geeigneten Worte. Ich spüre aber, dass in dieser Natur etwas Großartiges wirkt. Ich gehöre dazu, bin ein Teil dieser Schöpfung, stehe in Beziehung zu ihr. Hinter dieser Schöpfung muss etwas viel Größeres wirken als ich es denken kann. Ich spüre Dankbarkeit. Dankbarkeit für all das Schöne, das ich um mich herum erlebe, für die Herausforderungen, die mir so ein einfacher Garten stellt. Dankbar für die Tage, die ich in ihm leben kann.

Es braucht Entschiedenheit

Es ist absehbar, dass der Garten es irgendwann nicht mehr sein kann, aus dem heraus ich meine Begeisterung ziehe, aber die Verbindung zur Dankbarkeit gegenüber der Schöpfung wird mich weiter begleiten können. Ein Gang durch den Park am Teich vorbei, auf dem die Schwäne ihre stolzen Hälse recken, der Blick in die Natur, wenn im Frühjahr das frische Grün sprießt, das Vogelgezwitscher am frühen Morgen, wenn ich das Fenster öffne. Für andere ist es nicht der Garten, sondern vielleicht der Hund, der zum Begleiter im Alter wird oder die Musik, mit der ich in andere Sphären eintauchen, der ich zuhören oder die ich selber spielen kann. Für manche gibt es vielleicht noch den Traum, zu studieren oder Wissen in anderen Gebieten durch Literatur zu erweitern, um das Leben besser zu verstehen, um die Einsamkeit auszuhalten. Es gibt viele Möglichkeiten, mit denen ich mein Alleinsein zufriedenstellend füllen kann. Aber ich muss von innen heraus Ja dazu sagen, es wirklich wollen. Das habe ich an mir selbst beobachtet. Der Garten, den ich in den beruflichen Jahren nur notwendig versorgt habe, hat mich jetzt immer mehr hineingezogen. Es gibt so viel zu entdecken, ich beobachte viel genauer und habe gelernt, wie ich als Gärtnerin die Pflanzen an den richtigen Platz setzen muss, damit sie sich entwickeln. Ich rede sogar mit ihnen und sie danken es mir mit gesundem Wachstum. Wenn ich den Garten nur nebenbei weiter betrieben hätte, wäre ich nicht so gut durch den Lockdown gekommen. Mich wirklich darauf einlassen, von dem Thema, dem Projekt aufsaugen lassen, darum geht es. Dafür brauche ich Entschiedenheit.

Garten-Beobachtungen Garten - fließendes Leben


Kategorie: Verstehen

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