Nicht nur die Kölner sind ausgelassen, verkleiden sich und ziehen so in den Straßen umher. Sie wollen über alles lachen, was aus menschlicher Schwäche schiefgegangen ist. Es geht ihnen also um die Welt, wie sie ist und wie sie durch Humor erträglicher wird. Augustinus ist der ursprüngliche Ideengeber. Angefangen hat es erst einmal ganz einfach. Das zeigt das abrupte Ende des Karnevals-Treibens am Dienstag vor dem Aschermittwoch, der noch einmal die Vergänglichkeit deutlich macht, indem in der Kirche den Leuten Asche aufs Haupt gestreut wird. Das karnevalistische Lächerlichmachen wird durch den biblischen Satz „Staub bist Du und zum Staub wirst zu zurückkehren:“ zugespitzt, zitiert aus dem ersten Buch der Bibel. Damit wird die strenge Fastenzeit eingeleitet. Die Fastnacht begann mit einer sehr angenehmen Aufgabe, nämlich alles Fleisch und die Eier zu verzehren, weil diese für die nächsten 40 Tage vom Speiseplan der Fastenzeit verschwinden sollen. In Frankreich wird dieser Dienstag auch „fett“ genannt, Mardi gras. Das Mittelalter hat dann diesen Tag vor dem Beginn der Fastenzeit ausgeweitet, so dass heute in den meisten Städten und Dörfern der Montag der Haupt-Karnevalstag ist. Anderes als das Feuerwerk an Neujahr hat die Karnevalszeit nicht heidnische Ursprünge, sondern ihre Wurzeln in den Klöstern. Dort wurde vor dem Aschermittwoch noch einmal richtig gefeiert. Die Bürger haben das übernommen und der Ausgelassenheit eine regionale Färbung gegeben.
Jedes Mahl braucht eine Deutung
Das Mittelalter hat seine Weltsicht auf den erst einmal notwendigen Verzehr von dem damals nicht lange konservierbaren Fleisch eingebracht. Es kam zu einer Deutung entsprechend der Vorstellung dieser Epoches: Zu jeder guten Welt gibt es eine negative die Gegenseite. So wird erst seit dem Mittelalter dem guten Nikolaus der schreckerregenden Knecht Ruprecht oder Krampus zur Seite gestellt. Schon romanische Kirchen zeigen seltsame Fratzen. Wasserspeier sind als Drachenköpfe geformt, Löwen, Wölfe, Bären und andere Tiere schauen den Kirchgänger bedrohlich an. Diese Tiergestalten sind dem letzten Buch der Bibel, der Offenbarung des Johannes entnommen. Im Karneval wird mir die Gegenwelt zur Fastenzeit vorgestellt, jedoch nicht so massiv wie im Horrorfilm. Die Verkleidung, die Masken, die Reden, die Umzüge zeigen die Welt der Verführung, des Bösen, des Wider-Göttlichen. Diese Vorstellung hatte Augustinus entwickelt, er spricht von zwei Reichen. Während es in dem einen gesittet, ruhig, besonnen zugeht, herrscht im Reich des Teufels Krach, man ist frech, obszön, laut, isst so viel, wie man bekommen kann, der Alkohol fließt und im Sexuellen gelten die üblichen Normen nicht mehr. Ausgelassen zu sein, weil die üblichen Konventionen außer Kraft gesetzt sind. Masken als Grimassen zeigen, dass das Verspotten im Karneval seinen Platz hat.
Der Narr als die Karnevals-Figur
Die Hauptperson des Karnevals ist der Narr, derjenige, der den Schöpfergott aus der Natur nicht erkennt, der ein Tollpatsch ist. Das können Politiker, Bischöfe u.a. Prominente sein oder Jeder-Mann und Jede-Frau. Das Familienleben bietet viele Szenen, über die sich die Redner und Rednerinnen lustig machen.
Im Südwesten bei den Schwaben und Badener hat sich diese mittelalterliche Form des Karnevals erhalten. Höhepunkt ist ein Umzug, der Narrensprung genannt wird. Sprung, weil der Narren nicht wie bei einer religiösen Prozession gemessenen Schrittes gehen, sondern tänzeln, sich drehen und hüpfen. Die Masken stellten ursprünglich Tiere dar, die jeweils für eins der 7 Laster stehen: Für die Hoffart der Pfau oder das Pferd, der Neid wird durch den Drachen, der Zorn durch den Löwen, der Geiz durch den Fuchs, die Unkeuschheit durch Bock und Hahn, die Unmäßigkeit durch den Bären oder das Schwein und die Acedia, die Trägheit des Herzens, durch den Esel dargestellt. Im Südwesten gibt es auch Brauchtum zum Ende des Winters. So wird an manchen Orten der Winter in Gestalt einer Strohpuppe verbrannt.
Die Zahl 11 und der Karneval im Westen
11 ist die Zahl hinter der 10 der Gebote und meint Gesetzlosigkeit. Sie ist im Rheinland von dem Rat der Jakobiner während der Französischen Revolution übernommen worden. Dieser hatte eine Person weniger als das Kollegium der 12 Apostel. Wenn man eine sog. Karnevals-Sitzung, in der Redner, Chöre und Sänger auftraten, erlebt oder im Fernsehen verfolgt, sitzen wie bei einem Parteitag 11 Personen am Kopfende des Saales, der Präsident in der Mitte leitet die Sitzung, in der es nur darum geht, andere lächerlich zu machen und lustige Lieder zu singen. Im Rheinland lebte der Karneval mit der Epoche der Romantik wieder auf. Als Napoleon besiegt war, mussten die Rheinländer einen neuen Gegner suchen. Man fand sie in den strengen, disziplinierten, militärisch orientierten Preußen. Seit Berlin wieder die Hauptstadt der Bundesrepublik ist, funktioniert dieses Muster umso besser. Auf die Opposition gegen militäristische Staaten deuten auch die Garden hin, meist Männer in Uniformen des 19. Jahrhunderts.
Während im Südwesten die Narren zu Fuß den Umzug machen, fahren die Rheinländer mit Wagen durch die Straßen, auf denen sie Figuren darstellen, die sich in den letzten Monaten lächerlich gemacht haben. Sie werfen Karamell-Bonbons auf die Menschen, die dem Umzug zusehen. Diese Wagen sind noch teilweise als Schiffe gestaltet. Das geht auf ein erfolgreiches Buch des 15.Jahrhunderdts zurück. In über 80 Gedichten stellt Sebastian Brant die Schwächen der Menschen dar. Er nennt diese Sammlung das „Narrenschiff“, weil dieses ohne Segel und Steuer ziellos auf dem Meer des Lebens herumirrt.
Im rheinischen Karneval werden an vielen Orten ein Mann und eine junge Frau zum Karnevals-Prinzen und zur Prinzessin gekrönt. Sie übernehmen vom Donnerstag ab die Herrschaft über die Städte und Dörfer. Am Aschermittwoch legen die Prinzen und Prinzessinnen ihre Herrschaft nieder.
Italienische Maskenbälle
In München hat man die Tradition der italienischen Maskenbälle übernommen. Dort heißt der Karneval „Fasching“. In großen Sälen treffen sich Vereine und Berufsgruppen wie die Feuerwehr oder die Polizei.
Distanz der Reformation zum Karneval
Dass der Karneval in protestantischen Gebieten viel weniger bestimmend ist, hängt mit den Entwicklungen im Späten Mittelalter zusammen. Es wurde nicht mehr die Grenze des Aschermittwochs eingehalten, eine Spaßgesellschaft feierte einfach bis weit in die Fastenzeit weiter. Eine religiöse Reformbewegung musste diese Form des Karnevals ablehnen.
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