San Stephano Rotondo, rom Foto: hinsehen.net E.B.

Gott denken eröffnet Denkwege

Wenn die Philosophie Gott denkt, ist sie auf die menschlichen Verstandeskräfte angewiesen. Es bleibt dann meist bei der Frage, ob die Vernunft Gott erweisen kann. Denkt von der Bibel her setzt die Gottesfrage Denken frei. In 20 Beiträgen wird in dem Buch „Gott denken“ wird "weiter gedacht". Eine Lesempfehlung

„Gott denken, zur Philosophie von Religion“ hat zwei Hauptanliegen: Zum einen die philosophiehistorische Forschung, zum anderen die Erarbeitung eines Fundaments für eine rationale Theologie. Stark sind dabei jedoch vor allem die Abfallprodukte, Bemerkungen, Anekdoten und Denkanstöße, die zeigen, dass das Nachdenken über Gott genau da interessant wird, wo es sich mit Fragen konfrontieren muss, die es sich nicht selbst gestellt hat.

Gott und Vernunft – wer richtet wen?

Nietzsche polemisierte einmal: die Vernunft versteckt etwas im Busch und verbucht das Wiederfinden des Versteckten als Erfolg. Diese Polemik ist gegen Kants Erkenntnistheorie im Ganzen gerichtet und ob sie trifft, sei dahingestellt. Gegen Kants Religionsphilosophie hat sie jedoch sicher einen Punkt getroffen. Seit Kant verantwortet sich das Denken nicht mehr vor Gott, sondern Gott vor dem Denken. Die Bibel muss dem Subjekt, nicht das subjektive Denken den göttlichen Anforderungen genügen. Seit den Zeiten Kants ist das der primäre Zugang zu Fragen der Religion. Die Vernunft beginnt bei sich und versucht den Weg zu Gott zu finden. Dieser rationalen Theologie gehen jedoch Elemente verloren, die den Offenbarungsreligionen eigen sind – in diesen ist Gott gerade der, der unser eigenes Denken erschüttert.
Der vorliegende Band, im Vorwort wohl zu Recht als „Kompendium der Religionsphilosophie“ am Stand der Forschung angekündigt, ist lesenswert, weil er trotz einer gewissen Kantlastigkeit spürbar macht, dass das letzte Wort der Religionsphilosophie mit Kants Gott als Postulat der praktischen Vernunft nicht gesprochen ist. Obwohl der Band im Zeichen einer rationalen Theologie steht, präsentiert er immer wieder Gedanken und historische Einlassungen, die dem Denken Aufgaben stellen, auf die es von sich aus nicht gekommen wäre – schöpft also das Potential des Gedankens an Gott aus.

Ontologischer Gottesbeweis als Leitmotiv

Michael Schaeffler, dem der Band gewidmet ist, eröffnet mit einer Diskussion des ontologischen Gottesbeweises und versteht es dabei, den Stand der Diskussion seit dem 11. Jahrhundert auf den Punkt zu bringen. Seit dem Streit des Kirchenvaters Anselm mit dem Benediktiner Gaunilo fragen sich Philosophie und Theologie, ob sich die Existenz Gottes aus bloßem Denken beweisen lässt. Gott ist das „Größte, worüber Größeres nicht gedacht werden kann“ – und wenn dieses Größte nicht existierte, wäre es nicht das Größte. Dieses ontologische Argument wird schließlich in genau dem Maße zum Leitmotiv des Sammelbandes, wie es auch in der Geschichte der Philosophie über die Jahrhunderte präsent blieb. Irgendetwas scheint auszugehen von diesem verblüffenden Gedankenspiel, das noch Hegel gegen Kant verteidigte, und von dem noch ein Theodor W. Adorno in einem Gespräch mit Ernst Bloch sagte, es hänge an ihm die Möglichkeit der Utopie überhaupt.

Historische Einblicke in untergegangene Welten

Nach der Eröffnung durch Schaeffler werden geschichtliche Bezüge diskutiert. Richard Schenk verschafft einen Überblick über den religionsphilosophischen „Pilgerstand“ und Christiana Reemts rekonstruiert die drei Wege der Gotterkenntnis, die der alexandrinische Theologe Origenes im 3. Jahrhundert beschreibt. Dieser lässt neben dem vernünftigen Denken auch die religiösen Überlieferungen als Quellen der Wahrheit gelten. Das von ihm diskutiert Johannesevangelium („Am Anfang war das Wort...“) etwa gibt dem Denken eine Aufgabe, auf die es aus sich selbst heraus nicht gekommen wäre: „Das Wort war bei Gott und Gott war das Wort.“ Eine bloß rationale Theologie wird sich fragen müssen, ob sie auf „unlogische“ Gedanken wie diesen verzichten wollen kann.

Weitere Schlaglichter in die Geschichte der Philosophie, von denen insbesondere der Aufsatz von Jens Halfwassen über den ansonsten etwas unter dem Radar fliegenden Xenophanes hervorzuheben ist, wecken den Eindruck, man könne das Denken der Menschen in der Geschichte anhand der Konzepte verstehen, in denen sie über Gott nachgedacht haben. Denken sie das Eine oder eine Pluralität? Sogar: Wenn Gott einer ist, wie kann die Welt dann sein? Diese abwegig scheinende Frage wird, wie wir Dominicus Trojahns Beitrag entnehmen können, bei Parmenides tatsächlich wichtig. Der Gedanke der „1“, der Einheit, der Totalität ist kein trivialer. Ist einmal begriffen, dass die 1 alles umfasst, dass also alles eins, die eins alles ist, wird die Bewegung und Veränderung plötzlich zum Problem. Das Universum, das All, wäre nicht mehr nur eines, sondern es gäbe so viele Einsen wie das Universum Zustände hat. Die Welt mit ihren Zufälligkeiten und Veränderungen kann also, wenn man die 1 einmal begriffen hat, nur ein „Fehler des Denkens“ sein und keine eigene Wirklichkeit haben – so Parmenides. Diese und ähnlich Einblicke, dem philosophischen Geist unserer Gegenwart tatsächlich eher fremde Gedankenwelten begegnen der Leserin immer wieder in dem Band, den man, getragen von dieserlei verblüffenden Pointen, gut auch von Deckel zu Deckel durchlesen kann.

Marxismus oder Christentum?

Der große Dramatiker Heiner Müller erwähnt einmal, vielleicht sei der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit doch nicht der zentrale, sondern der zwischen Kommunismus und Christentum. Der kurz vor Schluss prominent platzierte und aus sozialwissenschaftlicher Sicht für seine Abstraktheit sicher kritisierbare Aufsatz von William J. Hoye hilft, diese Pointe Müllers verständlich zu machen: Übernimmt eine Gruppe oder eine Bewegung Verantwortung für „das Ganze“, wird sie notwendigerweise gewalttätig. Lenin muss zum Erreichen des großen Ziels der staaten- und klassenlosen Gesellschaft genau die Mittel legitimieren, die die siegreiche Revolution endgültig abschaffen soll: Gewalt, Zwang, Niederhaltung einer Klasse durch eine andere. Die christliche Ethik, so Hoye, hat bei aller Gerechtigkeit im Strafen und Belohnen einen Platz für Barmherzigkeit. Vielleicht ist mit ihr keine Revolution zu machen – offen, für oder gegen was das spricht.

Beim Versuch, Gott zu denken stößt man auf vergessene Weltbilder, kuriose Streitigkeiten und Gedanken, auf die man – und das ist die größte Leseempfehlung – aus eigenem Verstande nicht gekommen wäre. Besonders stark ist der Band, wo er seine eigene rationalistische Linie unterläuft.

Gott denken. Zur Philosophie von Religion, hrsg. von Christoph Böhr udn Hanna-Barbara Gerl-Falkowitz, SpringerVS. 79,99€
Gott denken: Diese Aufgabe zielt in die Mitte der Philosophie – und eben dieser Aufgabe widmet sich dieses Buch: einem Kompendium der europäischen Religionsphilosophie und ihrer wichtigsten Fragestellungen unter historischen wie systematischen Aspekten.

 

 


Kategorie: Gelesen

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