Feuerwerk der Achtsamkeit - Buchrezension

„Ein Schüler fragte seinen Meister: ‚Kann ich irgendetwas tun, um die Erleuchtung zu erlangen?‘ Und der Meister antwortete: ‚So wenig, wie du dafür tun kannst, dass am Morgen die Sonne aufgeht.‘ Da fragte der Schüler weiter: ‚Was für einen Sinn haben dann die spirituellen Übungen, die du lehrst?‘ Und der Meister sagte:‘ Du übst, damit du nicht schläfst, wenn die Sonne aufgeht.‘“

Mit dieser Weisheitserzählung beginnt Christina Brudereck ihr Buch. Die Autorin möchte mit dem Buch dazu „anregen, eigene Rituale zu entwickeln, sich alte, verlorene, zurückzuerobern, neue zu erschaffen.“

Heilige Pausen feiern – das soll den Tag, das Jahr, dem Leben Rhythmus geben, die Geschichte wiederholen, „ihr Geheimnis und ihre Weisheit.“

Geschichte selbst erleben

Das wunderschön mit Ornamenten, Zeichnungen und Fotos illustrierte Buch ist ein Feuerwerk von Anregungen dazu. „Ein Neuanfang muss möglich sein“, wünscht sich Brudereck. Das gilt für den Sonntag, „dem Tag, der uns unterbricht, der dem Alltag ausweicht.“ Das gilt für den Anfang des Kirchenjahrs, dem Advent, mit dem die evangelische Theologin, Sängerin und Poetin geschichtsbewusst ihr Rituale-Buch beginnt.

Sie erinnert an die Zeit „Zwischen den Jahren“ und die zwölf Raunächte, „eine Zeit zum Pläneschmieden“ und um Gott um Segen zu bitten. Sie spürt Rituale mit allen Sinnen auf, zum Beispiel die regelmäßigen Treffen zweier Freundinnen, die sich einmal monatlich an einem freien Nachmittag nicht für einen Kaffeeklatsch mit Tratsch treffen, sondern ihr persönliches Kaffeebohnen-Ritual zelebrieren: zwei Tassen stehen auf dem Tisch, zwei Hände Kaffeebohnen dazu. Dann erzählen sie sich, was bitter war in den letzten vier Wochen für sie. Jede Bohne steht für einen Stressmoment. Dann wird der Tasseninhalt gemahlen, das Bittere verändert sich. Es ist nicht weg. Aber es kommt Zucker in den Kaffee. „Und sie danken auch für das, was süß ist in ihrem Leben, und wunderbar.“

Brudereck hat keine Berührungsängste und Scheu. In großer Feinfühligkeit formuliert sie zum Beispiel ein Ritual für die Trauer über eine Fehlgeburt: „Wir legen dich in den Schoß von Mutter Erde. Tragen dich weiter in unseren Herzen. Und vertrauen dich Gott an. Es gibt Gedenkplätze für dich. Du gehörst zu uns. Wir werden von dir erzählen.“

Brudereck regt dazu an, Tagebuch zu schreiben, zu beten, zum Beispiel im Sommer täglich die vier Elemente zu spüren, auf einer Wiese sich im Schneidersitz die nackten Füße zu streicheln, um barfuß zu pilgern „auf den Weg des Friedens.“

Eine große Vielfalt

Sie hat als evangelische Christin auch keine Scheu vor dem Sich-Bekreuzigen, oder den Namenstag zu feiern. So bunt der Reigen der alten und neuen Rituale auch sein mag, und auch das Buch erhebt dafür auch in keiner Weise einen Anspruch auf Vollständigkeit, so wichtig ist Brudereck der Geist, in dessen Dienst ihrer Meinung nach persönliche Rituale stehen sollten: „Barmherzigkeit möge im Mittelpunkt aller Rituale stehen.“

Denn eines ist für den gewiss, der sich von Brudereck zur eigenen Rituale-Entdeckungsreise neu inspirieren lässt: Gott lässt seine Sonne aufgehen (Mt 5,45). „Für alles gibt es eine Zeit“! Christina Bruderecks Buch ist eine liebevolle Einladung, achtsam und wachsam zu leben. 

Christina Brudereck: Für alles gibt es eine Zeit. Rituale für Tag, Jahr und Leben. SCM-Verlag, 2018, 112 Seiten, ab ca. 14,95 €.


Kategorie: Gelesen

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang