Foto: hinsehen.net

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Politik- nur noch Episoden

Jeden Tag gibt es Neues, Wahlergebnisse, Attentate, Fußballspiele und morgen dann wieder Neues. Der amerikanische Präsident kommt dem nur noch mit Twitter nach. Was gestern war, gilt heute offenbar nicht mehr. Wir springen nur von Ereignis zu Ereignis. Es braucht dann keine Pläne mehr, morgen ist es sowieso wieder anders und Trump hat sein Gezwitscher von gestern längst widerrufen.

Wir machen es ja alle mit.

Mehrmals am Tag drängt sich uns über Posts, Newsletter, wenn wir Microsoft Edge oder eine andere Nachrichtenseite anklicken ein Schwall von Informationen auf, die registriert, kommentiert, beantwortet werden wollen. Wir bleiben an das gefesselt , was gerade sich aufdrängt.
Aber gibt es nicht die langfristigen Abnehmprogramme. Nein auch hier kann man in 48 Stunden Kilos abnehmen. Wenigstens behaupten einige in den Kommentarspalten solcher Anbieter, dass es ihnen gelungen sei.
Wir sind mit Internet und Social Media in ein neues Zeitalter eingetreten. Möglichst schnell mit einer Meldung online sein, um bei Google im Ranking oben zu stehen. Dann auf Facebook schnell ein Kommentar und dann zum nächsten Post. Es passiert wirklich zu viel.

Wir sind gut vorbereitet auf die Twitter-Kommunikation

Aus unserer Stammesgeschichte bringen wir die Fähigkeiten für diese Kultur mit. Ein Anthropologe beschreibt diese Welt.

"Ihr Verhalten ist komplex und scheint unreflektiert, konkret und situationsbedingt zu sein. Auch ihre Gebärden und ihr soziales Verhalten ist unmittelbar, auf kurze Zeitstrecken angelegt als Antwort auf die Umwelt. In der Tat .... Ist diese Welt episodisch. Ihr Leben spielt sich in der Gegenwart ab, das sich als Abfolge einzelner Episoden darstellt. Ihr Gedächtnis ist darauf angelegt, Episoden zu behalten .... (sie sind) an die konkrete Situation gebunden. Ihr Sozialverhalten reflektiert die Begrenzung ihrer Situation. Ihre Kultur kann daher als eine episodische Kultur bezeichnet werden." So zu lesen bei Merlin Donald, Origins of Modern Mind. S. 149, Three Stages in the Evolution of Culture and Cognition, Havard Univesity Press, 1993

Den ganzen Tag sich nach dem Neuesten ausrichten

Die Nachrichtenflut über WhatsApp, Facebook, Mails und Nachrichtenportale gehören zu unserer Lebenswelt. Während man früher nach der Lektüre der Morgenzeitung und der Durchsicht der Post bis zum Abend seine Antennen einziehen konnte und nur noch den Telefonhörer abnehmen musste, beansprucht der Bildschirm heute die Aufmerksamkeit über den ganzen Tag. Immer wieder muss man auf mehreren Kanälen checken, was sich verändert hat. Aber nicht nur wischen, sondern auch reagieren. Die anderen warten nicht. Spätestens in 10 Minuten muss man auf den letzten Post reagieren. Die oben zitierte Beschreibung scheint exakt wieder zu geben, welche Reaktionen uns die digitale Revolution geformt hat:

Das Kommunikationsmuster der Primaten

Die digitalen Kanäle fixieren uns in der Gegenwart. Wenn die obige Beschreibung zutrifft, dann sind wir auf dem Stand von Schimpansen. Denn die Beschreibung hat als Objekt nicht eine Gruppe von Menschen, sondern von Schimpansen. Die obige Rohübersetzung hat das Objekt der Beschreibung unterschlagen: Donald hat nämlich die Kommunikationsmuster der Schimpansen deshalb beschrieben, um zu zeigen, wodurch sich das Sprachwesen Mensch unterscheidet und wie es durch Sprache der einzige Affe ist, der langfristig Ziele verfolgen und damit sein eigenes Leben und das seines Stammes in die Hand nehmen kann. Zudem gibt es erst für den Menschen "Geschichte", also einen inneren Zusammenhang von Episoden. Gerade das hat der amtierende Präsident nicht im Sinn, man wird über ihn kein Buch schreiben können, sondern nur eine Zusammenstellung von Einzelereignissen. Ebenso ist eine auf WhatsApp und Facebook zentrierte Kommunikation nicht auf Verknüpfung von Episoden aus, sondern spült nur Einzelereignissen durch das aktuelle Zeitfenster, ohne Zusammenhänge herzustellen:

Schimpansenkommunikation

Ist die Twitterkommunikation des US-Präsidenten nicht die Absage an eine auf strategische Ziele angelegte Politik. Twitter funktioniert doch mit Trump deshalb so gut, weil jeder Sinneswandel, jeder Strategiewechsel durch dieses Medium kommuniziert werden kann. Gäbe es nur die Abendnachrichten, dann könnte Trump nicht dreimal am Tag seine Meinung ändern. Twitter ermöglicht genau diese Schimpansen-Kommunikation und damit die Reduzierung der Politik auf Reaktion statt auf die Erreichung von Zielen. Was zum Muster der Politik geworden ist, erfasst auch die anderen Nutzer sozialer Medien. Sie erhalten so viele Nachrichten, Links, Posts, dass sie immer mehr verarbeiten müssen. Je größer die Informationsmenge, desto kürzer die Zeit, die ein Nutzer der einzelnen Nachricht widmen kann. Da gleich der nächste Post anklopft, eine Email sich durch einen Ton bemerkbar macht, eine SMS beantwortet werden will, zwingen die Social Medien ihre Nutzer in das Muster der Schimpansen zurück.

Kulturwissenschaften tauchen weg

Was wir im Moment als kulturprägend erleben, die Fesselung des einzelnen in den immer mehr anschwellenden Informationsfluss, das ist auch die Aufhebung eines biografischen Lebensentwurfs. Facebook hält noch alles fest und verspricht, dass sich aus der Timeline die Biografie des einzelnen formt. Aber wer blättert schon zurück, wenn ständig Neues erscheint. Die Facebook-Biographie ist dann ein zerhacktes Leben aus unzusammenhängenden Episoden. Snapchat hat die logische Konsequenz gezogen: was registriert wurde, wird gleich gelöscht. Aus diesen Kommunikationsmustern entsteht kein Interesse an Geschichte, wer Facebook-gewohnt ist, braucht keine größeren Zusammenhänge mehr. Den Geisteswissenschaften wird es so gehen wie dem Handwerk: Kein Nachwuchs mehr.


Kategorie: Digitalisiert

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