Fot: Gerd Altmann bei Pixabay

ChatGTP – Maschinensprache gegen Gehirnsprache

Künstlicher Intelligenz übernimmt viele Aufgaben, die bisher unser Gehirn erledigt hat. Es wird unsere Briefe schreiben, den Entwurf für einen solchen Artikel in Sekunden ausfertigen, Gebete und Predigen verfassen. Der Großteil geisteswissenschaftlicher Arbeit wird ab jetzt maschinell erledigt. Dem Hirn bleibt fast keine Routine mehr.

Wir verlernen das, was die Technik übernimmt

An der Waschmaschine, dann dem Navy und der BahnApp ist ablesbar, wie wir mit solcher Technik umgehen. Wir überlassen diesen nicht nur die Arbeit, sondern gleich das Know-how. Beim Waschen geht das noch an, aber wie viele Autofahrer haben gar keine Straßenkarte mehr im Wagen und dann oft keine Vorstellung mehr, wo sie sind. Ich bin mehrfach mitgefahren, wo der Fahrer einen ziemlichen Umweg gemacht hat. Der Grund: Von dem kleinen Bildschirm bekommt man kein "Bild" mehr wie z.B. Köln, Aachen, Duisburg zueinander liegen. Das Verlernen wird auch ChatGPT zur Folge haben.

Das gesamte Wissen mathematisch verknüpft

Der ganze Kosmos des Wissens wird auf einzelne Begriffen reduziert und vom Algorithmus zu neuen Texten komponiert. Das Fernsehen arbeitet mit seinen Quizz-Sendungen schon länger an der Reduktion der Wissenshorizonte. Das Smartphone gibt die Bildschirmgröße vor. Wir brauchen aber genau das nicht weiter, sondern das Verstehen von Zusammenhängen, den großen Bogen. Denn wer ins Auto steigt, muss an das Klima in Ozeanien denken, wer nicht zwischen den Betonburgen dem Hitzetod verfallen will, muss sich seine Stadt wie Singapur grün überwachsen vorstellen, wer von der Regierung eine andere Russlandpolitik fordert, muss verstehen, warum die Russen hinter Putins Projekt, ihr Land wieder zur Großmacht zu machen, stehen.
Wir sind dabei, uns der Fähigkeit zu berauben, die wir für die Lösung der globalen Probleme brauchen. Auf der einen Seite Globalisierung mit einem China, das Europa an die Wand spielt und einem erwachenden Kontinent Afrika, dessen viele junge Menschen dort keine Zukunft haben, weil unser CO2-Ausstoß die Wüstenflächen wachsen lässt. Oder verstehen wir durch eine Quizz-Sendung oder durch die Eingabe Hunger-Migration-Somalia bei ChatGPT, was mit den nächsten Hitzesommern auf die Zonen mit gemäßigtem Klima zukommt? Es ist absehbar, dass ohne eine große kulturelle Innovation unser Denken durch ChatGPT verkleinert wird und damit weitsichtige Politik gar keine Resonanz bei den Wählern mehr finden kann. Worauf kommt es dann an, dass unser Horizont größer wird. Durch ChatGPT wird das nicht gelingen. Zugleich verfügt der Algorithmus über einen wesentlich größeren Wortschatz als menschliche Sprecher. Hier ein erster Anlauf, der viele weite Beiträge hervorlocken soll.  

Sprache ist der entscheidende Faktor

Was eine Chat-Box "kann", ist schon da. Im Internet ist so viel Wissen sprachlich zugänglich, dass der Algorithmus brauchbare Texte liefert. Nur neue Inhalte, die noch nicht eingepflegt sind, können noch punkten. So einfach ist ChatGPT also für die Geisteswissenschaften nicht zu neutralisieren. Wenn es jedoch an der Sprache ablesbar wäre, könnten Sie als Leser erkennen, ob dieser Artikel von einem Algorithmus geschrieben worden ist. Denn ein menschlicher Autor nutzt die Sprache anders. Die These hier:

              Wir müssen die Sprache anders nutzen als der Algorithmus.

Wenn das geht, muss das an den folgenden Zeilen deutlich werden. Also: ChatGPT kombiniert die Begriffe mit Verben und Adjektiven. Es produziert Texte, die als Basis die Begriffe haben. Das hat es mit dem menschlichen Sprechen gemeinsam. Wenn wir etwas formulieren oder erzählen, dann können wir das nur mit dem Wortinventar zwischen den beiden Buchdeckeln eines Dudens. Das sind die Worte, die die deutsche Sprachgemeinschaft versteht. Würde ich neue Worte erfinden, müsste ich erst den anderen beibringen, was sie bedeuten. Das gibt es mit wenigen Worten in Gruppen. Es gibt jedoch einen entscheidenden Unterschied.
Will ein menschlicher Sprecher sich über die Gruppe hinaus verständlich machen, bleibt er zwar auf den Duden begrenzt, sucht aber aus dessen Inventar Worte anders als eine Maschine. ChatGPT hat die Worte gespeichert, verbindet sie aber dann mathematisch, nämlich nach Häufigkeit. Anders der menschliche Sprecher, der auch keine anderen Worte hat. Dieser hat Vorstellungen, sieht Zusammenhänge, fühlt etwas und sucht dazu Worte. Ehe etwas Sprache wird, ist es schon da, wenn auch oft vage. Während der Algorithmus nicht auf das „schaut“, was er formulieren will, sondern nach Worten, die mit dem gewählten Begriff häufig verbunden werden, schaut das Gehirn auf den Sachverhalt und sucht dazu die passenden Worte. Wir können deshalb heraushören, in welchem Horizont jemand etwas ahnt, einen Zusammenhang sieht, mit welchen Empfindungen der andere sich in der Welt bewegt.
Man kann sich das mit einem Bild aus der Quantenphysik verdeutlichen: Ein Elektron z.B. ist kein Kügelchen, das so um den Atomkern kreist wie die Erde um die Sonne. Es ist erst einmal ein Zustand des Raumes, der erst durch Messung als Kügelchen erscheint. Wir haben dann den Atomkern aus Protonen und Neutronen als Modell, um den Elektronen kreisen. Wenn wir jedoch anders messen, dann zeigt sich das Elektron als Welle. Das hat Werner Heisenberg schon vor bald 100 Jahren herausgefunden. Mit dem Modell lässt sich ein wichtiger Aspekt von Sprache verstehen und dann auch umsetzen. Wie mit der Messung des Elektrons machen wir mit Worten eine Ahnung, ein Empfinden, einen Zusammenhang eindeutig. Chat-Boxen haben diese Ahnungen nicht, können Zusammenhänge nur herstellen, wenn sie die Häufigkeit von Worten registriert haben. Wenn sie Empfindungen formulieren, "wissen" sie nur, mit welchen Worten welche Gefühle benannt werden, ihre Empfindungen suchen nicht nach Worten. Was ist die Konsequenz:

Rückkehr der Lyrik

Die sachliche, Tatsachen fixierende Sprache werden die Chat-Boxen übernehmen. Das wird deshalb notwendig aus der Technik folgen, weil ein Computer sehr viel mehr Worte speichern kann als unser Sprachzentrum. Wir haben zwar einen sehr großen passiven Wortschatz, also verstehen fast alle Worte des Dudens. Da der aktive Wortschatz anderswo im Gehirn lagert, dauert es, bis wir über ein Wort so verfügen, dass wir damit Sätze bilden. Es müssen eigens Dendriten, Verbindungsfäden wachsen, damit etwas in unsrem Sprachzentrum abrufbar wird.
Texte, die ein menschliches Sprachvermögen mit dem Inventar des Dudens zusammengestellt hat, sollten sich unterscheiden., indem sie das anklingen lassen, was der Sprecher geahnt, zusammengeschaut, empfunden hat. Der Leser wie der Hörer sollten erspüren können, indem die Ahnungen, das Licht des Erkennens, das Staunen über Zusammenhänge durchscheinen. Ob die Kultur sich in diese Richtung entwickelt, wird an dem Gebrauch von Lyrik deutlich werden. Hat in einem auf technische Abläufe ausgerichteten Sprachsystem jedes Wort eine begrenzte Bedeutung, wird es sozusagen zum Korpuskel, wird in der Lyrik das Wort zu Welle, indem es anderes anklingen lässt. Die Geisteswissenschaften insgesamt werden ihre Sprachfähigkeit wieder in den Mittelpunkt stellen. Denn die Versprachlichung von Epochen, von Musik und Kunst wird durch die Chat-Boxen herausgefordert. Ob das, was eine Epoche erahnt, erhofft hat, ob ein Kunstwerk zur Sprache gebracht wird, kann nicht mathematisch programmiert, sondern muss unser Hirn anklingen lassen. Die Theologie, das Gebet, die Predigt wird einen richtigen Aufschwung erleben. Die jahrelangen Bemühungen einiger Theologen und Theologinnen, die Brücken zur Kunst gangbar zu machen, werden endlich von der Kollegenschaft aufgenommen. Denn einen großen Teil der heute verfertigten Ansprachen und Texte können Chatboxen genauso liefern. Wie in jeder auslaufenden Epoche haben die Theologen ihre Aussagen so vereindeutigt, dass der Horizont auf den immer größeren Gott kaum noch anklingt. Das wird u.a. deutlich, dass in den Fürbitten nicht nur um etwas gebeten wird, sondern Gott auch gleich genau gesagt bekommt, wie er am besten die Bitte erfüllt. Es scheint fast so, als wüssten die Theologen ziemlich alles Wichtige über Gott. Die Lexika, Handbücher und Kommentarwerke wandern in den Algorithmus, Microsoft stellt 10 Milliarden Dollar bereit. Die Geschichte von David wird wieder aktuell. Der einzelne Kopf tritt gegen die Gesamtheit des gespeicherten Wissens an.

Die Medienleute haben noch nicht erkannt, welche Aufgabe sie in Bezug auf die Kirche wie auch für alle Kultureinrichtungen haben – nämlich zu erklären, wie ChatGPT die Arbeitsplätze vieler Geisteswissenschaftler überflüssig machen kann, wenn nicht …..

Sie reizt es, den Horizont der zukünftigen Geisteswissenschaften abzutasten. Mailen Sie uns Ihren Beitrag.

Link: Die Berufsausübung der Geisteswissenschaftler wird massiv durch die Text-Algorithmen verändert. Hier zum Beitrag: Textarbeiter werden durch Algorithmen ersetzt


Kategorie: Digitalisiert

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang