Den religiösen Weg weiterzugehen, war in den fünfziger und sechziger Jahren wie selbstverständlich einer in der Kirche. Kontemplativ oder in Gesundheits- und Erziehungsberufen, als Seelsorger, in den Wissenschaften oder wie ich in den Medien. Wie heute hatte die Kirche viele verlockende Berufswege eingerichtet. Wir hatten überzeugende Priester erlebt. Zudem war die Kirche vom Nationalsozialismus fast nicht korrumpiert und bot auch im Kulturbereich viel mehr Möglichkeiten. Katholisch war nicht bloß Pfarrei. Das wollten wir modernisieren und ausbauen. Das mussten wir ja, weil sonst Gott keinen Zugang zu Menschen finden würde. Als ich den jungen Leuten zuhörte, wurde mir dieser grundlegende Irrtum bewusst. Gott von uns etwas Anderes. Denn Gott wirkt direkt im Menschen. Er weckt eine Sehnsucht, tiefer zu suchen. Es ist etwas Anderes als Neugier, die jungen Leute wollen die tieferen Schichten erreichen. Es sind Meditation und Gebet, Exerzitien, eine Gruppe, die auf demselben Weg ist.
Gott braucht keine Institution
Heute, so war mehrfach herauszuhören, kommt die Kirche jungen Menschen als starre Institution entgegen. Das wurde so auf den Punkt gebracht: Man muss zuerst an die Kirche glauben. Wir haben Kirche als die Voraussetzung gesehen, damit die Menschen zu Gott finden. Deshalb musste die Kirche optimiert werden. Wir verstehen uns immer noch als Gottes-Experten, die den Menschen Gott nahebringen müssen. Ein Schlagwort war “Weitergabe des Glaubens”. Das widersprach schon immer der kirchlichen Lehre, dass der Heilige Geist den Glauben stiftet. Damit haben wir uns zu wichtig genommen und predigen heute noch so, als hinge es von uns ab, ob jemand seinen bzw. ihren Weg zu Gott findet. Es war auch immer schon durch die Verehrung der sehr verschiedenen Heiligen klar, dass jeder seinen Weg ganz individuell finden muss. So wie die jungen Leute heute. Denn eine Institution glaubt nicht, sie verwaltet.
Die Kirche kann besser verwalten als beten
Die Institution “Kirche” wirkt auf die jungen Leute zu oberflächlich, sie scheint nicht aus tieferliegenden Schichten zu leben. Unser “Zuerst Kirche” hat zu dem fatalen Eindruck geführt, man müsse an die Kirche glauben. Ich muss glauben, dass Jesus eine Gemeinde wollte, aber nicht an die Kirche, wie sie heute ist. Dass es um Gott geht, das zu zeigen und zu leben, haben wir Priester offensichtlich nicht hinbekommen. Der sexuelle Missbrauch ist der Beweis. Er trifft die Katholische Kirche deshalb so, weil alles auf den Pfarrer zugeschnitten ist und jeder Fehler ein Fehler der ganzen Kirche ist. Das war in meiner Jugendzeit anders. Da waren die Kapläne wichtiger und an den Gymnasien, den Berufsschulen und auch an den damaligen Volksschulen waren Priester die Religionslehrer. Heute gibt es Priester nur noch als Pfarrer, die dann noch Vorgesetzte vieler Hauptamtlicher sind und die die Letztentscheidung über das Geld haben. Offensichtlich haben wir unsere Rolle so wie die Politiker zu einer Art Omnipotenz entwickelt. Wir können alles und sind dann auch für alles verantwortlich, was nicht läuft.
Wir sollten zuhören
Mit vielen anderen urteilen wir über die jungen Menschen von außen. Sie sind in unseren Augen der Säkularität anheimgefallen, kleben am Handy und sind unkonzentriert und leistungsschwach. Das wird in Büchern über die Generation Z ausgebreitet. Aber wie sollen sie der Oberflächlichkeit entrinnen, wenn die Kirchenleute alles niederschwellig gemacht haben. Hört man den jungen Leuten zu, auch denen, die sich nicht auf die Suche nach Gott sind, dann ist es eine wertorientierte Generation, für die Freundschaft und Partnerschaft an erster Stelle stehen und nicht der berufliche Erfolg – wie es ihnen die Eltern vorgelebt haben. Wer ihnen zuhört, muss sich anhören: Es hat mich nicht überzeugt, Religionsunterricht und Firmvorbereitung waren zu oberflächlich. Das lässt sich am Wochenablauf eines Pfarrers unmittelbar ablesen. Dieser ist durch die Institution bestimmt. Er muss viele Sitzungen absolvieren, den Einsatz der Hauptamtlichen am Laufen halten und ist dann gefragt, wenn etwas nicht funktioniert.
Gemeinde braucht keinen Pfarrer, über den alles laufen muss
Ich habe das Glück, in einer englischsprachigen Gemeinde den Sonntag zu erleben. Die Gemeinde hat sich selbst gegründet und wird von einer Frau und einem Mann geleitet. Ich feiere zweimal im Monat die Messe und muss nicht schauen, ob vorher oder nachher Gemeinde läuft. Ich kann mich deshalb auf die Menschen einstellen. Aus dieser Rolle heraus sehe ich, dass die Pfarrer einer deutschen Gemeinde wie Gulliver in eine komplizierte Organisationsstruktur wie geheftet sind, wie teuer das alles geworden ist und wie von den bischöflichen Verwaltungen immer weitere Fäden lähmend über die zarten Pflänzchen der Gottsuche gelegt werden. Nicht mehr Ideen bestimmen die Organisation, sondern das Geld. Dass es viel einfacher geht, zeigt auch der Tag mit den jungen Gottsuchern.
Gemeinde nicht Organisationseinheit, sondern in überschaubaren Gruppen
Die jungen Leute sagen übereinstimmend, dass ihr Weg ohne Gemeinschaft nicht möglich gewesen wäre. Die Dimension „Kirche“ ist in folgenden Merkmalen beschrieben:
Sich so wie ich bin, mich zugehörig fühlen können. Mit andere zusammen sein, die sich auch auf den Weg zu Gott aufgemacht haben. Nicht indoktriniert werden, sondern zuerst Gehör bekommen, damit man erlebt, dass der eigene Weg zu Gott Thema ist. Die rituelle Dimension gehört dazu, tragend sind jedoch Meditation, Gebet, Austausch. Das ist die gleiche Reihenfolge wie im Ritus selber, dem nicht nur in der Eucharistiefeier eine Beschäftigung mit dem Weg zu Gott, vermittelt durch biblische Texte, vorausgeht. Und alles das nicht nur punktuell innerhalb eines Gottesdienstes, sondern als längere Wegstrecke. Der Tag hat dieser Erwartung entsprochen. Er war so aufgebaut wie Papst Franziskus die Bischofssynoden eingerichtet hat und die zum Konzept einer synodalen Kirche geführt haben.
Synodale Kirche
Die 7 Stunden, die wir zusammen waren, brauchten keine Referenten. 10 junge Leute haben nicht referiert, sondern von sich erzählt. Es gab kein Plenum, sondern Tische mit bis zu 10 Leuten. Man musste sich nicht einen Platz suchen, sondern fand seinen Namen einem Tisch zugeordnet. In den Gruppen wurden nicht die Beiträge kritisch diskutiert, sondern das ausgetauscht, was die Einzelnen aus den Berichten mitgenommen hatten. Mir ist klargeworden, dass ich nur zuhören muss, wie Gott wirkt. Zuhören und Gruppen um Tische herum gestalten. Es funktioniert nicht nur, sondern erreicht eine tiefere Ebene als es Vorträge ermöglichen.
Resümee: Die Kirche, nicht die jungen Leute müssen sich ändern
Zum Priesternachwuchs ist mir nicht nur klargeworden, dass die jungen Leute den Weg zurückgelegt haben, den meine und auch noch weitere Generationen erst mit den 30-tägigen Exerzitien im Noviziat begonnen haben. Wir waren meist über einen kirchlichen Jugendverband in die Vorstellung hineingewachsen, das zu unserem Beruf zu machen. Das war sinnvoll und vom Umfeld unterstützt. Wenn aber Religionsunterricht und Firmvorbereitung nicht mehr prägen und der Kirchenbetrieb als zu oberflächlich erlebt wird, wie soll es da zu einer Motivation kommen, diesen “Laden” zu übernehmen. Wenn sie das, was Sie gesucht haben, in der Pfarrei nicht gefunden haben, warum sollen sie den Pfarrerberuf wählen oder in einen Orden eintreten? Im Evangelium wird das Dilemma „Organisieren – Zuhören“ an den Schwestern Maria und Martha verhandelt. Martha ist mit der Essensvorbereitung beschäftigt, Maria sitzt bei Jesus. Dieser brauchte kein Dreigänge-Menu, sondern ist wegen des Gesprächs gekommen.
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