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Wie Weihnachten funktioniert: nach J. S. Bach

Das Weihnachtsoratorium ist alt, veraltet aber nicht. Man kann es jedes Jahr hören. Viele Melodien klingen nach. Welche Dramaturgie hält die Geschichte von der Krippe bis zu den Drei Weisen aktuell? Bach zieht uns mehr in das Geschehen als mancher Gottesdienst.

Der Vortrag der weihnachtlichen Ereignisse mündet in die Antwort der Hörer

Die Kantaten, die vom 1. Weihnachtstag bis Drei Könige für den Gottesdienst komponiert wurden, sind selbst Gottesdienst. Nachdem in der Eröffnung das Thema des jeweiligen Tages angesprochen wird, werden in rezitierendem Ton einige Verse aus dem Berichten bei Lukas und Matthäus vorgetragen. Dann wird das jeweilige Ereignis besungen, indem seine Bedeutung in Arien entfaltet wird. Das ist vergleichbar den Gottesdiensten, in denen Lieder das Gehörte aufgreifen. Viele dieser Lieder finden sich in den Kantaten des Oratoriums. allein 5 sind von Paul Gerhardt, 3 von Martin Luther gedichtet Es gibt dann, deutlicher in der Struktur des Oratoriums, eine Antwort auf das zuvor Gehörte und in den Arien Entfaltete.  Meist vom Chor gesungen ist es die Antwort der Hörer auf diese Ereignisse. Damit ist das Oratorium nicht nur Lesung der Evangelien und Auslegung, sondern es formt durch die Lieder die Frömmigkeit als Antwort der Hörer, die das Gehörte zuvor verinnerlicht haben. Das Weihnachtslied, das am meisten die Weihnachtsfrömmigkeit geformt hat, "Stille nacht .." entfaltet wie in die Arien in Bachs Kantaten das Geschehen, das der Betrachter an der Krippe erkennen und erspüren kann.

Die 4. Kantate spannt den Bogen bis zum Tod

Als Beispiel sei der Neujahrstag herausgegriffen. Hier wird der Bogen bis zum Tod gespannt, nicht nur bis zum Tod Jesu, sondern bis zum eigenen Tod der Singenden. Aus dem Evangelium wird nur ein Ereignis erwähnt, die Beschneidung des Jesuskindes, die mit der Namensgebung verbunden wird. Es sind die Nr. 36 – 42. Es folgen dann noch ein 5. Teil für den Sonntag nach Neujahr und die 6. Kantate zum Dreikönigstag

Die Dramaturgie der Gesänge

Wie meist steht am Anfang ein einladender Gesang, der das Thema des Tages formuliert und eine Aufforderung beinhaltet:
   „Fallt mit Danken, fallt mit Loben
     Vor dem höchsten Gnadenthron!
    Gottes Sohn will der Erden
    Heiland und Erlöser werden…“

Aus dem Evangelientexte heißt es dann zum Fest:
„Und da acht Tage um waren, dass das Kind beschnitten würde, da ward sein Name genennet Jesus, welcher genennet war von dem Engel, ehe denn er im Mutterleibe empfangen ward.“

Dann besingt der Bass in einem Solopart den Namen Jesu

   „ Immanuel, o süßes Wort!
     Mein Jesus heißt mein Hirt …“ 


Der Chor und dann noch einmal der Bass drückt singend die Hingabe an Jesus aus
   „Jesus, du mein Liebstes Leben …“

 Dann folgen Reflexionen, die überraschen:

   „Auch in dem Sterben sollst du mir Das Allerliebste sein;
     In Not, Gefahr und Ungemach
    Seh‘ ich dir sehnlichst nach.
    Was jagte mir zuletzt der Tod für Grauen ein?
    Mein Jesus! Wenn ich sterbe, so weiß ich,
    dass ich nicht verderbe,
    Dein Name steht in mir geschrieben,
    Der hat des Todes Furcht vertrieben.“

 Der Hörer wird nicht nur auf die Vergangenheit verwiesen, sondern in seinen Ängsten angesprochen. Sogar der Tod des Menschen wird von der Menschwerdung des Sohnes Gottes umfangen

Diese glaubende Überzeugung wird durch die Zeilen vertieft, indem sie von einem trostreichen Gesang des Soprans zusammen mit dem Chor aufgenommen wird:
   „Jesus, meine Freud und Wonne,
    Meine Hornung, Schatz und teil…“

 In dieses Gedenken ist auch die aktuelle Lebenssituation des einzelnen mit eingeschlossen. Der Tenor lenkt die Hörer in Ihren Gedanken in die nächste Zukunft zurück

   „Ich will nur die zu Ehren leben,
    Mein Heiland, gib mir Kraft und Mut…“

 Dieser Blick auf die nächsten Lebensschritte wird vom Chor noch einmal vertieft, indem sich die Mitsingenden das vorher Entfaltete noch einmal persönlich aneignen:

   „Jesus richte mein Beginnen,
    Jesus bleibe stets bei mir.
    Jesus zäume mir die Sinnen,
    Jesus sei nur mein Begier.
    Jesus sei mir in Gedanken,
    Jesu, lasse mich nicht wanken!“

Diese wie die anderen Kantaten führen den einzelnen von dem Ereignis zu einer persönlichen Antwort, indem die Bedeutung des Geschehens entfalten und für die Lebensperspektive des einzelnen erschlossen wird. In den Weihnachtsliedern finden sich diese Themen wieder, selten sind sie aber so für den Gottesdienst ausgewählt, dass sie den Beter in seinem inneren Prozess begleiten.

Die hier vorgestellte Dramaturgie geht auf ausführlichen Hinweise von Helmut Gammel, Trier, zurück

Die Texte der 6 Kantaten des Weihnachtsoratoriums sollte man beim Hören mit verfolgen. Sie finden sich im Internet im Programmheft der Kölner Philharmonie


Kategorie: Analysiert

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