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Wie Denken zur Tat werden kann

Hat das Philosophieren etwas Zwingendes? Ergibt sich aus einem folgerichtigen Denken auch die Motivation, das Erkannte in die Tat umzusetzen? Ist eine Philosophie ohne praktische Relevanz widersinnig oder unlogisch? Die Wiederentdeckung der Philosophie als Lebenskunst hat zur Frage geführt, inwieweit das Durchdenken eines Problems auch eine therapeutische Wirkung haben könnte.

Bedeutende Psychologen, Psychoanalytiker und Psychotherapeuten wie Viktor Frankl, Karl Jaspers, Fritz Perls und andere haben sich mit verschiedenen Richtungen der Philosophie beschäftigt. Zum Teil ging es ihnen um die Grundlage ihres Tuns, zum anderen aber auch um die Frage des Sinns, ohne den die Therapie eines Menschen ziellos oder gar absurd wäre. Inwieweit das Philosophieren als solches heilsam ist, stand bislang weniger im Fokus der therapeutisch Tätigen.

Der indische Philosoph und Guru Osho war für viele Intellektuelle im letzten Jahrhundert ein Orientierungspunkt, entweder, weil man ihn ablehnte oder so sehr begeistert von ihm war, dass die Reise nach Poona nicht zu weit war. Osho hat einen ausgiebigen Eklektizismus betrieben, verband indische Philosophie und Religion mit westlichen Weltanschauungen. Ähnlich wie Karl Rahner war er der Überzeugung, dass es nicht mehr Religionen geben werde, sondern Spiritualität. Nicht die eine Wahrheit kann überzeugen, sondern die Wahrheit in den Wahrheiten. Kennzeichnend für diese Bewegung war und ist die gleichberechtigte Bedeutung verschiedener Weltanschauungen. Gleichzeitig mit dem philosophischen Eklektizismus verband Osho seine „Lehre“ mit Psychotherapie, um Theorie und Praxis miteinander zu verbinden.

Die Konsequenz aus dem Wissen um Verschiedenheiten

Man kann andere Länder und ihre Eigenarten studieren. Die Forschungen müssen jedoch nicht zwangsläufig eine Auseinandersetzung mit den Anschauungen sein. Vor allem bedeutet dieses Erforschen nicht, dass der eigene Blick in Frage gestellt wird.  Eine andere Weltanschauung wird aus dem eigenen Kontext heraus gedeutet und bewertet und lässt damit die andere Sichtweise nicht gleichberechtigt gelten. Der Philosoph Helmuth Plessner vertritt dagegen eine interkulturelle Sicht: „Bejahung unserer Kultur und Religion bedeutet also den Verzicht auf ihre Verabsolutierung und die Anerkennung außereuropäischer Kultursysteme und Weltbilder.“ Dies bedeutet, dass keine Kultur für sich beanspruchen kann, die eigentliche Philosophie zu besitzen. Eine solche „Arroganz“ zeigt sich allerdings bei vielen westlichen Philosophen: „Europäische Philosophie ist ein Pleonasmus, denn das europäische Denken ist philosophisch und Philosophie ist europäisch.“ (Martin Heidegger) Der Ansatz einer interkulturellen Philosophie führt, so mag es zunächst erscheinen, in eine Verwirrung. Es gibt keine verbindlichen Aussagen mehr, verschiedene Denksysteme bekommen dieselbe Wertigkeit. Und genau hierin könnte eine therapeutische Dimension des Philosophierens gesehen werden. Das Einüben eines nicht wertenden Denkens und des Aushaltens verschiedener Positionen, die nicht zu einem Konsens geführt werden, hat einen anderen Umgang auch mit sich selbst zur Folge. Dabei ist dies kein Relativismus, denn die Positionen bleiben gegeneinander stark und werden nicht durch ein Nebeneinanderstellen geschwächt, sondern in Analogie gebracht.

Die interkulturelle Philosophie als Therapie

Die Frage, wie Denken zum Handeln wird, kann ihren Ausgang nehmen bei dieser interkulturellen Perspektive. Ram Adhar Mall und Damian Peikert deklinieren dies mit einigen Philosophen aus Europa und Indien durch. Sie machen deutlich, dass eine interkulturelle Sicht immer auch eine intrakulturelle Sicht ist. In der griechischen Philosophie gab es bereits gewisse Anleihen bei der indischen Philosophie. Ein genauer Blick macht deutlich, dass es Parallelen gibt, dass Unterschiede möglicherweise nur deshalb angenommen werden, weil von einer großen Unterschiedlichkeit ausgegangen wird. Entscheidend erweist sich der Zugang bzw. die Definition der Philosophie von den Antworten und Systematiken oder von den Fragen und Problemen her. Die Orientierung an den Lösungen gibt – auch wenn nur scheinbar – eine Sicherheit. Philosophie wird dann vor allem eine Nachbetrachtung und Diskussion der Philosophiegeschichte, in der unterschiedliche Lösungswege etabliert oder aufgegeben wurden und die „Richtigkeit“ eines philosophischen Ansatzes sich durch einen langen Prozess des Durchdenkens erwiesen oder bewährt hat. Anders ist es, wenn der Zugang über das Fragen gewählt wird, dann fehlt diese Sicherheit: „Das Philosophieren wird ergriffen von der Forderung, es aushalten zu können, dass nirgends der feste Boden ist, aber gerade dadurch der Grund der Dinge spricht.“ (Karl Jaspers)

Philosophie als ein Üben

Wie der oben erwähnte Osho Philosophie als eine Art von Psychotherapie verstand und umgesetzt hat, so hat auch Peter Sloterdijk, der einige Zeit in Poona verbracht hat, Philosophie mit dem Satz von Rilke definiert: „Du musst dein Leben ändern“.  Diese Aufforderung gilt nicht als eine ethische Norm, sondern als Hinweis darauf, dass nur ein ständiges Üben zu den Dingen führt. Die Auseinandersetzung mit indischen Philosophien oder Religionen lässt erkennen, dass die europäische Philosophie sich mehr zu einem akademischen Elfenbeinturm entwickelt hat, während in Indien die Verbindung von praktischen Übungen wie Yoga oder Zen mit dem Denken eher eine Einheit darstellt. Allerdings zeigt sich durch die Beschäftigung mit philosophischen Texten aus Indien ebenso, dass die westliche Philosophie durchaus Theorie und Praxis zum Beispiel in der Philosophie der Lebenskunst miteinander verbindet. Vielleicht könnte man es auf die These zuspitzen: Was in der indischen Philosophie Yoga, Zen und andere Übungsformen sind, ist in der westlichen Philosophie die Psychotherapie.

Philosophie als Therapie

David Hume, Arthur Schopenhauer, Friedrich Nietzsche, William James, Ludwig Wittgenstein, Karl Jaspers und andere können in ihren „Philosophien“ als „therapeutische“ Schulen verstanden werden. Wie in der Psychotherapie geht es um ein Reframing, ein Bewerten der sprachlichen Bedeutungszuweisung, der Überprüfung von Fremd- und Selbstbild, dem Aufspüren „unlogischer“ Erklärungen des eigenen Erlebens und Verhaltens. Nur ein stetiges Trainieren dieser Denkaufgaben führt zu einer seelisch-geistigen Gesundheit und damit zur Lebenszufriedenheit.

Es ist der Denker, der das Denken verpflichtet

Ram Adhar Mall und Damian Peikert haben äußerst kenntnisreich die therapeutische Dimension von Philosophie beschrieben, indem sie europäische und indische Philosophie in Analogie zueinander bringen. Hierbei dient ihnen vor allem Karl Jaspers als eine Art von Bindeglied.  Der rote Faden ist dabei „Philosophie als Lebensform“ von Pierre Hadot oder die Frage, ob Denken zur Transformation verpflichtet. Eine eindeutige Antwort auf diese Frage wird nicht gegeben. Ersichtlich wird jedoch, dass sich ein notwendiges Handeln aus dem Denken ergibt, dass die tatsächliche Umsetzung allerdings mit der eingeübten Fähigkeit verbunden ist, sich um sich selbst zu kümmern und zu sorgen. Der Anspruch, Philosophie müsse eine allgemeine Richtlinie des Handelns notwendig und hinreichend erbringen, entspringt einem Absolutheitsanspruch, der eine in der abendländischen Philosophie stark entwickelten Tendenz entspricht. Eine interkulturelle Lesart der Philosophie verdeutlicht, dass es auch in der westlichen Philosophie andere Tendenzen gibt. Und vielleicht sind es philosophisch interessierte Psychologen und Therapeuten, die hierauf in besonderer Weise hinweisen und den Wert des Philosophierens für ein gelungenes Leben in den Fokus der Philosophie und der Philosophen bringen können.

Ram Adhar Mall, Damian Peikert, Philosophie als Therapie. Eine interkulturelle Perspektive. Freiburg München: Verlag Karl Alber. 29 Euro

Thomas Holtbernd


Kategorie: Gelesen

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