Eine Meinung, so könnte vielleicht konservativ formuliert werden, ist ein durch Denken und Erfahrungen erarbeitetes Weltbild. Wer eine Meinung hat, stellt bestimmte Fragen nicht mehr, weil sie sich als nicht zielführend erwiesen haben, unlogisch sind oder verworfen werden, weil sie zu einer mit der eigenen Ethik nicht kompatiblen Antwort führen würden. Wer bestimmte Fragen nicht mehr stellt, hat damit auch gewisse Themen für sich emotional abgestellt. Auf der emotionalen Saite wird keine Schwingung mehr erzeugt. Und somit entsteht auch keine Empörung oder Aufgeregtheit. Die Empörungsroutinen und das fast schon rituelle Aufgeregtsein suggeriert, dass alle Fragen offen sind. Um potenzielle Käufer oder Interessenten für Dienstleistungen ansprechbar zu halten, wären Fragen, die als abgeschlossen gelten, ein fehlender Zugang. Da jedoch das Subjekt als ein Objekt gedacht wird, das von den Möglichkeiten seiner Entscheidungen her definiert wird, wäre der Ausschluss einer einzelnen oder mehrerer Fragen kontraproduktiv. Aufgeregtsein, Empörung und eine grenzenlose Reizbarkeit kitzeln quasi abgeschlossene Fragen. Es ist nur noch schwer möglich, einen Gedanken nicht erneut zu bedenken. Es ist die fehlende Akzeptanz dafür, dass in eine ganz bestimmte Richtung nicht mehr gedacht wird.
Distanz zur Welt
Eine Meinung im Sinne einer reflektierten Weltsicht bedeutet, Distanz zu einem Teil der Welt etabliert zu haben. Eine Meinung ist mit einem nicht mehr vorurteilsfreien Zugang auf Welt verbunden. Der Ausschluss einer Frage schränkt Offenheit ein. Eine solche Einschränkung ist keineswegs als Intoleranz zu verstehen, denn der Ausschluss einer einzelnen Annahme bedeutet lediglich die Veränderung des Weges zu einem Ziel, das Ziel wird damit nicht verworfen. Political Correctness und seine Auswüchse unterscheiden weniger die Gründe einer Wortwahl, vielmehr wird etwas erneut gereizt, damit eine klare Meinung nicht gefestigt werden kann. Um sich dem Sog des ständigen Gereiztseins zu entziehen, bieten die Mauer eines Klosters oder andere isolierte Orte eine Möglichkeit. Ein anderer Weg wäre die Ideologisierung einer Meinung. Dabei wird nämlich nicht eine Frage ausgeschlossen, sondern die Auswahl der Antworten extrem eingeschränkt. Distanz zur Welt muss somit nicht nur örtlich verstanden werden. Die Offenheit für Antworten widerspricht einer Strukturierung der Dynamiken durch Algorithmen, denn um solche Muster zu erstellen, werden Fragen nicht deshalb ausgeschlossen, weil sie unsinnig wären, sondern weil sie als unwichtig bewertet werden, in das System nicht passen oder noch gar nicht gestellt wurden.
Der Mut zum Ausschluss
Eine Meinung zu haben, bedeutet somit, Alternativen ausschließen zu wollen ohne damit schon eine bestimmte Alternative zu wählen. Der Ausschluss einer Alternative bedeutet nicht Klarheit, denn durch den Ausschluss einer Möglichkeit wird die Anzahl der Möglichkeiten nicht kleiner, sondern durch die Differenzierung komplizierter. Die Berechenbarkeit einer Entscheidung oder Handlung wird schwieriger, weil der Fokus bei den Fragen liegt und nicht bei den Antworten. Der Ausschluss einer Frage lässt keine Voraussage über die Antwort zu. Wer also eine klare Meinung hat, wird undurchschaubarer und unberechenbarer. Das Phänomen Meinung erscheint auf der Oberfläche wie das Aufstellen einer These, die tieferen Strukturen verweisen hingegen auf ein Paradoxon. Meinung ist die Verkomplizierung der Fragestellung und die deutlichere Ausrichtung auf einen bestimmten Antworthorizont. Die Voraussagbarkeit einer Entscheidung oder einer Handlung wird konterkariert, da eine klare Meinung an der Redlichkeit und Logik orientiert ist und damit das Ergebnis einer Meinung nicht nur eine Entscheidung oder eine Handlung umfasst, sondern immer zurückgebunden ist an die Frage. Einen Menschen zu kennen, bedeutet daher zu wissen, welche Frage er nicht stellt. Die Orientierung an den Antworten führt dagegen oft zu Fehleinschätzungen über die Persönlichkeit des Menschen.
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