Im Internet muss man die Homepage eines Verstorbenen nicht löschen, auch der Account kann bei Facebook bleiben. Der Avatar reagiert sogar. "Trainiert" man diese bewegliche Nachbildung mit genug Texten des Verstorbenen, kann er sogar Fragen beantworten. Wenn man zum Grab geht, kann dort ein QR-Code zu der Homepage des Verstorbenen leiten.
Eine unkörperliche neue Existenz
Das Internet zeigt sich an der Todesgrenze als ein neuer Raum, zu dem es inzwischen geworden ist. Die Tür in diese Wirklichkeit öffnet sich mit jedem Handy. Wenn ein Avatar den Verstorben abbildet, lebt dieser in der digitalen Wirklichkeit weiter. Er hat die körperliche Wirklichkeit verlassen und ist in eine digitale Gestalt hinübergewechselt. Dort sind er oder sie erst einmal nur mit ihrer Vergangenheit präsent. Inzwischen ist die Technik so ausgereift, dass sie die Gesichter alter werde lassen und den Avatar auch Neues sprechen lassen kann. Um den Verstorbenen im Digitalen zu treffen, braucht es keinen Gang auf den Friedhof. Im Video ist der Verstorbene einem näher. Wenn er künstlich in einem Avatar nachgebildet ist, begegnet man ihm fast wie einem Lebenden.
Die Verstorbenen leben weiter
Diese digitalen Möglichkeiten setzen die Überzeugung voraus, dass es den Verstorben noch irgendwo gibt. Dann wäre keine Trauer mehr notwendig, er oder sie sind ja da. Diese Präsenz stellt den Trauerprozess wie die Endgültigkeit des Begräbnisses infrage. Die Trauer gibt es ja deshalb, weil der Verstorbene nicht mehr da ist. Durch die digitale Präsenz verliert der Trauerprozess etwas von seiner Schwere, verlängert sich jedoch. Das bedeutet, je länger die Beziehung zur digitalen Person aufrechterhalten wird, wird aus der Präsenz auf dem Bildschirm eine Illusion. Fraglich ist deshalb besonders, in einem Avatar den Verstorbenen als Double eine Wiedergeburt zu geben. Wollte sie das?
Digitales im kirchlichen Ritus
So neu ist die digitale Präsenz von Verstorbenen nicht. Denn auch die Beerdigungsprediger lassen den Verstorbenen noch einmal lebendig werden, auch erwarten die Angehörigen bei einer kirchlichen Beerdigung, dass die Pfarrerin oder Gemeindereferentin, der Pastoralreferent oder Pfarrer den Verstorbenen, die Verstorbene noch einmal präsent werden lassen. Diese erzeugen zwar kein Abbild, jedoch tun sie so, als würden sie aus direkter Kenntnis dem Verstorbenen ein Denkmal setzen. Nichts Anderes machen die Trauerredner wie die Programmierer eines Avatars, die den Verstorbenen auch nicht kannten. Es gibt auch Mütter verstorbener Kinder, die das Kinderzimmer im Zustand belassen, als das Kind noch nicht gestorben war.
Auch der Ritus ermöglicht eine Begegnung mit einem Verstorbenen, um so den Angehörigen eine Erinnerung an die Person zu ermöglichen. In diesen, von den Kirchen tradierten Ritus, schaut der Verstorbene in dem oft großen Abbild die Trauergemeinde an. Deshalb können Fotos des Verstorbenen auf eine Leinwand projiziert werden. Es wäre auch in Video möglich, in dem man den oder die Verstorbene sprechen hört.
Das setzt allerdings die Zustimmung der Verstorbenen voraus, vor allem, wenn mit ihr bzw. ihm ein Video aufgenommen wurde. Einem Avatar sollte keine Funktion übertragen werden, denn dieser wäre eine Verdopplung der Person.
In der Vorbereitung den Beendigungsritus, sollte erfragt werden, welches Gedächtnismedium die Angehörigen gewählt haben. Die Begleitung Trauernder sollte sie dazu hinführen, sich von dem Verstorbenen zu verabschieden. Vor allem, wenn er, wenn sie nicht gegen das Sterben gekämpft, sondern den Tod nicht angenommen haben, müssen sie nicht mehr für diejenigen noch sorgen, die sie zurückgelassen haben.
Dieser Artikel stützt sich auf den Vortrag von Matthias Meitzler, Universität Tübingen, über digitale Trauerprozesse auf der Jahrestagung "Kirche im Web" 2024.
Text: Eckhard Bieger SJ
Foto: Foto: Christian Schnaubelt / KI-generiert mit Adobe Firefly 2
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