Foto: hinsehen.net E.B.

Was wird aus der Person?

Ein Toter liegt auf dem Bett. In der Nacht gestorben. Gestern habe ich mit ihm noch zusammengesessen - im November kommen diese Erfahrungen wieder hoch. Was ist aus ihm geworden? Was wird aus mir?

Er wird nicht mehr zum Essen kommen, nicht mehr bei der Messe dabei sein. Achtzig Lebensjahre haben seinen Körper verschlissen. Wo ist er jetzt? Er ist aus dem Körper verschwunden. Seine Gesichtszüge sind stehen geblieben. Das, was er mit seinem Schmunzeln, mit einer bestimmenden Kopfbewegung ausdrückte, sein prüfender Blick erscheinen nicht mehr. Etwas hat den Körper verlassen. Dieser wird zerfallen.

Der Körper verliert etwas an Gewicht

Ich frage seinen Hausarzt, der den Totenschein ausstellt, was eigentlich passiert, wenn jemand stirbt. Einige Gramm leichter ist der Körper, der von der Person verlassen wurde. Ein französischer Arzt hat es nicht nur an einem Toten festgestellt. 
Mit dem, was nicht mehr da ist, ist alles Bewegliche aus dem Körper ausgewandert. Auch die Kraft, die alle Knochen, die Muskeln, die Organe zusammengehalten hat, wirkt nicht mehr. Was noch Körper ist, wird ohne diese Kraft zerfallen. 

Wir können außerhalb unseres Körpers sein

Der Arzt antwortet mit einer eigenen Geschichte. Als Jugendlicher war er mit seinem Moped unter einen Lastwagen geraten. Er wusste noch die Einzelheiten, die er aus der Vogelperspektive gesehen hatte. Ein Zug, der von einer Lok aus dem Bahnhof gezogen wurde. Er wurde von einem Polizisten wiederbelebt. Die Umstehenden suchten nach seinem Moped, mit dem er unter einen Lastwagen geraten war. Sie fanden es nicht. Er, der von oben alles, auch seine Wiederbelebung beobachtet hatte, hatte es in einem Kanal gesehen. Dort wurde es auch gefunden. Wie viele andere, die von einer Nahtoderfahrung berichten, erschien ihm die Rückkehr in dieses Leben als Verlust - er hatte eine andere Welt erlebt und ist fest davon überzeugt, dass nach dem Tod etwas Besseres kommt. Bestätigen solche Berichte nicht meinen Eindruck, etwas habe seinen Körper verlassen? Ihn gibt es noch.

Balsamierte Leichen

Eine eigenartige Idee der Sowjetunion, Lenin und Stalin als Leichen einzubalsamieren. Ihr Mausoleum steht noch vor der Kreml-Mauer. Man sieht jedoch keine Menschenschlange, die wartet, um die Leichen anzuschauen. Oder die Reliquien, vom lateinischen „Zurücklassen“ ist das Wort gebildet. Bei der Auferstehung der Toten am Ende der Geschichte streben diese Reste eines Menschen dem himmlischen Leib. Die Körper, so der christliche Glaube, sollen ihre Verbindung mit dem Lebendigen, von dem sie verlassen wurden, nicht verlieren. 

Wer stirbt eigentlich?

Wenn mein Leben den verschlissenen Leib verlässt, dann sterbe ich. Vergeht dann auch das, was ich mit "Ich" bezeichne? Oder ist Sterben ein Durchgang, so dass ich anderswo ankomme. Sollte dieses Ich nicht sterben, dann geschieht im Sterben etwas mit mir. Ich bleibe. Dann wäre mein Ich unzerstörbar. Das Unzerstörbare haben die Griechen „Seele“ genannt. Geistiges, so ihre Intuition, kann nicht wie Materielles zerfallen. Wir denken uns den Menschen zusammengesetzt aus Leib und Seele. Doch ist die Seele nicht das Ich. Nicht bin ich mit meinem Leib an einem bestimmten Ort. Mein Ich hat mit meinem Körper immer einen Platz in dieser Welt. Selbst wenn ich mit dem Sterben vergehen sollte, dann ist es doch jemand, an dem sich das Sterben vollzieht. Es ist nicht ein anderer, dem ich beim Sterben zusehe. Kann es sein, dass das vergeht, was ich mit Ich bezeichne? Oder ist es nicht so, dass ich mich mitnehme, wenn ich sterbe? Werde ich vielleicht mit begrüßt, wenn ich meinen Körper zurückgelassen habe?


Kategorie: Analysiert

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