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Was uns Friedhöfe sagen können

In Deutschland gilt die Bestattungspflicht. Jeder Mensch wird in diesem Land auf einem Friedhof seinen letzten Platz finden. Weil dieser Ort ein so elementares Faktum ist, kann angenommen werden, dass sich gerade hier Grundlinien und Entwicklungstendenzen der Gesellschaft zeigen. Der Besuch von Friedhöfen ist wie ein Gang durch die Kulturgeschichte und deutet für das heutige Lebensgefühl eine Polarität des Schlichten an, die im Gegensatz zum Bewusstsein einer enormen Komplexität des menschlichen Denkens und Fühlens steht.

Friedhöfe sind zuweilen schaurig. Wer nachts über einen Friedhof geht, beschleunigt möglicherweise seine Schritte, wenn er seltsame Geräusche hört. Allerheiligen oder auch am Totensonntag werden die Friedhöfe zu heimeligen Orten, die Lichter ergeben im Dunkeln eine gemütliche Atmosphäre. Bei Sonnenschein ist der Gang über einen Friedhof wie ein Spaziergang durch einen Park. Großflächige Friedhöfe wie der Zentralfriedhof in Wien sind gar durchkreuzt von Buslinien. Und manche Friedhöfe werden zu Kultstätten, weil dort prominente Stars begraben sind. Auf dem Père Lachaise in Paris, dem ersten Friedhof, der als Park angelegt worden war, finden sich Suchende, die das Grab sehen wollen von Balzac, Bizet, Bordieu, der Callas, Chopin, Camus, Chabrol, Chaplin, Laplace, Jim Morrison, Moustaki, Edith Piaf, Rossini, Saint-Exupéry und den vielen anderen, die dort ihre letzte Ruhestätte gefunden haben. Auf einem Friedhof wie dem Melaten-Friedhof in Köln lässt sich die Geschichte einer Stadt lesen. Auch hier lassen sich Suchende finden, die zum Grab von Dirk Bach, Erika Berger usw. wollen. Berühmte Friedhöfe sind deshalb so bekannt, weil Personen des öffentlichen Lebens dort begraben sind. Ihr Charakter hat etwas von einem Museum oder einem Touristenort.

Der Tod vor Ort

Mag es Friedhöfe geben, die wie Parks angelegt sind oder wie Touristenattraktionen, so gibt es in den meisten Städten und Dörfern einfach nur die Orte, wo die Toten begraben sind. Und vielleicht ist gerade hier ablesbar, wie sich eine Gesellschaft wandelt. Das zeigt sich mittlerweile vor allem darin, dass die Zahl der Urnenbestattungen deutlich zugenommen hat, Wiesengräber sind fast zum Standard geworden und beim Gang in die älteren Teile vieler Friedhöfe finden sich verwaiste Gruften und Gräber, die Plätze sind leer. Auf den Grabsteinen, wenn man diese überhaupt noch entdeckt, stehen meist nur noch der Name, Geburts- und Todestag. Die Friedhofskultur ist nicht mehr die Möglichkeit, wo Familien oder Einzelpersonen sich darstellen wollen. Es wird schlichter an diesen Orten. Die Ewigkeit wird hier nicht mehr erwartet. Und auch der Friede spielt keine Rolle mehr. Nur noch auf alten Grabsteinen findet man das R.I.P. (requiescat in pace, er möge in Frieden ruhen). Diese Veränderungen haben sicherlich verschiedene Gründe und manche mögen hierin einen Verlust von Pietät oder Kultur sehen. Zunächst bedeutet dies erstmal nur, dass die Menschen mit diesem Ort andere Vorstellungen verknüpfen. Eines jedoch hat sich in den letzten Jahren deutlich gezeigt, die anonymen Bestattungen sind nicht zu einer Massenbewegung geworden. Auch wenn die Angehörigen nicht wissen, wo genau der Verstorbene begraben ist, es findet sich an der Wiese eine Stele, in die die Namen hineingeschrieben sind. Der Mensch möchte auch nach seinem Tod einen Namen haben.

Der Tod ist schlicht

Schon beim Gang über einen ganz normalen Friedhof wird deutlich, wie sich Gesellschaften ändern. Im alten Teil sind die Gräber schmuckvoll, Skulpturen verweisen auf das Lebenswerk eines Menschen oder erinnern an die Wirklichkeit Tod. Im neuen Teil eines Friedhofs wird es schmuckloser, hier scheinen die Gräber vor allem der Erinnerung zu dienen und weniger der Repräsentation. Es wird das Grab des Verstorbenen besucht, der Besuch eines Friedhofs dient weniger einem meditativen Müßiggang. Die Auseinandersetzung mit dem Tod hat sich andere Wege gebahnt. Trauergruppen, Hospizvereine, Selbsthilfegruppen und auch die Angebote einiger Bestatter sind Orte, um sich mit Sterben und Tod auseinanderzusetzen. Der Mensch von heute sucht sich professionelle Anbieter, mit denen er die existenziellen Themen bearbeiten kann. Die Räume werden schlichter, sie müssen nicht mehr geschmückt sein, um Trauer zu überwinden. Und man könnte sogar zu dem Schluss kommen, dass das Bewusstsein über die Komplexität und Differenziertheit menschlicher Belange wie Sterben, Tod und Trauer eine größere Schlichtheit im Außen verlangt. Friedhöfe scheinen diese Entwicklung in ihrer Gestaltung wiederzugeben.


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