Seit der Vertreibung aus dem Paradies ist der Mensch zur Arbeit verdammt. Mit dem Erwachsenwerden erfährt das Kind, dass Leben mit Anstrengung und Verantwortung verbunden ist. Der Ernst des Lebens verlangt einen Einsatz, der alltägliche Mühe bedeutet. Spaß, Freude, Freizeit, Unterhaltung sind Belohnungen für die geleistete Arbeit. ‚Erst die Arbeit, dann das Spiel‘, lautet die Devise in einer Leistungsgesellschaft. Wer viel leistet, darf sich mit Unterhaltung belohnen, ist die folgerichtige Konsequenz dieser Arbeits- oder Leistungsmoral. Genießen allerdings diejenigen, die nicht zu den Leistungsträgern der Gesellschaft gehören, eine Unterhaltung, dann müssen die Leistungseliten die Angebote der Unterhaltung bewerten. Denn es würde als ungerecht empfunden, wenn Leistungsschwache oder -Verweigerer die Belohnung „Unterhaltung“ in gleicher Weise nutzen dürften. Kann Unterhaltung als reine Ablenkung, Kitsch, minderwertig oder niveaulos bezeichnet werden, wird erträglich, dass ohne Leistung eine Belohnung in Anspruch genommen wird. Die Konsumenten der leichten Muse oder des Kitsches werden als schlichte Gemüter definiert. Gleichzeitig wird damit ausgesagt, dass selbst Unterhaltung einer Anstrengung bedarf. Um als Connaisseur zu gelten, müssen Kenntnisse erworben, muss eine Sprache erlernt werden, um die Kunst würdigen zu können. ‚Unterhaltungseliten‘ können auf diese Weise die ausschließen, die ohne solche großen Mühen am Kulturgut Unterhaltung partizipieren wollen. Eine solch elitäre Absonderung erschwert die objektive Beurteilung von Unterhaltung. Die einen behaupten, dass dies oder das ohne Anspruch sei und die anderen opponieren gegen ihren Ausschluss und damit gegen einen Niveauanspruch.
Qualität versus Ausschluss
Es gibt eine Kunst, die so schön ist, dass es wehtut. Wer eine solche Erfahrung macht, kann oft die nicht verstehen, die gar nicht oder nur peripher beeindruckt sind. Der Grund dafür, dass jemand unbeeindruckt vor einem Kunstwerk steht oder ein Musikstück hört, kann sehr unterschiedlich sein. Man ist nicht in der richtigen Stimmung, man weiß nicht, die künstlerische Leistung zu würdigen, man hält die Meinung in der Gruppe für überzeugend, möchte nicht ausgeschlossen werden, weil man eine Koryphäe für einen Blender hält. Qualität wird einer Kunst bzw. einem Künstler zunächst einmal lediglich zugeschrieben. ‚Über Geschmack lässt sich nicht streiten‘, ist dann ein Argument, womit verdeckt wird, dass es auf der einen Seite eine Deutungshoheit der Kenner gibt und auf der anderen Seite das Eingeständnis verweigert wird, dass man sich der Mühe einer Auseinandersetzung nicht unterziehen will, da man einer ehrlichen und kenntnisreichen Diskussion nicht gewachsen ist. Es geht dabei nicht um die Beliebigkeit von Geschmack oder der Indifferenz von Kunst, sondern um die Angst davor, ausgeschlossen zu werden und einen Anspruch auf Unterhaltung zu erheben, obwohl man nichts geleistet oder sich den Genuss nicht durch Anstrengung und Schmerzen erarbeitet hat. Die Leistungsträger dagegen können von sich glauben, dass sie sich durch die Leistungen im Arbeitsleben bereits den Anspruch erworben haben, auch im Bereich der Unterhaltung die Belohnung erworben zu haben.
Unterforderung und Beleidigung des Geistes
Unterhaltung muss nicht anstrengend sein. Ein Konzert besucht man, weil man sich entspannen will. Ebenso verbleibt eine Musikveranstaltung blass, wenn nur Entspannung gesucht wird. Die individuellen Motive sind für die Qualität nicht bestimmend. Eine Unterhaltung jedoch, die an sich keinen Bildungsanspruch stellt, widerspricht jedem Qualitätsstandard, sie wäre eine Beleidigung. Gleichzeitig ist das Niveau von der Erwartungshaltung abhängig. Bei einem Schülerkonzert wird keine gehobene Unterhaltung erwartet. Und dennoch kann es sein, dass die Zuhörer von der Begabung oder den technischen Fähigkeiten eines Schülers verwundert sind. Es werden Fortschritte bemerkt und würde das Niveau derselben Schüler ein Jahr weiter nicht höher sein, würden sich die Zuhörer verhöhnt fühlen. Unterhaltung, dies wäre die Folgerung hieraus, ist prinzipiell nach oben offen. Daher wirken schlechte Unterhaltungsveranstaltungen wie das Treffen einer Sekte. Und Konzerte von Künstlern, die ihren Zenit überschritten haben, haben einen faden Beigeschmack, weil nicht mehr das Vorankommen gefeiert wird, sondern nur die Reminiszenz an etwas, was einmal gute Unterhaltung gewesen war. Gute Unterhaltung ist eine Berührung, die den Rezipienten zu einer ihm eigenen Fortentwicklung ermutigt und befähigt. Dieses Lernen muss nicht mit Anstrengung oder Schmerzen verbunden sein, auch Leichtigkeit und Freude können den Menschen reifer machen. Die im Westen und vielleicht in extremer Form in Deutschland geltende Koppelung von Unterhaltung und Ernst macht es schwer, den inneren Zusammenhang von Passion und Luxus sehen zu können. Beiden ist gemein, dass der Exzess gesucht wird. Es soll über das Gewohnte und Alltägliche hinausgegangen werden, um sich durch eine Überdehnung der Wirklichkeit die Wirklichkeit fremd zu machen und dann wiederum die Wirklichkeit durch die veränderte Perspektive als eine veränderte oder weiterentwickelte als Herausforderung erschließen zu können.
Als weiterführende Lektüre sei empfohlen: Byung-Chul Han, 2018. Gute Unterhaltung. Berlin: Matthes & Seitz
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