Raum aus Hölzern

Vertrauen ist eine Sache des Raums

Wem können wir noch trauen? Sind Politiker nicht zu reinen Selbstdarstellern geworden, die ein mehr oder weniger erfundenes Image aufbauen, um gewählt zu werden? Sind Nachrichten fingiert, gefälscht und gar keine Informationen mehr, sondern Manipulationsversuche?

Der Vertrauensverlust wird vor allem den Medien zugeschrieben, korrupten Politikern und den Machtstrukturen des Kapitalismus. Vertrauen ist allerdings eng verbunden mit dem Wunsch nach Schutz und Geborgenheit. Ein typisches Bild für Geborgenheit ist die Höhle. Die Frage nach Vertrauen könnte so auch eine Anfrage an die Gestaltung von Räumen sein.

Geborgenheit steht am Anfang

Die Erfahrung des Menschen mit der Welt beginnt in der mütterlichen Höhle, dem Uterus. Dieser Raum ist klein und wird zum Ende der Schwangerschaft zu klein. Die Geburt ist die dramatische Erfahrung des Verlusts von Geborgenheit. Der Freudschüler Otto Rank war davon überzeugt, dass das Drama der Geburt die menschliche Seele konstituiert. Zwischen Otto Rank und Sigmund Freud kam es aufgrund dieser Ansicht zum Bruch. Frédérick Leboyer entwickelte jedoch aus dieser Vorstellung heraus die „sanfte Geburt“. Michel Odent führte diese Gedanken weiter und förderte zum Beispiel die Wassergeburt, wodurch der „Ortswechsel“ erleichtert wird. Die Erinnerung an den Ort der Geborgenheit realisieren Kinder, wenn sie Höhlen bauen, sich in Baumhäusern einrichten oder einfach nur unter die Decke schlüpfen. Und auch der letzte Gang des Menschen ist der Weg zurück in eine kleine Räumlichkeit, den Sarg oder die Urne.

Trauma als radikaler Ortswechsel

Otto Rank hat mit „Das Trauma der Geburt“ auf die Wichtigkeit sehr früher Erfahrungen hingewiesen, die mit dem Raum Uterus verbunden sind. Man muss den Deutungen Otto Ranks nicht vollständig folgen, die Bedeutung vorgeburtlicher Erfahrungen und der Erfahrungen während des Geburtsvorgangs können inzwischen jedoch als gesichert gelten. Dass diese Erfahrungen auch als Erfahrungen des Raums zu verstehen sind, dürfte keinen Widerspruch erregen. Solche Erfahrungen können allerdings nur schwer in Sprache gebracht werden, da sie vorsprachlich sind und tiefe Schichten des menschlichen Bewusstseins berühren. Unstrittig dürfte auch sein, dass der „erste“ Raum, den der Mensch „betritt“,  zumindest im Rückblick als ein Ort der Geborgenheit verstanden bzw. gefühlt wird. Dass damit Raum ein wesentliches Kriterium für das Verstehen von Vertrauen ist, kann daher als sehr naheliegend gelten.

Die großen Raumtraumata

Die großen Kränkungen der Menschheit, die Sigmund Freud konstatierte, lassen sich durchaus als Raumerfahrungen beschreiben. Wenn die Erde nicht der Mittelpunkt der Welt ist, so ist dies eindeutig eine räumliche Erfahrung. Die Kränkungen durch die Evolutionstheorie sowie durch die Analysen von Karl Marx sind ebenfalls räumlich zu verstehen, weil sie die Gewissheit der Geborgenheit im Kleinen infrage stellen und die „Mauern“ zur Außenwelt durchlöchern. Und wenn der Mensch nach Freud nicht mehr Herr im eigenen Haus ist, dann ist schon das Bild vom Haus eine eindeutige Metapher. Die enge Verbindung von eigenem Raum und dem Gefühl von Geborgenheit wird als trügerisch definiert.

Veränderungen der Räume

Im Bewusstsein des Menschen im 21. Jahrhundert sind enge Grenzen, kleinste räumliche Einheiten, abgeschlossene Bergdörfer oder eine noch zu entdeckende Welt verschwunden. Die Welt ist global, der Mensch ist Teil eines Netzwerks und nicht mehr so sehr der Bewohner eines kleinen Eilands. Dieser Globalisierung steht eine Regionalisierung gegenüber, die das Gefühl von Heimat oder Geborgenheit durch Konzentration auf den vertrauten Raum und das „Eigene“ stützen will. Weniger bedacht als die Globalisierung sind zwei Phänomene, die möglicherweise für das Gefühl von Geborgenheit und Vertrauen viel entscheidender sind: die Immobilienblase und die langsame Abkehr vom Auto.

Das Haus als Höhle

Ein eigenes Haus vermittelt Schutz, Geborgenheit und kann natürlich auch ein Statussymbol sein. Es ist eine Immobilie, also nicht flüchtig. Dass das Haus in naher Zukunft noch am selben Platz steht, ist recht sicher. Die Immobilienblase hat Menschen, die nicht zu den Armen gehören, verunsichert, weil der als sicher geglaubte Zufluchtsort durch irreale Fakten, z.B. Zinsen, zerstört wurde. Ein Haus ist real, kann angefasst werden, Zinsen dagegen sind Zahlen und können dennoch ein Haus zur Luftblase werden lassen. Wird ein Haus durch Unwetter oder ein Erdbeben zerstört, ist dies konkret, es ist leiblich nachvollziehbar. Der Verlust einer Immobilie durch die Erhöhung der Zinssätze oder Zahlungsbedingungen ist diffus, es entzieht sich der konkreten Erfahrung. Das Vertrauen und das Gefühl von Geborgenheit ist angeknackst. Als gesellschaftliches Phänomen wirkt eine solche Entwicklung massiv auf das Vertrauen der Menschen ein. Dabei ist es nicht nur der Vertrauensverlust in die Banken, sondern eine Kränkung in dem Sinne, wie Sigmund Freud es beschrieben hat. Das gewohnte Bild von Haus und Geborgenheit ist ungültig geworden. Der Sehnsucht, sich durch den Hauskauf Geborgenheit zu schaffen, eine Höhle zu bauen, steht eine unsichtbare Macht gegenüber, die am Ende siegen wird. Vertrauen ist damit auf einer grundlegenden Ebene gestört.

My home is my car

Ein anderes Phänomen, dessen Auswirkungen wahrscheinlich noch viel umfassender sein werden, ist die Bedeutungsveränderung des Autos. Der Raum Auto hat seine besondere Bedeutung dadurch, dass der Mensch wie in einem Uterus durch andere Räume fahren kann. In diesem Gefährt fühlt sich der Fahrer sicher und geborgen. Er vertraut seinen Fahrkünsten und kann sich mit großem Vertrauen selbst durch feindliche Gebiete bewegen. Der Fahrer hat Vertrauen zu sich, nimmt tatsächliche Risiken weniger wahr und kann sich als selbstmächtig fühlen. Er steuert dieses Gefährt und fühlt sich autonom. Diese Autonomie zeigt sich auf den Straßen häufig durch das eigenmächtige Interpretieren von Regeln; Geschwindigkeitsüberschreitungen oder rechts Überholen auf Autobahnen sind üblich. Dieses Bild von einem autonomen Individuum in einem geschützten Raum ist durch den technologischen Fortschritt und die Notwendigkeit, Überkomplexität durch mehr Regeln bewältigen zu können, getrübt. Die Sicherheitssysteme in einem modernen Auto nehmen dem Fahrer immer mehr Bereiche der Autonomie ab. Das selbstfahrende Auto ist bei dieser Entwicklung das abzusehende Ergebnis. Gleichzeitig mit dieser Entwicklung wird der eigenverantwortliche Fahrer als Gefahr für alle definiert. Das selbstfahrende Auto funktioniert nämlich nur, wenn der Verkehr „zentral“ überwacht wird. Der einzelne Fahrer muss diesem System vertrauen. Dies steht aber seinem Bedürfnis nach Autonomie und der Selbsteinschätzung entgegen. Als Bild ausgedrückt bedeutet dies, der Uterus Auto ist durch eine Nabelschnur an das große Ganze angebunden. Der Mensch regrediert in ein vorgeburtliches Stadium. Vertrauen, das erarbeitet werden muss, ist nicht mehr nötig, es ist alles gut geregelt. Dieser Umstand bremst die Eigenverantwortung und ist gleichzeitig eine Kränkung, weil „Besserung“ nicht zugestanden wird. Das Auto als ein Ort für Unabhängigkeit wird unattraktiv. Da es in der westlichen Welt jedoch als eines der wichtigsten Unabhängigkeitsräume gilt, hat diese Entwicklung auch einen Einfluss auf das Vertrauen in Menschen insgesamt. Gibt es keine spürbaren Alternativen, werden die Menschen weniger Vertrauen aufbauen können. Andere Räume, die Vertrauen ermöglichen, sind selbsttranszendent, was bedeutet, dass sie sich gerade dadurch auszeichnen, dass sie nicht geregelt sind. Eine solche Einschätzung und Deutung des Phänomens Auto ist keineswegs ein Plädoyer für mehr Auto, sondern der Hinweis auf die Notwendigkeit autonomer Räume, durch die Vertrauen entstehen kann.

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Kategorie: Entdecken

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