Die Vergeblichkeit lässt sich nicht ausmerzen
Die Widrigkeiten ziehen Kraft ab, die nicht produktiv wird. Wenn wir der Zug Verspätung hat, Staus uns aufgehalten haben, ich mit einem Projektidee nicht durchgedrungen bin. Eigentlich hätten ich nicht in einen Zug steigen müssen, der mich viel zu spät ans Ziel bringt, so dass die Veranstaltung, an der ich teilnehmen sollte, längst vorbei ist. Die Gedanken, die ich mir für das Projekt gemacht habe, hätte ich mir sparen können. Je mehr solche Vergeblichkeiten, desto weniger fühle ich mich motiviert, etwas in Angriff zu nehmen. Eigentlich könnte ich die Konsequenz ziehen, nämlich zu warten, was die anderen an mich herantragen.
Die Vergeblichkeit wird mir noch drastischer vor Augen geführt, wenn mein Arbeitsplatz verloren geht, weil die Firma Beschäftigung "abbaut" oder ganz in Konkurs geht. War dann nicht mein Einsatz vergeblich? Noch näher trifft es mich, wenn eine Freundschaft leer wird oder eine Partnerschaft zerbricht. Das entwertet meine Gefühle, meine Treue, meinen Einsatz.
Oder die Vergeblichkeit, wenn ein Projekt verhindert wird, weil andere mir den Erfolg nicht gönnen.
Das lässt sich auch nicht mehr zurückholen, das Aufgehalten-, das Abgehalten- , das nicht Berücksichtigt-Werden. Es wird auch so bleiben. Wir werden die Welt nicht so gestalten können, dass diese Erfahrungen den nächsten Generationen erspart bleiben.
Die Niederlage fordert mich
Ich muss das alles ertragen, es hinnehmen, mich wider aufrappeln. Wenn ich dann Erfolg habe, kann ich mir wieder in die Augen sehen. Die Niederlage fordert mich ganz anders als der Erfolg. Beim Erfolg kann ich weiter machen, bei der Vergeblichkeit muss ich den Abwärtstrend drehen. Beim nächsten Termin muss ich früher losfahren. Ehe ich eine Projektidee lanciere, muss ich Mitstreiter finden, in Beziehungen muss ich die Konflikte ernster nehmen. Es ist wohl so, dass die Niederlage erst überwunden ist, wenn ich sie in Erfolg gewendet habe. Der Misserfolg kann wohl nur durch einen Erfolg geheilt werden. Aber das gelingt nicht immer. Deshalb braucht es einen Blickwechsel, der die Vergeblichkeit verändert. .
Der Witz entschärft das negative Gefühl
Die menschlichen Schwächen erzeugen, eine humorvolle Kommentierung der anderen. Witz ändert den Ernst der Sache nicht, sondern nur den Blickwinkel. Elegant wäre z.B. die Lösung des Brexitproblems, indem die EU-Staaten so wie Wales, Schottland und Nordirland Mitglieder von Great Britain werden. Dann würde England nicht nur diese drei Länder dominieren, sondern EU-Bürokratie würde nach London verlegt. Das wird zwar nicht passieren, aber wenn es gelingt, eine Vergeblichkeit wenigstens im Kopf so zu drehen, dann kann man besser mit dem Missgeschick leben. Da die Wirklichkeit sich durch eine Umstellung im Kopf nicht ändert, muss es eine andere Lösung geben. Wenn das Misslingen, vor allem das Große, das fast jeder Mensch hinnehmen muss, nicht „gedreht“ werden kann, dann gibt es für diese Welt keine Lösung.
Welchen Ausweg zeigt dann die Religion? Das Christentum behauptet ja mit Ostern, dass es eine Lösung gibt. Mit der Auferstehung Jesu soll der Tod überwunden sein.
Jesus war nicht von der Vergeblichkeit ausgenommen
Es ist das Eigenartige an Ostern, dass sich die Christen freuen sollen. Dass ein Justizskandal Voraussetzung für das Gelingen des Ermordeten ist, liegt nicht auf der Hand. Toter ist doch erst einmal zur Untätigkeit gebracht worden. Eigentlich war der Tod Jesu doch vergeblich und hätte verhindert werden müssen. Das war auch möglich. Pilatus hat versucht, die Verurteilung Jesu abzuwenden gewesen. Nur um Unruhen am Paschafest zu vermeiden, hat er dem Drängen der Gegner Jesu nachgegeben. Noch entschiedener wehrt sich der Islam gegen die Vergeblichkeit von Jesu Hinrichtung. Gott selbst hat es nicht bis zum Schlimmsten kommen lassen, so die allgemeine Überzeugung. Denn es wäre doch ein Selbstwiderspruch in Gott, wenn er, der allmächtig ist, seinen Messias nicht gerettet hätte. Deshalb ist nach muslimischer Auffassung Jesus nicht hingerichtet worden, sondern ein anderer, genannt wird u.a. Simon von Cyrene, der das Kreuz eine Wegstrecke tragen musste. Aber dann wäre Jesus von der Vergeblichkeit befreit worden, die vielen anderen Vergeblichkeiten würden stehen bleiben. Die Weltgeschichte führt zu keinem Ausgleich, sondern nur zu neuen Übeln und Hinrichtungen. Es ist deshalb nicht so leicht zu glauben, dass mit der Auferstehung Jesu sich die Waagschale auf die Seite des Gelingens der menschlichen Geschichte gesenkt hätte. Die Welt hat sich nicht verändert, nur einige Menschen haben nicht mitgemacht. Im christlichen Verständnis tragen die Märtyrer und die Bekenner das Erbe Jesu weiter, indem sie Nachteile in Kauf nehmen.
Das Martyrium ist die Umdrehung der Niederlage
Bei den Märtyrern spricht man sogar von einem Sieg. Auch wenn sie ihre Unbeugsamkeit mit dem Leben bezahlten, dreht sich das Todesurteil. Von den Herrschenden war die Hinrichtung als Beweis angelegt, dass die Überzeugung des Märtyrers so schädlich für das Gemeinwesen ist, dass die Gefahr nur durch Beseitigung des Trägers der Idee abgewendet werden konnte. Aber das Urteil wird mit dem Begriff Märtyrer gedreht. Durch die Hinnahme des Todes haben die Märtyrer wie die Märtyrerinnen das Böse besiegt und den Blick dafür geöffnet, dass sie eigentlich mit ihrer Überzeugung dem Gemeinwohl gedient haben. Als sie hingerichtet wurden, schienen sie im Unrecht, nachher sind sie Garanten der unverletzlichen Menschenwürde. Der Herrschende wurde bloßgestellt, weil er seine Macht nur verteidigen konnte, indem er die hinrichtete, die diese durch ihre Unbeugsamkeit infrage gestellt haben. Diese Uminterpretation verlangt dann eine moralische Überlegenheit der Getöteten
Vergeblichkeit braucht Vergebung
Märtyrer kann man nicht werden, wenn man aus Rache handelt. Deshalb versagen wir religiösen Attentätern diesen Titel, weil sie keine Sieger sind. In der christlichen Tradition werden nur diejenigen als Märtyrer verehrt, die ihre Richter nicht verfluchen. Das ist deshalb zwingend notwendig, weil Gott auch den Übeltäter retten will. "Herr, verzeihe Ihnen, denn sie wissen nicht was sie tun;" macht erst den Hingerichteten zum Helden. Nicht nur Jesus, sondern auch der erste christliche Märtyrer, Stephanus, hat es über die Lippen gebracht. Es kommt also darauf an, ob am Ende die Treue, die ordentliche Arbeit, das Eintreten für die Menschenwürde, der Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden das Gute siegen. Das gelingt, und das ist die schwierige Botschaft von Christentum und Buddhismus, wenn Verzeihung geschieht. Vergeblichkeit, so die schwierige Lösung des Christentums, kann durch vergeben geheilt werden. Auch ich muss mir selbst für das vergeben, was ich zum Scheitern beigetragen habe.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!