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Ukrainekrieg: Gemisch aus Kränkung und Schuld

Der Ukrainekrieg wird aus dem Gefühl der Kränkung geführt. Russland, das die Sowjetunion dominiert hat, fühlt sich der zentralasiatischen Staaten, der Ukraine und des Baltikums beraubt. Krieg entsteht aus Niederlagen. Darunter liegt Schuld, die fortwirkt.

Wie wollen die Menschen den riesigen Berg von Schuld abtragen. Nicht nur mit dem Ukrainekrieg legen sie eine neue Schicht auf diesen Berg. Die Staatsschulden wachsen gleichermaßen. Schuld nehmen die Menschen nicht vollständig mit ins Grab. Sie wirkt nicht nur nach christlicher Überzeugung als Erbsünde fort. Therapeuten sind der Schuldübertragung auf die Spur gekommen. Gingen Freud und seine Schüler noch davon aus, dass vor allem die Mutter für das Misslingen von Lebensschicksalen verantwortlich ist, so die Systemik, dass es der Bruder einer der Großmütter sein kann, der etwas weitergibt, was die Enkelin in die Abhängigkeit von Drogen treibt. Schuld, so die neueren Erkenntnisse, wird wie mit stiller Post in Familiensystemen, aber auch in Institutionen und in Firmen weitergegeben. Das gilt selbst für religiöse Orden, auch wenn diese das weit von sich weisen.

Schuld wird an die übernächste Generation weitergegeben

Die Schuld, das zeigen die neuen Erkenntnisse der Therapeuten, die nicht bereinigt wurde, liegt auf den Schultern der Enkel und Enkelinnen. Sie liegt nicht nur auf der Seele, sondern auf dem Körper als Reizbarkeit, schleichenderEntzündung, Krebs und dann auch Alzheimer. Was wird den jungen Leuten in Russland aufgeladen! Die, die die jungen Wehrpflichtigen für ihre Großmachtgehabe in den Tod geschickt haben, werden den Berg nicht abtragen. Die Schuld bleibt am Menschen hängen, sie wird weitergegeben. Eine Ahnung, die sich in immer neuen Bildern ausdrückt, seien es der Biss in den verbotenen Apfel, die Büchse der Pandora oder die Katastrophenfilme. Diese werden von einem Deutschen, Roland Emmerich, mit den Mitteln des amerikanischen Kinos in Szene gesetzt und können die Erkenntnisse der Systemik bestätigen. Er inszeniert die Bilder der Großväter, als diese in den Krieg zogen

Ungarn, Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg

Die Schuld wird nicht einfach neutralisiert, sondern webt sich wie ein giftiges Band in das Geflecht jeder neuen Generation hinein. Dieses giftige Band ist nicht einfach herauszulösen, ohne das Gewebe zu zerstören, in das wir jetzt mit Lieferketten und digitalen Medien fast alle Menschen auf diesem Globus eingefangen haben. Der Ukrainekrieg, das sagen Lateinamerikaner, ist bereits ein Krieg mit weltweiter Wirkung. In diesem wirken frühere Kriege und die Gewalterfahrungen der Sowjetzeit weiter. Der Historiker Richard Ned Lebow, der die Kriege seit 1648 untersucht hat, kommt zu dem Schluss, dass viele Kriege nicht um Landgewinne noch um Rohstoffe geführt werden, sondern Reaktionen auf Kränkungen sind. Den Zweiten Weltkrieg konnte Hitler planen, weil die Deutschen den Frieden von Versailles als Kränkung gesehen haben. Putin kann die Aggressionen auf den Westen richten, weil die USA durch Wettrüsten und wirtschaftliche Überlegenheit die Sowjetunion in die Knie gezwungen haben. Da die baltischen, die zentralasiatischen Republiken, Kasachstan und die Ukraine in der Sowjetzeit von den Russen dominiert wurden, sehen diese die Selbständigkeit dieser Staaten als vom Westen unterstützte Verkleinerung Russlands an.
Auch die Reaktion der Ungarn auf die Zeitläufe wird durch die Verkleinerung des Landes verständlich, die dem ungarischen Teil der Donaumonarchie im Frieden von Trianon, ein Ort in der Nähe von Paris, 1920 aufgezwungen wurde. Die Slowakei, Kroatien, die heutige Westukraine, die Bukowina und Galizien, die Polen zugesprochen wurde sowie Gebiete, die Rumänienzugesprochen wurden. So umfasste Ungarn nur noch ein Drittel des Gebietes von 1914. Diese Kränkung ist immer noch nicht überwunden. Die Skepsis gegen den Westen, der den Ungarn den Friedensvertrag von Trianon aufgezwungen hat, ist geblieben und erklärt wohl die Nähe zu Russland, das sich ebenfalls vom Westen verraten fühlt.

Die Religion ist zuständig

Religion gibt es, für die Probleme, die der Mensch nicht lösen kann. Neben dem Tod wird der Mensch mit der Schuld nicht fertig. Deshalb haben die Religionen Bilder vom Sündenfall und Auswegen aus der Schuld entworfen. Auch in diesen Kriegstagen könnten die Menschen eine Abkürzung zu einem nicht mehr schuldbeladenen von einem direkten Eingreifen Gottes erwarten. Dann würde Gott das Schlimmste verhindern, so den immer grausamer werdenden Krieg gegen die Ukraine. Dann würden Menschen auch nicht so viel Schuld mit sich herumtragen. So wenn im Ukrainekrieg die Hauptstadt Kiew genau dann mit Raketen beschossen wird, wenn der Generalsekretär der UNO sich ein Bild von den zerstörten Wohnhäusern macht. Aber was würde aus dem Menschen, wenn eine größere Macht ihn aus der Verantwortung herausnähme. Dann wäre Gott auch der Autor der Kunstwerke und Erfindungen, er hätte die Sinfonien komponiert und den Impfstoff entwickelt. Dann könnte der Mensch sich zurücklehnen und abwarten, was Gott machen wird. Der Islam verirrt sich in solche Überlegungen. Wenn Allah der einzige ist, der etwas bewirken kann, dann muss sich der Mensch nur an den Willen Gottes anpassen. Weil die Theologen des Islam die Philosophie aus ihrem Denken heraushalten, können sie nicht verstehen, dass der Mensch deshalb frei ist, weil Gott diese Freiheit wollen muss. Denn die Freiheit ist es, die den Entwicklungssprung zum Homo sapiens ausmacht. Nur dann bleibt der Mensch mit der Biographie, die er gelebt hat, er selbst. Wenn immer Gott dem Menschen etwas abnehmen würde, würde er ihm seine Würde nehmen.

Zur Schuld stehen

Die Religionen versprechen Erlösung, aber nicht wie wir Menschen meist mit Schuld umgehen. Wir tun oft so, als gäbe das beleidigende Wort nicht, als hätten wir ein Versprechen gebrochen oder die Unterschlagung nicht bemerkt. Das „Darüber Wegsehen“ ist doch die Ermöglichung von Korruption. Wenn so viele Kinder und Jugendliche sexuell missbraucht wurden, dann müssen doch Viele „weggesehen“ haben.  
Der Mensch, der einzelne wie Familien,  Institutionen, Firmen und Staaten müssen die Schuld als zu ihnen gehörig anerkennen. Die Religionen fordern den Übergang von "es ist uns irgendwie passiert" zu "ich bin es, wir sind es". Das scheint das schwierigste, was Menschen von Gott zugemutet wird. Das ist an der Katholischen Kirche in Deutschland seit nunmehr 12 Jahren zu beobachten. Mit immer neuen Gutachten und deren Nicht-Akzeptanz versucht sie, um ein ehrlichen Schuldeingeständnis herumzukommen, das Eingeständnis der Personalverantwortlichen, die die Kinder dem Missbrauch preisgegeben haben. Die Täter bleiben dieser Notwendigkeit enthoben. Es ist verständlich, dass die Opfer nur der Ausweg in die Verbitterung bleibt.
Deshalb hat der Krieg gegen die Ukraine damit begonnen, dass die Memorial-Organisation vom höchsten russischen Gericht aufgelöst wurde, die die Verbrechen der Stalinzeit aufarbeitet. Das giftige Band der Schuld führte dazu, dass der Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion erfolgreich schien. Da Stalin bei den "Säuberungen" einen großen Teil des Offizierskorps umgebracht hatte, war die russische Armee nicht waffentechnisch, sondern taktisch unterlegen. Denn der T34 war in den ersten Kriegsjahren besser als der Großteil der deutschen Panzer.

Versöhnung – sonst Krieg

Russland hat den schwierigen Weg noch vor sich. Im Moment sieht es so aus, dass beim Angreifer nicht wie in der Ukraine Gebäude zerstört werden, aber die Seelen noch mehr verkraften müssen als nach dem Zerfall der Sowjetunion. Ihre Armee, die sich selbst von den deutschen Invasoren befreit hat, blamiert sich vor der ganzen Welt. Damit hat Russland den Informationskrieg verloren. Ein mürrischer Putin gegen einen auch moralisch überzeugend argumentieren Selenskyj.
Wird das wie bei der totalen Niederlage der Deutschen im Zweiten Weltkrieg zu einem Umdenken führen oder wird der nächste Krieg vorbereitet. Dann müssten die Russen die Ukrainer dazu bringen, einer Versöhnung zuzustimmen. Warum sollten die Ukrainer dafür die Initiative ergreifen, wo sie fast alle Staaten hinter sich wissen.
Ein noch überzeugenderes Beispiel ist Südafrika. Hier wurde mit der Wahrheits- und Versöhnungskommission einem Bürgerkrieg vorgebeugt.
Ob im Krieg zwischen Staaten, ob in einer zerstrittenen Partei oder einem Verein, auch in Familien – wer in Konflikten sein Recht durchsetzen will, rutscht in einen Dauerkrieg.  Faktisch befindet sich die Katholische Kirche in einem Dauerkrieg mit der Öffentlichkeit. Der wird erst beendet, wenn sie zu ihrer Schuld steht und auf die Opfer zugeht.

 

Die Religionen lassen es nicht zu, diesen Punkt zu überspringen. Würden sie nur die Schuld zudecken, wäre die Würde des Menschen infrage gestellt. Die christliche Botschaft beginnt deshalb mit der Aufforderung: Bekehrt Euch. Ob es deshalb zutrifft, dass Jesus unsere Schuld auf sich genommen hat? Dann bräuchten die Christen sich nicht entschulden zu lassen. Die Schuld wäre schon weg. Müsste man nicht sagen, dass Jesus die Last der Schuld auf sich genommen hat. Die Schuld werden wir nur los, wenn die Opfer vergeben können.
Wenn es so ist, was sagen die Religionen zur Umsetzung: Bei sich selbst, nicht beim anderen anfangen.
Der Krieg und die vielen kleinen Kriege lassen uns mit der Frage allein: Warum ist derMensch zum Bösen fähig? Wie kommt es in die Welt? Wie können sich nicht nur die Russen, sondern jeder von uns davor schützen?

Richard Ned Lebow zu den Ursachen von Kriegen
Beiträge bei hinsehen.net
Diktatoren bauchen Tote
Ukraine: ihre Freiheit lässt sich militärisch nicht besiegen

 

 


Kategorie: Analysiert

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