Der zunehmende Abgang des Führungspersonals
Kramp Karrenbauer geht, Kemmerich geht schon nach einem Tag, Reinhard Marx macht nicht mehr weiter. Gelingt Führung nicht mehr, macht das Leitungspersonal zu viele Fehler oder bekommt es zu wenig Rückendeckung aus den Vorständen? In der SPD übernahm keiner der bekannten Leitpersonen den Parteivorsitz. Borjans und Eskens sind so wenig einflussreich, dass sie nicht wie Nahles und ihre vielen Vorgänger abgewählt werden müssen. Das Leitpersonal von CDU und FDP haben ihre Parteien in die gleiche Schieflage gebracht
Die Fehlsteuerung begann lange vor dem 5. Februar
Am Beginn der Fehlerkette in Thüringen steht der vorherige Ministerpräsident Ramelow, der die angekündigte Kandidatur Kemmerichs und das Wahlverhalten der CDU im dritten Wahlgang falsch eingeschätzt hat. War nicht an bereits zwei Fingern abzählen, dass die AfD die Chance ergreift. Das gilt noch mehr für den 5 Prozent-Ministerpräsidenten Kemmerich. Er musste doch nicht mehr zählen, um sicher zu wissen, dass er die Linke braucht, wenn er mit der AfD nicht regieren will. Um diese Fragen kreist die Diskussion. Dabei geraten die Thüringer, die die AfD gewählt haben und jetzt wahrscheinlich noch mehr wählen werden, aus dem Blick. Wahlen, so scheint es, sind nur noch dazu da, dass nachher die Parteien in den Ring steigen, um ihre Machtspiele vor den Augen ihrer Wähler immer dilettantischer aufzuführen.
Die Wähler der AfD werden so nicht zurückgewonnen
So sehr sie sich moralisch überlegen fühlen, es ist ein unverzeihlicher Fehler des SPD-Duos und einiger Medien, auf Kemmerich und den CDU-Vorsitzenden Mohring eindreschen. Es wird nicht ohne Folgen bleiben; wenn Externe großspurig über Thüringen urteiln. Wenn auch jetzt die Thüringer der bisherigen Regierung wieder eine Mehrheit im Parlament verschaffen sollten, die notwendige Brandmauer, die gegen die AFD errichtet werden soll, wird die Wähler dieser Partei nicht schrecken. Die Frage, die sich die Parteien stellen müssen, heißt doch: Wählen die Thüringer die AFD nur aus Protest oder wären sie bereit, sich von dieser Partei regieren zu lassen?
Das großspurige Auftreten der Berliner Politiker könnte viele Protestwähler zu der Überzeugung kommen lassen, dass es so viel besser mit den bisherigen Parteien auch nicht geht. Die SPD kann sich in ihrer moralischen Überlegenheit sonnen, Politik ist jedoch keine moralische Veranstaltung, sondern der Ausgleich von Interessen. Die Demokratie garantiert nur dann bessere Lösungen, wenn die Wähler das Ergebnis als fair ausgehandelt erachten. Dass sich die AFD-Wähler durch die Berliner Parteizentralen nicht fair behandelt erleben können, wird in den Gefühlen stecken bleiben. Hier ist auch die eigentliche Führungsschwäche von Kramp-Karrenbauer zu lokalisieren. Man kann nicht mit der Forderung nach Neuwahlen nach Erfurt fahren und mit der gegenteiligen Lösung nach Berlin zurückkehren. Schlussendlich war ihr Scheitern in dieser Frage wohl auch ein Grund für ihre bald folgende Rücktrittsankündigung.
Nicht maßregeln, sondern helfen
Wenn die Parteichefin in die Provinz fährt, dann wird sie dort nur freundlich empfangen, wenn sie als Helferin in der Not auftritt. Hat aber der Besuch zur Folge hat, dass der örtliche Parteivorsitzende gehen muss, dann wäre sie besser in Berlin geblieben. Zumindest hätte sie einen Abgeordneten ins Spiel bringen müssen, der in Thüringen so viel Achtung genießt, dass die Partei sich hinter dieser Persönlichkeit wieder sammeln kann. So zerlegt sie nur die Landespartei und verschafft sich keine Sympathien bei den Parteigremien in anderen Bundesländern. Wenn die CDU die Wähler der AfD zurückgewinnen will, muss sie sich mit den Wählern der AfD auseinandersetzen und keinen gefährlichen „Kuschelkurs“ fahren. Wenn die SPD die CDU zum Hauptproblem erklärt, wird sich das kaum in einem Stimmenzuwachs auszahlen. Beide müssen die Wähler der AFD zurückgewinnen.
Noch viel schlimmer sieht die Situation bei der FDP aus. Für das Taktieren des „drei Tage“ Ministerpräsidenten Kemmerichs mit der AfD werden die Wähler der Liberalen Partei die „rote Karte“ zeigen. Nicht nur in Thüringen. Wieder einmal zeigt sich, dass die Lindner Partei kein gutes Händchen bei Regierungsbildungen hat. Und dies wirft ihre Schatten auf die nächste Bundestagswahl, in der sich die FDP schon jetzt das Prädikat „nicht regierungsfähig“ eingehandelt hat. Lindner selber hat die Vertrauensabstimmung zwar klar gewonnen, bei den Bürgern und Wählern aber klar verloren.
Der Nachgeschmack des Berliner Eingriffs in die Landespolitik
Eines haben die Berliner Parteizentralen erreicht: Die Thüringer fühlen sich fremdbestimmt. In Berlin wird großspurig erklärt, was für Thüringen politisch korrekt wäre und übersieht dabei die wirtschaftlichen Probleme im Land. Der Sturz in die Arbeitslosigkeit ist das Trauma, das nicht verheilt ist. Dass Angela Merkel so harsch eingriff, ist wohl durch die Angst bestimmt gewesen, die GroKo vor dem Zerbrechen zu bewahren. Geholfen hat das ihrer Partei in keiner Weise.
Die AfD gewinnt, ohne etwas tun zu müssen
Alles, was die Berliner Parteizentralen sich im Moment als Gefahrenabwehr gegen Rechts auf die Fahnen schreiben, ist mittelfristig Wahlhilfe für die AfD. Sie sollten den frühen Karl Marx und seinen Ideengeber Hegel ernst nehmen. Beide konnten dialektisch denken, nämlich, dass Entwicklungen fast immer den Effekt haben, die Gegenkräfte zu aktivieren. Da Weimar in Thüringen liegt, sollten die Parteien eine weitere Lehre beherzigen: Die der Demokratie verpflichteten Parteien müssen zuerst die Abläufe der Demokratie so durcheinanderbringen, dass die Feinde der Demokratie aus den Trümmern eine ihnen dienliche Ordnung bauen. Vom Ausland aus, z.B. von der Neuen Züricher Zeitung, wird es deutlicher gesehen als von vorsichtigen Stimmen im Land: Beschlüsse eines Parlamentes dürfen nicht einfach kassiert werden, ohne dass das Vertrauen in die Demokratie untergraben wird. Gleichzeitig gab es kein „Anbiedern“ nach Rechts geben, wie in Österreich. Die Geschichte hat gezeigt, dass dies keinen Erfolg verspricht. Es braucht gute Antworten der demokratischen Parteien auf die Probleme der Menschen in Thüringen und anderswo. Dann kommen die (Protest-) Wähler zurück und die Volksparteien haben wieder ihren Namen verdient.
Ein Kommentar von Eckgard Bieger SJ
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