Veit Stoß, St.Lorenz Nürnberg, Foto:hinsehen.net E.B.

Spiritualität - mein Verhältnis zur Wirklichkeit

Die Realität, die mich umgibt, nimmt auf allen Ebenen Einfluss auf meine Lebenshaltung, auf mein Lebensgefühl wie auf mein Handeln. Ich positioniere mich unweigerlich dieser Wirklichkeit gegenüber, damit ich mich orientieren kann und handlungsfähig bin. Ich scheine mein Verhältnis zur Realität selbst zu bestimmen, wenngleich die tieferen Beweggründe mir erst einmal nicht zugänglich sind.

Lebensspiritualität

Jeder Mensch hat eine Spiritualität, das ist die Geisteshaltung, mit der er seine Beziehung zur Wirklichkeit gestaltet. Diese Geisteshaltungen unterscheiden sich, weil es viele Ansätze gibt, wie ich mein Verhältnis in dieser Welt zur Wirklichkeit definieren kann. Dabei lasse ich mich notwendig von einer Vorstellung, einem Geist leiten. Dieser Geist bestimmt, auf was ich Wert lege und wie ich auf meine Umwelt damit reagiere. Ich kann dieses Verhältnis zur Wirklichkeit deshalb Spiritualität nennen, weil ich sie durch meinen Geist bestimme, aber auch auf „Geister“, also Geisteshaltungen um mich herum reagiere. Daher hat jeder von uns eine persönliche Spiritualität, weil er sich mit seiner Geisteshaltung in Beziehung zur Realität „setzt“. Spiritualität ist aber immer auch eine bestimmte Praxis, die meine Lektüre lenkt, meine Gesprächsthemen bestimmt und in den religiösen Spiritualitäten eine bestimmte Gebets- und Mediationspraxis beinhaltet. Mit meinem Handeln bleibe ich deshalb auch nicht unbemerkt, denn ich unterstütze damit gleichzeitig die Wirklichkeit um mich herum oder lehne sie auch ab. Das haben z.B. viele Menschen in der ehemaligen DDR und in anderen Diktaturen vollzogen. Auch in Firmen, Vereinen, Parteien oder Kirchen kann ein Geist herrschen, den ich innerlich ablehne, weil er nicht meiner Beziehung zur Wirklichkeit entspricht. Wenn mir bewusst wird, dass ich selbst bestimme, wie ich mich zur Wirklichkeit stelle, entsteht notwendig die Frage: Von welchem Geist lasse ich mich eigentlich leiten? Mache ich mir immer bewusst, welchem gesellschaftlichen oder politischen Geist, ich kann auch sagen Trend, ich folge und ihn damit durch mein Handeln unterstütze und stark mache? Da mischen mein Charakter und meine Begabungen und Kompetenzen mit, aber letztendlich sind es doch die Werte, die die Ausrichtung meiner geistigen Verortung bestimmen. Diese Werte formen meine Spiritualität, eben meine geistige Orientierung in dieser Welt. Sie sind der Leitfaden für meine Entscheidungen. Ich kann mich also fragen, auf welchen Werten fußt meine Spiritualität? Um was geht es mir im Leben? In welcher Liga will ich spielen, welcher Ehrgeiz treibt mich an?

Verführbar durch das, was „man“ zu denken und zu tun hat

Auch wenn ich in meinen Grundfesten bestimmte Werte für wichtig erachte, bin ich doch verführbar, sie außer Acht zu lassen. Das Umfeld, in dem ich mich bewege, kann größeren Einfluss auf meine Entscheidungen haben als ich mir das eingestehe. Diesen Einfluss registriere ich erst einmal nicht bewusst, er findet auf tieferen Gefühlsebenen statt. Da geht es oft einfach um das Gefühl dazuzugehören und immer um die Akzeptanz meiner Person. Wenn ich mich aber von dem leben lasse, was „man“ denkt, was „man“ haben oder machen muss,  und damit meine eigenen Vorstellungen übergehe, werde ich gelebt. Denn ich lebe meine Spiritualität erst dann, wenn ich sie durch mein Verhältnis zur Wirklichkeit auch bewusst in mein Handeln umsetze. Muss ich dem Trend der anderen folgen, um akzeptiert zu sein? Muss ich ein größeres Auto fahren oder weite Fernreisen unternehmen, damit ich mitreden kann oder mich von anderen absetze? Lebe ich eigentlich richtig? Wie will ich leben? Solche Fragen, ob sie mir bewusst sind oder in der Tiefe meiner Seele schlummern, tauchen immer mal wieder an der Oberfläche auf. Wenn das Materielle, das „Immer Mehr, Höher, Weiter und Effektiver“ die Vorherrschaft gewinnen, fließen andere Werte nicht in mein Weltverhältnis ein, obwohl ich sie in mir trage und sie eigentlich gelebt werden wollen. Auch wenn ich mich abgrenze, der Einfluss des Umfeldes, in dem ich mich bewege, die Normen, die dort gängig sind, nehmen solange immer mal wieder bestimmenden Einfluss auf mein Handeln, bis es mir möglich ist, mein Verhältnis zur Wirklichkeit und damit auch mein Alltagshandeln bewusst zu erkennen. Meine Spiritualität ist nämlich wie meine Person vielschichtig und wird erst wirksam, wenn ich sie in meiner Alltagspraxis verdeutliche.

Aus jeder Spiritualität folgt Praxis

Eine Geisteshaltung wird zur Spiritualität, wenn sie den Alltag durchdringt. Die Auswahl der Fachzeitschriften und Bücher ist ein sicherer Hinweis, dass eine Spiritualität wirksam ist. Ich suche Gleichgesinnte, mit denen ich über das reden kann, was mein Verhältnis zur Wirklichkeit bestimmt. Da sich mein Umfeld ständig ändert, muss ich mein Weltverhältnis immer wieder nachjustieren. Die religiösen Spiritualitäten haben je eigene meditative Praktiken, Yoga, Zen, Chorgebet, Meditation. Was wir als Hobby bezeichnen, ist oft Ausdruck der Spiritualität, die einer für sich gewählt hat.

Das Umfeld in den Blick nehmen

Der Einfluss des Umfeldes ist nicht zu unterschätzen. Wir halten uns ja am liebsten auch in dem Umfeld auf, in dem wir unser Verhältnis zur Wirklichkeit wiederfinden. Ich brauche aber die Auseinandersetzung mit den anderen Milieus, denn wenn ich die Spiritualität anderer erlebe, kann ich meine auch leichter finden. Damit bekomme ich Orientierung, wie ich mich zur Wirklichkeit verhalten will. Das Umfeld kann mit seinem Einfluss meine Entwicklung unterstützen wie auch hemmen. Welchen immensen Einfluss das Umfeld auf Entwicklung haben kann, lässt sich bereits an der Natur beobachten. Wenn Peter Wohlleben in seinem Buch „Das geheime Leben der Bäume“ von der Kommunikation und Unterstützung der Bäume untereinander spricht, dann wird deutlich, welchen Stellenwert Beziehungen in der Natur einnehmen, wie wichtig sie fürs Überleben sind. Bäume unterstützen sich gegenseitig darin, auch bei Trockenheit nicht abzusterben. Sie kommunizieren miteinander. Wenn ich allerdings Kartoffeln neben Tomaten pflanze, muss ich mich nicht wundern, wenn sie krank werden. Sie unterstützen sich nämlich nicht gegenseitig in ihrem Wachstum, denn die Kartoffel kann einen Pilz auf die Tomaten übertragen, der die Pflanze vernichtet. Diese Erfahrungen kann ich auch auf andere Lebensbereiche übertragen. Viele Unternehmen, Vereine, Religionen, Begegnungen und Beziehungen stimmen in ihren Geisteshaltungen nicht mit anderen überein. Das kann spannend sein, wenn ich mich bewusst damit auseinandersetze und meine Wertvorstellungen daran abgleichen kann. Die Tatsache, dass es vielfältige Einflüsse gibt, fordert mich auf, in der Natur wie im eigenen Leben, im Beruf wie in Beziehungen den achtsamen Blick auf das zu lenken, was mein Leben und das der anderen fördert, denn wir sind auf Entwicklung angelegt.

Auf Entwicklung angelegt

Die jetzige Situation mit den Herausforderungen, die sich durch die Umweltkrise stellen, aber auch Corona, dieses unberechenbare Virus, welches unsere Verletzbarkeit deutlich macht, zielen darauf, den Blick auf die Wirklichkeit zu schärfen. Reagiere ich angemessen mit meinem Verhalten auf diese Wirklichkeit? Nehme ich das Umweltdesaster ernst, damit Leben weiter gedeihen kann? Muss ich mit meinem Konsum auf Kosten dieser Umwelt und der Menschenrechtsverletzungen in der Dritten Welt mein Leben gestalten? Bin ich „glücklich“? Glücklich sein ist ein Zustand des Seins nicht des Habens. In diesen Fragen liegen Chancen. Schon, dass sie auftauchen, ich mir diese Fragen stellen kann, zeigt mir, dass es noch etwas Anderes gibt als das, was z. B. gerade im Bereich des Konsums stattfindet. Es gibt noch eine andere Wirklichkeit als das Materielle, die ich in den Blick nehmen kann oder sogar muss. Da ich als Mensch auf Entwicklung angelegt bin, bin ich frei, mein Verhältnis zu dieser Wirklichkeit zu gestalten. Ich kann eine Spiritualität in mir wachsen lassen, die sowohl mein Leben, wie das Leben der nächsten Generationen achtet. Es ist jetzt Zeit zu handeln.

Das Nebeneinander mehrerer Spiritualitäten

Im Christentum wie in anderen Religionen haben sich verschiedene Spiritualitäten ausgebildet. Die von Benedikt von Nursia, von Franz v. Assisi, von Ignatius v. Loyola u.a. entwickelten Spiritualitäten haben jeweils die Bibel als Grundlage und sind doch verschieden, ohne den Boden des Christlichen zu verlassen.
Der Buddhismus hat in Burma eine andere Ausprägung als in Tibet und wieder andere im japanischen Zen gefunden.

Wir versuchen in den nächsten Artikeln einzelne Spiritualitäten unter die Lupe zu nehmen, um damit den Blick auf die Verschiedenheit von Spiritualitäten zu öffnen. Sie sollen helfen, der eigenen Spiritualität mehr auf die Spur zu kommen. Die Erkenntnisse können uns unterstützen, z. B. den ökologischen Umbau angstfreier anzupacken, die Digitalisierung als eine Möglichkeit zur Unterstützung im Alltag weiterzuentwickeln, aber weniger Entfremdung zu verursachen.
Welche Geisteshaltung das Technische bestimmt, wird in dem Beitrag „Spiritualität des Technischen“ dargestellt. Ganz anders die Spiritualität, die der Garten entwickelt. Es ist eine Spiritualität des Wachsens.

Freiheit bestimmt nicht nur das Verhältnis zur Wikrlichkeit. Mit den Werten, die in eine Entscheidung einfließen, wählt sie auch eine Philosophie Freiheit wählt sich eine Philosophie


Kategorie: Entdecken

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang