Spiel junger Seelen in Kiew, Foto: hinsehen.net

Seelenmonat November

Im November spüren wir unsere Seele besonders und denken an die Seelen der Verstorbenen. Unsere Seele ist viel weniger greifbar als unser Körper. Wir leben aber ständig mit ihr, weil wir ständig unser Ich spüren. Einen Überblick über die Seelenkunde gibt Hans Goller in "Das Rätsel Seele". Warum bleibt trotz Wissenschaft die Seele ein „Rätsel“?

Seele: Empfindungen, Freude und Missmut

Seele heißt nicht nur Denken. Noch näher als unsere Gedanken sind uns nälich unsere Empfindungen und Erlebnisse. Wir haben Seelenschmerz, erfahren Zuneigung, haben Skrupel und ein schlechtes Gewissen, entscheiden und schieben Entscheidungen auf. All diese Phänomene werden intensiv erforscht. Mit Hirnstrommessungen kann man erkunden, in welchem Hirnareal wir Schmerz empfinden, wo die Wahrnehmung von Farben stattfindet, wo das Gehirn rechnet. Daraus entsteht wie von selbst die Vermutung, unser Hirn würde das alles erledigen und wir seien allenfalls Zuschauer. Aber wo im Hirn wohnt das Ich? Und sind unsere Empfindungen, selbst Glück, Liebe, Reue nur chemische Vorgänge in unserem Hirn? Man muss nicht an Gott glauben, um dem Menschen eine Seele zuzusprechen. Die Frage der Seele betrifft nicht nur die Religion, sondern auch unser Zusammenleben. Wenn ich mit jemandem spreche, rede ich dann mit jemandem oder nur von einer durch die Hirnzellen gesteuerten biologischen Maschine? Was sind das für Realitäten, wenn wir Farben sehen, Entscheidungskraft spüren, etwas bereuen?

Streit um die Realität der Seele

Fangen wir mit der Gegenposition an. Seit Jahrhunderten gibt es Philosophen und später auch Naturwissenschaftler, die nur skeptisch in der Beantwortung der Frage sind, ob der Mensch eine Seele hat. Sie halten es für evident, dass er aus etwas besteht, was nicht Materie wäre. Mit den empirischen Naturwissenschaften ist die Zahl derjenigen gestiegen, die verlangen, dass die Seele ja irgendwie nachzuweisen sein muss. Würde jedoch ein Chirurg die Seele ausmachen, dann wäre es nicht die Seele. Sie kann nicht im Körper gefunden werden, denn das ist gerade die Voraussetzung, dass wir von Seele überhaupt sprechen können. Würde man sie mit einem Mikroskop oder einem Kernspintomographen ausmachen, wäre es nicht die Seele, sondern ein Organ wie die Leber oder die Nebennierenrinde.
Das, was die Seele von den Organen unterscheidet, ist genau der Zugang zu ihr. Den habe nur "ich". Deshalb kann nur ein Ich Auskunft über die Seele geben und damit bin ich kompetent, diese Frage zu entscheiden. Die Naturwissenschaften, denen wir so viel zutrauen, haben diese Kompetenz nicht, denn sie haben dafür keine Instrumente.

Die Seele kann man nicht wiegen noch elektronisch orten

Trotz aller Fortschritte der Hirnforschung, es scheint aussichtslos die Seele direkt zu fassen zu bekommen. Es gibt kein bestimmtes Hirnareal in dem man die Seele lokalisieren könnte. Das ganze Hirn scheint notwendig, damit ich mich als Ich fühle. Auch kann man das Bewusstsein, dass ich das Rot der Rose sehe, mich im siebten Himmel fühle oder niedergeschlagen bin,  von außen nicht beobachtet werden. Die klug ausgedachten Messverfahren können nur die Arbeit der Zellen beobachten. Wie es zu dem "Ich fühle mich heute richtig gut" kommt, kann man physikalisch nicht beobachten. Nur ich weiß, wie es sich anfühlt. Selbst meine Zahnschmerzen kann kein anderer "fühlen". Die Intensität des Fühlens kann man in seiner Höhe auch nicht mit einem Messgerät feststellen. Wenn die Glückspegel verschiedener Städte gemessen werden und Osnabrück vorne liegt, dann beruht das nicht auf objektiven Daten, auch nicht auf dem Durchschnittseinkommen, den Parkmöglichkeiten in der Innenstadt oder der Qualität der Krankenhäuser, sondern auf der Selbsteinschätzung der Osnabrücker. Über meine Seele kann nur letztlich ich Auskunft geben. Das liegt eben daran, dass Empfindungen, Entscheidungen, Freude und Deprimiertsein keine physikalischen Größen sind. Was nicht physikalisch ist, kann man physikalisch auch nicht fassen. Das liegt daran, dass die Physik nur mit Physikalischem messen kann, es braucht elektrische Ladungen, Masse, Magnetismus, Bewegung, die aber nur fassbar werden, weil es für die physikalische Masse eine Wage gibt und von fernen Milchstraßen Lichtstrahlen bis zu uns dringen. Eine Seele kann man aber auf keine Waage legen und sie sendet auch keine Photonen.

Ich weiß, dass ich eine Seele habe

Allerdings bin ich bei der Beantwortung der Frage, ob es eine Seele gibt, nicht auf mich allein gestellt. Die Sprache und die mit ihr verbundene Denkfähigkeit sind nicht physikalisch hervorgebracht. So ist dieser Text nicht eine abgeschlossene Erkenntnis, sondern ein Gesprächsbeitrag. In Sachen Seele gibt es jeden Tag Neues zu entdecken, Lyriker, Komponisten, Maler geben dem Seelischen immer neu Ausdruck, auch wir mit unserem Nachdenken, in der Mediation wie auch im gemeinsamen Nachdenken. Das lässt uns in berechtigter Weise davon ausgehen, dass es so etwas wie Seele gibt. Wenn wir dem nachgehen, können wir das Seelische dann auf vom Körperlichen deutlicher unterscheiden und sehen zugleich, wie Leib und Seele zusammenhängen.

Körper und Seele

Wir haben Erlebnisse, es kann ein Sonnenaufgang sein, ein Gedanke, der uns überzeugt, eine Begegnung. Mit Kernspintomographen können Gehirnströme im Zusammenhang mit solchen Erlebnisse registriert werden, aber der Inhalt, was wir empfinden, erleben, das lässt sich nicht mit technischen Geräten beobachten. Es kommt noch etwas Entscheidendes hinzu. Während ein Ultraschallgerät etwas auf dem Schirm darstellen kann, ohne dass wir wissen, dass wir es haben, z.B. einen Tumor, gibt es Empfindungen und Erlebnisse nicht ohne mich. Ich empfinde, erlebe und weiß das auch. Dieses Ich ist nicht räumlich zu identifizieren. Man kann es in keiner Weise messen. Es ist also nicht  in gleicher Weise materiell wie unsere Zellen oder die elektrischen Ströme in unserem Gehirn. Das Ich ist keine räumliche Tatsache, obwohl wir es offensichtlich mit unserem Körper mitnehmen. Meine Seele ist, wo mein Körper ist, räumlich anzutreffen, aber weder räumlich ausgedehnt noch am Gewicht feststellbar. Weil wir als "Ich" erleben und empfinden und dieses Ich weder durch Instrumente und auch nicht durch das eigene Körpererleben räumlich festzumachen ist, muss es ein Substrat haben, das eben nicht so ist wie die Materie, ob Atome oder die elektrischen Ströme des Nervensystems materiell sind. Dieses Substrat wird seit alters her Seele genannt. Das mit der Seele gegebene Ich ist aber nicht nur Zentrum von Empfindungen und Erlebnissen.
Das Seelische identifizieren wir mit dem Geistigen im Menschen und sehen die Seele als Träger unseres Ich‘.  Wenn es etwas in uns gibt, das nicht materiell ist, dann könnte es vom biologischen Tod nicht einfach aufgelöst werden.

Leben nach dem Tod - eine Frage der Seele

In seinem Buch über das Rätsel der Seele geht Goller im letzten Kapitel auf das Verhältnis von Seele und Körper im Zusammenhang mit dem Tod ein. Diese Frage stellt sich zwingend. Denn endet das, was wir als "Ich" sind, mit unserem Tod? Löst sich unsere Seele mit dem Zerfall des Hirns auf? Was die Religionen schon immer gesagt haben: Es braucht eine Seele, wenn der Mensch noch etwas anderes ist als bloße Materie. Denn der materielle Teil von ihm und damit das erlebte Glück, die empfundene Scham, die gegen alle Wahrscheinlichkeit getroffene Entscheidung, das Loslassen vom Alkohol, echtes Interesse am anderen, würde spätestens mit dem Ende des Weltalls verschwunden sein. Aber vergeht das, was ja nicht physikalisch ist, mit dem biologischen Ende des Körpers?

Die Reihe wird fortgesetzt.

Auch andere Medien thematisieren die Seele, so die Neue Züricher Zeitung:  NZZ über Bewusstsein

Das Rätsel Seele von Hans Goller bei Butzon&Bercker


Kategorie: Verstehen

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