Schrebergärtner – das Klischee
Eine Armee von Gartenzwergen, die sich seit Jahren nicht einen Millimeter von ihrer Stelle bewegt hat, ein Pensionär mit Zollstock und Gartenschere bewaffnet, um seine Hecke auf die vorgeschriebenen 1,80 m zu stutzen – und der danach auch noch einmal beim Nachbarn nachmisst, ob dieser auch ja keinen Millimeter über die erlaubte Höhe hinausragt. Danach wird akribisch berechnet, ob auch mindestens ein Drittel der Anbaufläche für Obst und Gemüse genutzt wird. Und wer den Rasenmäher nicht pünktlich zur Mittagsruhe um 13 Uhr abstellt, hat gleich eine Horde griesgrämiger Rentner vor seinem Türchen stehen. Gärtnern nach Regeln und Vorschriften: Der Mythos einer homogenen Gartenkolonie.
Corona-Oase
Tatsächlich sind Kleingärten spätestens seit der Corona-Pandemie so beliebt wie nie, die Wartelisten lang und die Aussicht auf eine Laube in manchen Regionen gleich null. Die Bewerber sind meistens junge Familien mit kleinen Kindern. Denn längst ist auch fernab der Metropolen Wohneigentum mit Garten Mangelware oder unbezahlbar. Pandemie, Lockdown, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen haben das eigene Grün umso erstrebenswerter gemacht: Ohne Maske und Abstand, dafür aber draußen, fernab von den vier Wänden, die während des letzten Jahres für viele Büro, Wohnung, Fitnessstudio und Gastronomie in einem geworden sind. Denn im Schrebergarten geht das Vereinsleben weiter. Selbst wenn der Gartenzaun für den nötigen Abstand sorgt.
Das Millennial-Paradies
Darüber hinaus passt das Konzept eines Kleingartens perfekt zum Lifestyle der Millennial-Generation. Man muss nicht vegan, vegetarisch oder Vollblut-Öko sein, doch so ganz lassen grüne Ideen und Nachhaltigkeit wohl niemanden kalt. Gärtnern liegt halt voll im Trend. Denn es erfüllt das Bedürfnis vieler Millennials nach kreativer und ökologischer Selbstverwirklichung. Viele unserer neuen Gartenfreunde, die meisten von ihnen nur wenige Jahre älter als ich, erklären mir, dass es ihnen vor zehn Jahre niemals in den Sinn gekommen wäre, sich einen Kleingarten anzuschaffen. Heute ist er für sie Zufluchtsort von Arbeit, Technik und Alltag. Das meiste, was ich während meines Berufsalltags erschaffe, ist für mich nur auf dem Bildschirm existent. Das, was ich im Garten anbaue, ernte und anlege, ist greifbar und wirklich.
Die Nostalgie vom Fleckchen im Grünen
Gleichzeitig hat das Agieren in der Natur für uns Millennials etwas höchst Nostalgisches. Denn jeder über 25 kennt sie noch: die unbeschwerte Kindheit ohne Handy, Computer oder andere Hosentaschentechnik. Die Freizeit draußen verbringen, Wiesen und Wälder erkunden, sich schmutzig machen. Wir gehörten noch zu der letzten Generation, die dieses Privileg genießen konnte und jetzt, da unser Alltag, unser Berufsleben, unsere Freizeit geprägt sind von ständiger Erreichbarkeit, technischen Geräten, die unser Leben erleichtern sollen, macht sich ein gewisses Verlangen breit: nach Rückkehr zu den naturbelassenen, Kindheitserfahrungen im Draußen. Erfahrungen, die wir unseren eigenen Kindern, Nichten und Neffen zugänglich machen wollen.
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