Die gegenwärtige Wende Russlands nach Osten wurde vor allem durch die Ukrainekrise eingeleitet. Nach der Verhängung der westlichen Sanktionen hat die russische Regierung erklärt, dass das Land angesichts dieser Entwicklung sich nach Osten wenden will, um dort seine Zukunft zu suchen. Das war für Vladimir Putin, den man als geistigen Nachfolger von Peter d. Gr., der Russland nach Westen hin orientierte, eine überraschende Wende. Völlig freiwillig war sie allerdings nicht. Jemand, der wie Putin in Petersburg, der Stadt wo man sich eher in Europa als in Russland fühlt, geboren und aufgewachsen war, musste nicht nur die Identität des Landes, das sich auch unter den Kommunisten als Teil der europäischen Kultur betrachtete, neu definieren, sondern auch seine eigene Identität.
Parallele zwischen der heutigen Situation und dem 13 Jahrhundert
Aber Putin war nicht der erste, der das tun musste. Vor 800 Jahren war Russland in einer noch viel schwierigeren Lage und stand vor einer ähnlichen Entscheidung. Die geschichtlichen Parallelen zwischen beiden Epochen sind verblüffend. Anfang XIII. Jahrhundert wurde die in kleine Fürstentümer zerfallene Kiewer Rus von mongolischen Armeen überfallen, einer Militärmacht, der in dieser Zeit kein anderes Land und keine andere Armee gewachsen war. 1237 wurde das heutige Russland verwüstet, 1240 wurde Kiew von den Mongolen eingenommen. Das haben Schweden und der Deutsche Ritterorden genutzt, um das geschwächte Land unter ihre Kontrolle zu bringen und sich so nach Osten auszudehnen. Genau in dieser Zeit betreten zwei historische Persönlichkeiten, zwei russische Großfürsten aus dem
Die westliche Ukraine orientiert sich damals schon anders als die östlichen Gebiete
Haus der Rjurikovisch, die Bühne. Alexander Newsky war der Großfürst im Nordosten des Landes, dem Kerngebiet des künftigen Russlands. Daniil von Galitsch war der Herrscher über die heutige Westukraine. Sie haben zwei völlig verschiedene Antworten auf die Herausforderungen, vor denen die Rus stand, gegeben. Schon damals zeichneten sich die unterschiedlichen Wege ab, die die Ukraine auf der einen Seite und Russland auf der anderen einschlagen würden, so dass die heutige Krise damals schon grundgelegt wurde. Damals konnte das Land unmöglich seine Unabhängigkeit verteidigen. Byzanz, die geistliche Mutter Russlands, lag in Trümmern. Grund war die Plünderung Konstantinopels durch die Teilnehmer des Dritten Kreuzzuges So konnte man nur noch zwischen dem lateinischen Westen und dem mongolischen Osten wählen. Beide Fürsten haben jeder ihren eigenen Weg eingeschlagen, der gleichzeitig den Weg ihrer Länder werden sollte. Daniil wählte den Westen, Alexander Mongolen.
Die Kiewer Rus war nach Westen orientiert
Um die Tragweiter der Entscheidung zu verstehen, ist das Verhältnis der Kiewer Rus damals zu berücksichtigen. Der Fürst Wladimir mit seinen Gefolgsleuten wurde zwar von Griechen getauft, hat aber deren Animosität gegenüber den Lateinern auch nach der Plünderung von Konstantinopel durch die Kreuzritter nicht übernommen. Der Slogan – besser türkischer Turban als lateinische Mitra war für die Ostslawen damals alles andere als selbstverständlich. Außerdem stammten die Kiewer Fürsten aus Skandinavien. Sie waren Herrscherhäusern in Dänemark, Schweden und England sowie durch Heiraten mit Deutschland verbunden. Auch wenn die Kiewer Rus in kultureller und religiöser Hinsicht ein Teil der griechischen Welt war, hat sie nie ihre Verbindungen zum lateinischen Europa abgebrochen. Nach dem Niedergang des Byzantinischen Reiches hätte sie Teil der europäischen Welt werden können. Aber sie ist es nicht geworden. Stattdessen wurde sie von Europa so scharf abgeschnitten, dass sie diese Trennung bis jetzt nicht überwunden hat. Es ist sehr daran zu zweifeln, ob Russland irgendwann den Graben überwindet, der vor 800 Jahren ausgehoben wurde. An einem dieser geschichtlichen Scheidewege, der manchmal das Schicksal der Länder und der Völker für kommende Jahrtausende entscheiden, war die Rus gezwungen, sich gegen den Westen zu wehren, mit der Konsequenz, sich dem Osten zu unterwerfen.
Unterwerfung unter die mongolische Oberhoheit
Nachdem das Land durch die Mongolen verwüstet war, musste der Fürst der Valdimiro-Suzdal Rus im Nord-Osten der Kiewer Rus 1240 den Angriff der Schweden und 1242 den des Deutschen Ordens abwehren. Diese hatten ihren Kriegszug unter dem Vorwand begonnen, den katholischen Glauben zu bringen. Der Fürst musste sich der Goldenen Horde unterwerfen, um sein Land vor weiteren Plünderungen zu bewahren. Es war auch keine Alternative, sich mit Schweden und dem Deutschen Orden vertraglich zu einigen, denn Europa konnte Russland vor den Mongolen nicht schützen. Als Daniil aus Galitsch die westliche Ukraine den katholischen Mächten unterstellte, erhielt er ebenso wenig eine wirksame Hilfe. Nach einem missglückten Aufstand wurde sein Land von einem mongolischen Heer verwüstet und dann unter Ungarn, Polen und Litauen aufgeteilt.
Russland blieb, anders als die Ukraine, geeint
Russland konnte so eine Dolchstoßlegende erspart werden, weil es nicht aufgeteilt wurde. Mit Blick auf die westliche Ukraine ein weiterer Grund, dem Westen zu misstrauen. Jetzt gilt der Fürst Alexander Newsky ein Heiliger der Orthodoxen Kirche und für Patrioten ein Held. Er wurde zu Gründungfigur des modernen, auf den Trümmern der Kiewer Rus entstandenen Russlands mit Moskau als Zentrum. Er ist deshalb ein Held, weil er dem Westen die Stirn bot und ihn besiegte. Gleichzeitig musste er aber zusehen, wie Russland eine unterworfene Provinz innerhalb des riesigen Mongolenreiches wurde. Das heutige Russland ist Erbin dieses mongolischen Reiches geworden, indem es nach dessen Zusammenbruch von Westen her in die Gebiete Jenseits des Urals vordrang. In der Konsequenz musste es sich nach dem asiatischen Vorbild umformen.
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