Die Nachkriegsgeneration konnte noch Vieles neu gestalten. Wir sind bereits in den fünfziger Jahren in einem funktionierenden Bildungswesen aufgewachsen. Die Industrie hatte die Kriegsschäden hinter sich gelassen, es gab viele Arbeitsplätze. Man konnte in Italien Urlaub machen. Es ging nicht mehr wie in den vierziger Jahren ums Überleben. Die Voraussetzungen für eine Kulturrevolution waren gegeben. Sie fiel nicht 1968 vom Himmel, sondern war in den Sechzigern mit der Frage verbunden, aus welcher geistigen Konstellation der Vernichtungswille des Nationalsozialismus hervorgegangen war.
Die Welt scheint fertig zu sein
Jetzt ist alles zugebaut, Es ist eher zu viel für das, was die nächsten 10 Jahre gebraucht wird. Wer in den letzten 30 Jahren geboren wurde, muss reparieren, was wir hinterlassen haben. Weil so viel Altes wieder instandgesetzt werden muss, müssen sogar Schulden gemacht werden, nur um die Reparaturen zu finanzieren. Anders als die Generationen, die die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts gestalten konnten, finden die nach 1990 Geborenen eine Welt vor, in der alles da ist, das aber zu teuer und zu umweltschädlich ist. Unsere Bilanz sichert die Zukunft nicht. Wir lassen zu viele Probleme zurück: Zu viel, zu teuer, zu schlecht gebaut.
Vieles ist überflüssig
Nicht nur das Homeoffice macht Vieles, was gebaut wurde, überflüssig. Die nachfolgenden Jahrgänge brauchen auch viele der geistigen Gebäude nicht mehr. Während wir die mittelalterlichen Kirchen, die Bauten des Barock erhalten, reißen wir die Gebäude des 20. Jahrhunderts problemlos ab. So ähnlich wird es wohl den vielen geistigen Gebäuden ergehen, deren Fundamente bereits im 19. Jahrhundert gelegt wurden. So wie der Marxismus aus der Zeit gefallen ist, so auch die Theologie mit den anderen Geisteswissenschaften. Sie finden kaum noch Studenten. 10% derer, die sich für ein Studium einschreiben, wählen noch ein geisteswissenschaftliches Fach. Offensichtlich brauchen die kulturell-geistigen Gebäude eine gründliche Erneuerung. Oder sind sie gar nicht mehr bewohnbar?
Der Mensch ist unterwegs
Die Menschheit ist auch einmal aufgebrochen. Sie blieben nicht wie die Schimpansen in dem Lebensraum, in dem sie entstanden sind. Weil sie als Steppenbewohner den aufrechten Gang entwickelten zogen sie bis in die Sand- und die Eiswüsten. Ihre Vorstellung von der Welt formte sich am abendlichen Feuer. Da haben sie sich die Geschichten erzählt, wie die Erde, die Pflanzen, die Tiere und dann der Mensch entstanden sind. Wie das Böse in die Welt kam, von der Sintflut und der Wanderung durch die Wüste. Die Israeliten, die Nachkommen Israels, so wurde Jakob, der Enkel Abrahams, auch genannt, erzählten sich von einem Aufbruch. Sie verließen das fruchtbare Niltal, weil sie dort in die Sklaverei geraten waren. Für ihre Freiheit mussten sie 40 Jahre durch die Wüste ziehen. Heute wollen die Ukrainer nicht in das Sklavenhaus zurück. Der Pharao dieses Reiches will sie zurückholen. Seine Streitwagen sind zum großen Teil zerstört.
Wenig Gepäck weitergeben
Wir Deutschen wurden vor 80 Jahren von dem Pharao befreit, der keine andere Idee als Krieg und Vernichtung „unwerten Lebens“ hatte. Wenn jetzt die Jüngeren ein neues Gehäuse für die Probleme suchen, die wir hinterlassen, dann muss es leichtes Gepäck sein. Denn unsere, der Älteren Vorstellung, wie unser Land funktionieren sollte, kann nur noch mit Schulden, also von den nächsten Generationen, bezahlt werden. Was passt in einen Rucksack? Das Grundgesetz können wir weitergeben, die 2.400 Gesetze und ihre Ausführungsbestimmungen, mit denen die Demokratie sich mit vielen Fäden fesselt, wären wie Ziegelsteine, die auf den Schultern liegen. Leicht zu tragen und sofort anwendbar ist dagegen die Erkenntnis, dass das Glück in dauerhaften Freundschaften und trotz aller Konflikten in der Familie liegt. Das haben in einer Langzeit-Untersuchung die Senioren gesagt und in der Shell-Jugendstudie die Jungen als die beiden obersten Werte mit über 90% angekreuzt. Diese Beziehungen brauchen nur Zeit und sind nicht ortsgebunden.
Viele Erkenntnisse der Medizin können im Kopf mitgenommen werden. Denn für die Wanderung durch die Wüste braucht es Gesundheit. D.h. erst einmal, kein Übergewicht, gesunde Ernährung. Weiter braucht die Wanderung ein freundliches Verhältnis zu Pflanzen und Tieren, also eine Bepflanzung der Betonwüsten.
Ein weiteres Erbe, das wir weitergeben können, ist die Tragfähigkeit von Bildung. Diese kann unterwegs besonders gut ausgebaut werden. Wenn wir selbst im Alter die Zeit für Gespräche und Lektüre ausweiten, beweisen wir, dass Bildung das Leben trägt. Wir können dazu ermutigen. Bücher versprechen mehr als TikTok und Instagram. Bildung lohnt sich und kann im Hirn gespeichert werden. Für die Musik genügen das Handy und die kleinen Kopfhörer.
In uns aufräumen, um nichts Schädliches weiterzugeben
Wir geben auch psychische Lasten weiter. Die waren in den vierziger-fünfziger Jahren deutlich und auch schwerwiegender. Der sexuelle Missbrauch ist wohl nicht der einzige Brandherd, der weiter vor sich hin schwebt. Die Zunahme der Depressionen deutet auf weitere verborgene Glut. Wir können nur noch wenig zur kulturell-spirituellen Bausubstanz beitragen. Die systemische Therapie zeigt uns eine Möglichkeit: Wenn wir unseren Fehlern, unserem Missbrauch, unseren Versäumnisse ins Auge sehen, entschärfen wir deren Langzeitwirkung. Es muss ein Familienmitglied nicht mehr zu Drogen greifen, weil eine Großtante ihre Selbstmordphantasien nicht bearbeitet hat. Es ist also nicht notwendig die Mutter schuld, wenn eine Biographie misslingt. Diese Last, die Sigmund Freud den Müttern zusätzlich aufgeladen hat, können wir der Geschichte überantworten.
Die Religion
Die Themen der Religion bleiben. Die Kirchen haben kein Monopol für die Fragen, für die es keine technischen oder organisatorischen Lösungen gibt. Wir haben uns mit diesen Fragen auseinandersetzen müssen. Was ist Leben überhaupt und warum Tod? Sterbe ich selbst, wenn mein Körper zerfällt? Was könnte das Land sein, in das ich mit dem Tod eintrete? Ein dunkler Ort wie der Hades der Griechen oder das Sheol der Juden? Was passiert mit der schweren Schuld, die wir schon übernehmen mussten und die wir weitergeben? Finde ich einen Sinn?
Was ist mein Lebensauftrag, für den ich auf der Welt bin?
Offensichtlich konnten in unseren Jahren die Kirchen noch dem Wertesystem, welches das Zusammenleben stützt, Relevanz verleihen. Sie haben diese Funktion aufgegeben, weil die internen Probleme und Streitigkeiten seit den siebziger Jahren die Kräfte absorbiert haben. Erst eine neue Theologie wird für Abiturienten wie für die Generation nach dem Konzil wieder ein vielversprechendes Studienfach. Weitergeben können wir die spirituellen Schulen eines Benedikt, eines Franz von Assisi, eines Ignatius und das Ordenskonzept des Augustinus von Hippo.
Hier endet meine, des Autors Vorstellungskraft. Für jede Ergänzung bin ich dankbar
Eckhard Bieger S.J.
e.bieger&gmx.de
Elsheimerstr.9, 60322 Frankfurt/M
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