Das Licht kommt nur von der Seite, der Weg mündet im Ungewissen Foto: E.B.

Religion stellt sich dem Unberechenbaren

Die Religion erklärt immer weniger. Den Ursprung des Kosmos haben die Astronomen herausgefunden, die Psyche des Menschen ist durchschaubar geworden, immer mehr Krankheiten werden geheilt. Für was ist dann noch die Religion da? Für das große Meer des Unbekannten, das hinter dem Gewussten liegt.

Das Foto zeigt, dass das Licht einen Teil unseres Weges erleuchtet, dieser aber in ein unbestimmtes Dunkel geht. Jedes Neue Jahr bewegt sich auf das Dunkle zu. Ob nach dem 1. Januar oder meinem Geburtstag: einiges weiß ich, anderes kann ich erahnen, vor Überraschungen bin ich nicht sicher. auch hinter der Wissenschaft bleibt Vieles im Dunkeln, denn Physik und Chemie enden an der Grenze unseres Universums. Unsere Fernrohre reichen nicht aus diesem Weltall hinaus. Ob es außerhalb dieses Alls noch Raum und Zeit gibt, können wir nicht sagen. Erst der Tod eröffnet uns den Zugang zu einer anderen Welt. Jede Wissenschaft stößt an ihre Grenzen, so wie die Astrophysik auch die sichere Kenntnis über uns selbst, denn der Mensch ist prinzipiell nicht fassbar

Das Unbekannte der Freiheit

Wir überleben nur in Beziehung zu anderen. Das Beziehungsnetz ist immer dichter geworden. Dafür erleichtert unsere Zivilisation das Leben enorm, kann sie unsere Gesundheit sehr viel effektiver schützen und wiederherstellen. Aber je mehr Beziehungen, desto abhängiger von anderen, von dem, was sie können und zu meinem Leben beitragen. Damit werden wir auch immer mehr von der Freiheit der anderen abhängig. Das erhöht das Risiko, denn ob Freund oder Partner, es ist die Freiheit des anderen, die über den Fortbestand einer Freundschaft oder einer Partnerschaft entscheidet. Der andere ist nicht einfach ersetzbar. So wenig ich die Freiheit des anderen berechnen kann, so sehr bin auch ich nicht berechenbar. Damit überschreite ich aber bereits in meiner Person die Grenze des sicheren Wissens.

Das Unberechenbar jenseits der Wissensgrenze

Die Religionen sind dazu da, den Menschen in ein Verhältnis zu dem zu bringen, was jenseits des Wissens liegt. Das stellen bereits die Opferrituale dar: Das Opfer wird verbrannt oder sprengt sich in die Luft, um so die Gottheit zu erreichen. Das Verbrennen oder die sofortige Begegnung des Märtyrers mit Gott ist in dieser Welt nicht möglich. Die Hoffnung der frühen Religionen war, dass Gott „das Opfer riecht“. Dem Märtyrer verspricht der Koran, dass er unmittelbar ins Paradies gelangt. Schon lange vor den Hochreligionen suchen die Menschen Orte auf, wo sie oder andere eine besondere Erfahrungen gemacht haben, die sie auf dem Kontinent des sicheren Wissens nicht gewinnen konnten. Leberschau, Sterndeutung, die Beobachtung des Vogelflugs sollten der Zukunft ihre Unberechenbarkeit nehmen. Jedoch gelangen die Propheten, die Sterndeuter, die Priester nie zu einem sicheren Wissen über das, was aus dem uns nicht Zugänglichen kommt. Was vielen religiösen Menschen erst langsam klar wird: Gott ist nicht berechenbar, er kann mich vor einem Unglück schützen und auch genauso krank werden lassen. Er kann eben nicht wie ein Atom oder ein Tier einem Experiment unterworfen werden. Das haben die religiösen Leitfiguren am Ende immer zugegeben. Das ist auch der Grund, warum man keine Gottesbeweise verlangen kann. Der weise Thomas v. Aquin hat dann auch die damals plausiblen Beweise für die Existenz Gottes  die „fünf Wege“ genannt.

Religionen vermitteln zwischen dem sicheren Boden und dem Unbekannten

Religion gibt es, weil der Mensch in irgendeine Beziehung zum Unberechenbaren kommen muss. Da das große Meer des Unsicheren und der Zukunft nicht auszuschöpfen ist, wird das im 19. Jahrhundert vorausgesagte Auslaufen des religiösen Flusses nicht kommen können. Die Wissenschaften beseitigen das Unerkannt nicht. Sie kommen, so die Physik, sogar zu der Einsicht, dass das, was vorher ungefragt vorausgesetzt werden konnte, so nicht mehr gelten kann. Sie können eben das Meer nicht ausschöpfen und eher dem holländischen Wassersystem mit Kanälen, Deichen und Pumpen vergleichbar. Indem sie das Wasser zurückdrängen, werden auch die Landesteile, die unter dem Meeresspiegel liegen, bewohnbar. Es bleibt aber das riesige Meer, das, wenn das Grönlandeis abschmilzt, das Land wieder flutet. Dieses Meer ist dann aber mit Schiffen befahrbar. Die organsierten Religionen sind den Schiffen vergleichbar. Mit ihnen kann man sich auf die hohe See wagen. Das ist das, was die Religionen leisten können, die Begegnung mit dem Unsicheren in eine Form bringen, um mit dem Meer des Unberechenbaren zurechtzukommen. Vielleicht nennt man das deshalb Langhaus einer Kirche auch „Kirchenschiff“. Die Menschen nehmen wie auf einem Dampfer Platz, und fahren, wenn die Kirche geostet ist, der aufgehenden Sonne entgegen. Wie für die Ägypter ist auch für die Christen die Sonne Symbol des Göttlichen. Nicht der Sturm, nicht die Nacht zeigen, was wir vom Ungewissen erwarten können, sondern die Wärme, die Lebenskraft der Sonne, die das Wachstum vorantreibt. Deshalb heißt der religiös geprägte Tag der Woche auch Sonntag.

Die religiösen Organisationen haben kein Monopol auf die Begegnung mit dem Ungewissen

Ob die heute bestimmenden Religionen diese Aufgabe angemessen erfüllen und damit überlebensfähig bleiben, hängt nicht von ihrem Organisationsgrad ab, den die deutschen Kirchen zu eine reinmaligen Perfektion gebracht haben, um sich wahrscheinlich selbst damit zu strangulieren. Wenn die Religion das befestigte Land bearbeitet und nicht mehr auf das Meer des Ungewissen hinausfährt, dann macht sie sich zu einem Teil des abgesteckten Gebietes, über das man alles weiß. Die beiden Volkskirchen in Deutschland scheinen sich mit ihren hohen Kirchensteuereinnahmen auf dem Kontinent der Sicherheiten eingerichtet zu haben. Der Islam versucht mit einer strikten Rückkehr zu seinen kriegerischen Anfängen neue Stabilität zu gewinnen und aus seinem Unterlegenheitsgefühl herauszufinden. Außenstehende lassen sich jedoch vom Heldentod der jungen Männer und Frauen nicht überzeugen. Offensichtlich kommt so keine Berührung mit dem Unbekannten zustande.
Da die organsierten Religionen den Einbruch des Unberechenbaren nicht filtern können, sondern jeder Mensch unmittelbar betroffen ist, wird die Religion bleiben, auch wenn viele Wissenschaftler ihre Berufung darin sehen, das Meer des Unbekannten auszutrocknen.

Religion - wegen des Bösen


Kategorie: Entdecken

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