Nürnberg, St. Lorenz, Adam Kraft Foto: hinsehen.net

Religion nicht ohne Kultur

Religion verlangt Sprache, Vorstellungswelten, Musik, Inszenierungen wie z.B. Prozessionen. Religion gibt es nicht ohne Kultur, gerade die christliche Religion. Denn sie wendet sich mit ihrem Heilsversprechen. Ohne Darstellungsformen, in die sich alle "einklinken" können, wird sie ihrem Anspruch nicht gerecht. Das Dilemma heute ist die Kulturferne der wissenschaftlichen Theologie und auf Seiten der Kultur die fehlende Allgemeinverständlichkeit der Bildenden Künste und der E-Musik. Wenn die Theologie wieder auf die Künste zugeht, wird Neues entstehen und die Religiosität neue Tiefe gewinnen.

Religiöse Ausdrucksform fordert nicht nur die Kreativität, sondern auch die Theologie. So ist die Fernsehübertragung eines Gottesdienstes nicht ohne eine tiefergehende Auseinandersetzung mit der Liturgie möglich, denn der Zuschauer sitzt nicht neben anderen in der Bank, sondern schaut über mehrere Kameras, in Großaufnahme oder Totale dem Geschehen zu und soll nicht nur zuschauen, sondern bewusst mitfeiern. Man kann durch die Kameraführung diese intentionale Aufmerksamkeit unterstützen wie auch verunmöglichen, denn der Zuschauer fühlt sich nicht eingebettet in die feiernde Gemeinde, sondern sitzt allein ohne den Raumeindruck der Kirche vor seinem kleinen Bildschirm. Wie  Buchmalerei oder Glasfenster müssen auch Filme und Fernsehserien in Geschichten den religiösen Bezug mit ihren Ausdrucksmitteln darstellen. Die Darstellung der spirituellen Ergriffenheit, des "Heiligen" führt zu einer intensiven Auseinandersetzung mit dem, worum die Theologie erst einmal sprachlich ringt.

Die Kraft von Theologie und Spiritualität

Kultur, nicht zuletzt religiöse Kultur, wird heute eher museal verwaltet, sorgfältig restauriert, mit Instrumenten der Entstehungszeit zur Aufführung gebracht. Diese Epochen waren nicht in ihrer Endphase, sondern von der Ahnung eines neuen Zugangs zum Göttlichen getragen. Es waren  kulturelle Aufbrüche mit ihrer Suche nach den tieferen Seelenschichten, die dem Menschen Zugang zur religiösen Dimension erst eröffnen. Ohne die Berührung mit dem Göttlichen ist keine Inspiration für die Gestaltwerdung des Religiösen zu erwarten. Es ist ein Wechselverhältnis zwischen Kreativität und der intensiven Suche nach einer größeren Nähe zum göttlichen Geheimnis, die die großen Kunstwerke hervorgebracht hat, die wir nicht verlieren wollen, weil wir diese Aufbruchsstimmung nicht haben. Die Chancen sind deshalb heute da, weil die Religion dazu mehr befreit als in Zeiten des Staatskirchentums. Aber die Geschichte ist kompliziert.

Der Bruch zwischen Kirche und Kunst

Die sozialen Kräfte für den Zusammenhalt, die Gemeinschaftserfahrungen durch Kult, Riten, Wallfahrten, die tiefere Verankerung von Lebenswenden durch Taufe, Konfirmation, Ehe wurden in vorbürokratischen Gemeinwesen von der Religion erbracht. Das wird am Nationalsozialismus wie dem Sowjetsystem deutlich. Sie mussten diese Riten mit ihrer Weltanschauung neu einführen, um die Religion aus der Gesellschaft zu verbannen. auf die Religion angewiesen.
Religion hatte in früheren Herrschaftssystemen dem Ganzen zu dienen. Erstaunlicherweise hat diese politische Vereinnahmung der Kirchen und nicht zuletzt ihrer Amtsträger die kulturelle Entfaltung nicht beeinträchtigt. Die politischen Entscheidungsträger, nicht zuletzt die Päpste, stellten nicht nur die Mittel zur Verfügung, sondern zeigten sich auch für neue Entwürfe offen. Das änderte sich ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Vorausgegangen war die Restauration als Reaktion auf die Französische Revolution. Hatten sich Hegel, Schelling u.a. noch intensiv mit der Theologie auseinandergesetzt, kam es mit Feuerbach, Marx und der Arbeiterbewegung zu einer Ablehnung der Religion. Der Aufbau einer neuen Gesellschaft sollte ohne Religion erfolgen. Mit der Trennung von Staat und Kirche zerbrach auch die enge Beziehung von Religiosität und Kultur. Aber so endgültig scheint der Bruch nicht zu sein. Eigenartigerweise üben die mittelalterlichen Kirchenräume und die Kunstwerke des Barock eine größere Anziehungskraft auf Touristen aus als die Bauten des 19. und 20. Jahrhunderts. Es könnte sein, dass die religiöse Inspiration den Gestaltungswillen der Kunst mehr innovative Horizonte eröffnet. Auf welche Kunst muss sich die Religion aber heute einlassen?

Hermetische Kunsträume

Vielleicht sind die Kirchen u.a. Kunst-Räume frühere Epochen deshalb so frequentiert, weil die Raumkompositionen, die Skulpturen und Malereien schon damals für die breite Bevölkerung konzipiert wurden und heute auch so funktionieren. Kunst der Moderne schreibt dieses Kunstverständnis nicht einfach fort, sie will auch weniger dar-stellen als infrage stellen. Sie will auch nicht mehr allgemein sein, sondern ihre Darstellungsformen bedürfen fast immer einer Interpretation. Die Kunstwerke verlangen weniger Betrachtung als Verstehen. Dieses Verstehen ist meist ohne Interpreten nicht möglich.  Zwar fordert die mittelterliche wie barocke Darstellung auch Verstehen, aber es wurde für den europäischen Kulturraum nur ein Zeichensystem benutzt, z.B. ist Petrus immer an dem Schlüssel in seiner Hand identifizierbar. Die Zeitgenossen mittelalterlicher Kreuzigungsgruppen, wussten, dass María meist links und der Apostel Johannes rechts unter dem Kreuz stehen. Der Künstler damals konnte dieses Wissen voraussetzen, nicht jedoch der Künstler in der Moderne nicht mehr voraussetzen, zumal er sich meist ein eigenes Figureninventar zusammenstellt. Die Folge dieser jeweiligen künstlerischen Welten der Moderne ist die Aufsplitterung der Betrachter, die dann jeweils einen Interpreten für die Formensprache des jeweiligen Künstlers brauchen, während für die Räume, die z.B. die Gotik gestaltet halt, jeweils ein Handbuch ausreicht.

Fotographie, E und U-Musik

Neben den erklärenden Publikationen für einzelne Künstler gibt es in der Moderne jedoch Medien, die nicht einen begrenzten Kreis von Verstehenden ansprechen, sondern möglichst alle erreichen wollen. Die Fotografie ist ein solches universelles Medium. Tests des Autors ergaben, dass Fotos von den verschiedenen Altersgruppen und Milieus ohne großes Überlegen ästhetisch beurteilt werden können. Es wurden in dem Test Fotos vorgelegt. Auf einer Skala konnte man ankreuzen, in welchem Maß ein Foto zusagt. Schon ab 20 Testpersonen wird bereits deutlich, welche Fotos auf nur geringe Zustimmung stoßen. Die positiven Zustimmungswerte verteilten sich meist auf mehrere Motive. Wenn man an die für jede Epoche universelle Sprache anknüpfen will, dann ist das heute über das Foto möglich.
Die Musik hat sich einen universalistische U- und in die nur für Kenner zugängliche E-Musik aufgespalten. Die E-Musik schafft wie die moderne Kunst um sich herum eine Aura der Unzugänglichkeit. Das hat zur Konsequenz, dass nur die, denen ein Zugang zu diesen Kompositionen erschlossen wird, sich auf das Hören einlassen. Es ist dann die ernstzunehmende Musik, während die andere der „Unterhaltung“ dient.

Darstellen oder aufdecken

Die Aufklärung ist unter der Perspektive "Kritik" angetreten. Zuviel schien erfunden, mit Gloriolen überhöht, hinter Mythen versteckt. Religion ist nicht Mathematik und daher für den intellektuellen Habitus der Aufklärung verdächtig. Denn Religion bezieht sich auf eine andere Wirklichkeit, die sich dem menschlichen Zugriff immer wieder entzieht. Deshalb braucht Religion Symbole, Heiligenscheine, besondere Lichteffekte. Sie musste mittels der Kritik dieser Hüllen entkleidet werden. Damit wurde sie banal. Übrig geblieben ist die Moral, denn die braucht es, weil ja sonst Kritik in Anarchie mündet. Kunst, wenn sie nicht Dekoration bleiben will, ist dann Kritik, die Mißstände aufzeigt. Wohl deshalb sind die Verurteilung und Kreuzigung Jesu Motive auch der modernen Kunst, die aus der Kritik geboren ist. Das nur als anhaltpunkt, warum es für die Theologie schwierig ist, einfach auf die Kunst zuzugehen. Um den verschiedenen Kunstrichtungen der Moderne gerecht zu werden, müsste jede dieser Richtungen eigens untersucht werden. Es soll aber hier nur die Seite der Theologie weiter konkretisiert werden.

Die Religion muss sich universell gestalten

Die Notwendigkeit, dass die religiöse Praxis Kultur nicht nur braucht, sondern "ist", stellt an die Religion die Aufgabe, selbst gestaltend tätig zu werden. Entscheidend ist der theologische Wille, die Gottesbeziehung zur Darstellung zu bringen. Das erfordert eine Theologie, die auf die Künste zugeht. Da die Theologie weder in der bildenden Kunst noch in der Musik auf eine für die Allgemeinheit praktizierte Formensprache trifft, ist die Situation der Anfänge des Christentums vergleichbar. Die Christen mussten sich in einer Kultur artikulieren, die nicht von christlichen Vorstellungen geprägt war. Für den Kirchbau konnte z.B. der Tempel nicht adaptiert werden, weil dann Jesus in den polytheistischen Götterhimmel aufgenommen worden wäre. Dagegen konnte man die platonische Philosophie übernehmen und die Rhetorik adaptieren. Als die Hauskirchen der Christen zu klein geworden waren und die staatlich anerkannte Religion sich in der Öffentlichkeit darstellen musste, wählte man die Versammlungshalle der Provinzgouverneure für die Kirchenarchitektur, die Basilika.
Ansatzpunkte für künstlerische Initiativen bietet zuerst die Liturgie. Ein erster Schritt ist die Gestaltung der Liturgie selbst. Das erfordert unbedingt, sie aus der Umklammerung durch die an der wissenschaftlichen Exegese orientierte Instruktion zu befreien und sie wieder als Feier, auch des Wortes Gottes, zu inszenieren.
Das kann mit Vertrauen angegangen werden. Denn wenn Kunst sich auf die Darstellung der Transzendenz einlässt, wird sie mehr gefordert und wird auch überzeugende Ergebnisse hervorbringen. Die Liturgie wie kirchliche Bildungseinrichtungen zeigen sich gegenüber der Kunst, die sich modern nennt, offen. Wenn sie mit Gestaltungsimpulsen auf die Kunst zugehen würden, hätte das unmittelbaren Einfluss auf ihre Inszenierungen wie auf eine Gestaltung der von Bildung, die die Sterilität der Aufklärung hinter sich lässt..

Dieser Beitrag versteht sich als eine erste Anregung. Er sollte mit Beispielen und theologischen Überlegungen fortgeschrieben werden. 

 

 

 


Kategorie: Analysiert

Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang