5.000 und oft mehr Katholiken sind jetzt in Pfarrverbünden, Seelsorgsbereichen, Gemeinschaft von Gemeinden zusammengefasst. Die meisten Katholiken merken nicht viel davon, denn die Kirchen mit ihren Gottesdiensten bleiben. Betroffen ist das Team der Hauptamtlichen, denn mit den Priestern sind Diakone, Gemeindereferentinnen und Pastoralreferenten in den neuen großen Einheiten unterwegs. Auch die Gremien mussten sich auf einen größeren Raum einstellen. Was macht das aus den für die großen Einheiten zuständigen Pfarrern? Das überraschende Ergebnis: Sie sind gelassener geworden. Ein Bericht aus Gesprächen mit Pfarrern aus dem Erzbistum Bamberg:
Der Priestermangel war nur der Auslöser
Erzwungen wurde die Bildung von Großpfarreien durch den Priestermangel. Dahinter stehen jedoch tiefgehende Veränderungen. So sind die meisten kleinen Geschäfte in Mittelstädten und Dörfern verschwunden und durch Einkaufszentren vor der Stadt ersetzt worden. Die Polizeireviere sind längst für größere Räume zuständig. Zwergschulen gibt es seit der Zeit nicht mehr, als die Kommunen sich Busse leisten konnten. Allein die Kirche blieb noch im Dorf - und sie wird weiter stehen. Allerdings wohnt bei der Kirche nur noch der Mesner, anderswo Küster genannt, nicht aber der jederzeit ansprechbare Pfarrer. Wegen des Priestermangels werden immer mehr Wortgottesdienste gefeiert. Ein zentrales Team versorgt die einzelnen Kirchorte.
Das größere Gebiet: Eine Gesundheitsfrage
Würden die Pfarrer wie früher noch für alles der Ansprechpartner sein, alle Fäden bei ihnen zusammenlaufen, dann wären sie gesundheitlich bald am Ende. Viele ältere Priester habe sich die Aufgabe nicht mehr zugetraut, nicht wenige haben versucht, ihr bisheriges Aufgabenverständnis für den viel größeren Verantwortungsbereich beizubehalten. Nicht wenige mussten gesundheitliche Einbrüche hinnehmen. Den Jüngeren ist die notwendige Rollenveränderung leichter gefallen. Sie waren bereits als Kapläne in den großräumigen Seelsorgsbereichen eingesetzt. Die Mehrzahl der Pfarrer in der mittleren Generation hat inzwischen ihr Aufgabenverständnis verändert. Was steckt hinter dem Lernprogramm "Gelassenheit"?
Charismen entdecken und diese "machen lassen"
Die tiefgreifenden Umstellungen haben nicht zum Ersterben kirchlichen Lebens geführt, denn an vielen Orten sind Gläubige, die bisher eher von den Hauptamtlichen versorgt wurden, aktiv geworden. Nicht wenige haben vor Ort Verantwortung übernommen. Sie leiten nach einer Ausbildung die Wortgottesdienste. Die Pfarrer haben gelernt, diesen Menschen Zeit zu geben, um in ihre Aufgabe hineinzuwachsen. Sie haben auch Abstand davon genommen, die Großgemeinde nach einem fixen Pastoralplan zu organisieren. Pläne funktionieren auch deshalb nicht mehr, weil in der Postmoderne sich Vieles zu schnell ändert. Nicht mehr von einem zentralen Team wird das kirchliche Leben planend gestaltet, sondern die Charismen entwickeln sich, wenn ihnen der Raum zur Entfaltung gegeben wird und sie Begleitung erfahren. Seelsorge heißt für den leitenden Pfarrer zuerst, die Charismen zu entdecken und ihnen Raum zu geben. Offensichtlich hat Gott der Kirche die Menschen mit den entsprechenden Begabungen und der Einsatzbereitschaft geschenkt, die sie für die neue Situation braucht.
Spirituell leiten
Anfangs schien die neue Aufgabe fast nur als Last. Sie konnte in dem alten Rollenbild des allzuständigen Pfarrers auch nicht anders gesehen werden. Je mehr der Pfarrer die Charismen in seinem Sprengel sieht, desto mehr kann er sich entlastet fühlen. In der Aufgabe wächst die Persönlichkeit. Gelassenheit buchstabiert sich dann konkret aus: Zuhören, gesellschaftliche Entwicklungen wahrnehmen, delegieren, sich Zeit nehmen, um Erfahrungen auszuwerten, mehr Mut für Neues. Überlebenswichtig ist die Kunst, sich die Probleme aus der Distanz anzusehen, sie nicht zu persönlich zu nehmen und Fehler einzugestehen. Nicht alles kann gelingen.
Die spirituelle Fundierung ist angefragt. Wenn einem die Pläne aus der Hand genommen werden, dann muss der Mensch mit seinen Machbarkeitsvorstellungen zurücktreten und Gott mehr Raum geben. Es braucht eine praktizierte Spiritualität im Team, damit die organisatorischen Probleme nicht der bestimmende Faktor werden. Weniger die Managementqualitäten, sondern die gelebte Spiritualität gibt dem leitenden Pfarrer Überzeugungskraft und lässt ihn Zuversicht ausstrahlen.
Sorge für die Haupt- und Ehrenamtlichen
Der Leitende Pfarrer ist zuständig für ein größeres Team, mehr Ehrenamtlich übernehmen wichtige Aufgaben, Charismen wollen entdeckt und gefördert werden. Das jährliche Mitarbeitergespräch ist dafür ein unentbehrliches Führungsinstrument, um dem einzelnen mehr gerecht zu werden und in seinen Begabungen und seiner Motivation besser zu verstehen. Der Pfarrer ist das Gesicht der Pfarrei, er vertritt sie nach außen, nach innen gilt seine Aufmerksamkeit zuerst denen, die eine Aufgabe übernommen, ein Leitungsamt in einer Gruppe, in einem Projekt übernommen haben.
Moderationsaufgabe
Der leitende Pfarrer ist der zentrale Akteur, der alles vernetzen kann. Er kann diese durchaus leisten, wenn er seine Teamfähigkeit entwickelt und Moderationsverfahren einsetzt, die dem einzelnen Raum geben, die motivieren und den einzelnen ihren Platz geben. Es geht dabei zuerst um die Erfahrungen derjenigen, die eine Aufgabe übernommen haben. Die Pfarrer, oft selbst Einzelkämpfer, müssen lernen, dem Einzelkämpfertum entgegen zu wirken. Das gelingt ohne Zwang, wenn jeder mit seinen Erfahrungen, Erfolgen wie auch Misserfolgen von den anderen gehört wird. Zugleich übt der Pfarrer das Zuhören ein und mindert damit in dem neuen Feld der Charismen die notwendig entstehenden Konflikte.
Wer sich engagiert, braucht vor allem von der Leitung Rückendeckung. Die kann der Pfarrer aber nur geben, wenn auch die Schwierigkeiten auf den Tisch kommen.
Konflikte
Bei der Zusammenlegung der bisherigen Pfarreien gab es viele Enttäuschung, vor allem in kleineren Orten „Jetzt zieht sich die Kirche auch noch zurück.“ Viele haben sich von dem Gemeindeleben abgewandt. Damit ist das Ende der Konflikte jedoch nicht zu erwarten. Denn wo Menschen zusammen etwas auf die Beine stellen wollen, sind erst einmal ihre Begabungen, ihr Charisma, ihr Engagement gefragt. Jeder bringt jedoch auch die Schattenseite seiner Stärke mit, was er, was sie selbst nicht sieht - wo sie sich zu deutlich oder zu wenig durchsetzen, wo jemand zu weit vorne weg agiert oder den Zug des Volkes Gottes bremst. Irgendwann kommt auch der Punkt, wo jemand nervt. Wenn die Leitung die Unzufriedenheit gären und in Konflikte umschlagen lässt, dann bilden sich Parteiungen und das Gesamt zerfällt in rivalisierende Gruppierungen. Je früher eine Enttäuschung, eine Verärgerung, ein Machtkampf Thema werden, desto leichter lassen sich die negativen Gefühle auflösen. Der Konfliktminimierung dient nicht zuletzt auch die katholische Festkultur.
Eine Arbeitsfeld mit größeren Gestaltungsmöglichkeiten
Im Unterschied zur früheren Pfarrei gibt die Öffnung in größere Räume
dem Pfarrer viel mehr Gestaltungsmöglichkeiten. Denn die alte Pfarrei war auf einen Menschentyp zugeschnitten, der die Struktur des Kirchenjahres mit lebte, meist am Ort war, die Traditionen pflegte und das religiöse Brauchtum hochhielt. Da die Kinder dieses Katholikentyps meist studieren, kaum noch am Wohnort ihren Arbeitsplatz haben und die Frauen meist berufstätig sind, kann die alte Pfarrei den Großteil der jüngeren sozialen Milieus nicht mehr erreichen. Die neue Großpfarrei lässt den pfarrei-konformen Katholiken ihren Lebensraum, gibt aber den anderen auch Plätze. Wenn jüngere Kräfte die Möglichkeit spüren, Religiöses zu gestalten, werden sie das jetzt leichter tun können, als wenn der Pfarrgemeinderat sich aus der älteren Generation zusammensetzt, die darauf achtet, dass ihr Lebensraum, nachdem alle anderen kommunalen Strukturen schon verändert wurden, wenigstens im Kirchspiel bewahrt bleibt.
Der Pfarrer kann Kräften Raum geben, deren Ideen und Anregungen aufgreifen und damit gestaltend wirken. Dafür muss aber das für katholische Kirche Entscheidende wieder zum Tragen kommen.
Das Ungleichgewicht zwischen Verwaltungs- und priesterlichen Aufgaben
Mit den größeren Einheiten haben die Pfarrer nicht nur Verantwortung für mehr Personal, sondern auch für mehr Geld - und das heißt "mehr Verwaltung". Faktisch hat die Zusammenlegung der Gemeinden dazu geführt, dass die weniger gewordenen Priester noch weniger als der frühere Pfarrer Zeit für die Seelsorge haben, weil sie sehr viel mehr Zeit für Verwaltung brauchen. Sie werden sozusagen von ihrer priesterlichen Aufgabe abgehalten und spüren, dass das ihre Berufung untergräbt. Denn die Ursprungsmotivation war Seelsorge. Ein erster Schritt ist die Gründung von Kindergartenkooperativen, so dass ein Geschäftsführer für 10 und mehr Kindergärten zuständig ist und nicht mehr der Pfarrer jede Veränderung des Personalschlüssels unterschreiben muss. Der Verwaltungsaufwand hat sich in mehreren Bundesländern dadurch erhöht, dass die Eltern Leistungen des Kindergartens buchen können. Das erfordert jeweils neue Zeitvereinbarungen mit den Erziehrinnen, die bisher alle vom Pfarrer unterschrieben werden mussten. Neben dem Personaleinsatz erfordern die Gebäude ständige Pflege und damit Aufträge an Hausmeister und Handwerker. Wenn der Pfarrer dafür zuständig ist, führt dies zu einer Ausstrahlung der Pfarrei als „Verwaltungseinheit“. Dieses Ungleichgewicht darf nicht länger hingenommen werden. Auch die Ausstrahlung auf den potentiellen Nachwuchs ist zu beachten. Denn wenn die Pfarrer eher als Verwaltungs- und Personalmanager in Erscheinung treten, fühlen sich junge Menschen mit einer Berufung zum Priestertum nicht überzeugend angesprochen.
Kommentare (0)
Keine Kommentare gefunden!