13 Jahre – eine lange Zeit
Die gesamte Schulzeit fiebert man dem Tag der Abiturverleihung entgegen, möchte selber bestimmen, welchen Weg man geht. Für mich war es im Sommer 2017 endlich so weit. Stolz hielt ich mein Abiturzeugnis in der Hand. Die letzten Wochen gingen im Vergleich zu den 13 Jahren davor schnell rum, fast zu schnell. Nur noch der Abiball stand an. Wochen vorher gab es im Jahrgang kein anderes Thema mehr. Hast du schon ein Kleid? Mit wem gehst du zum Ball? Und dann war der Tag des Abiballs erreicht. Zum Abschluss gab es ein wunderschönes Feuerwerk, ein sehr emotionaler Moment. Erst da wurde mir bewusst, dass sich nun alles ändern würde.
Jeden Tag 100 Kilometer pendeln
Ein halbes Jahr später studiere ich an der Philosophisch-Theologischen Hochschule St. Georgen Theologie. Zur Überraschung von Familie und Freunden habe ich mir in Frankfurt keine Wohnung gesucht, sondern pendle. Jeden Tag fahre ich zweimal 100 Kilometer, von Dillenburg nach Frankfurt und zurück, mit dem Zug. „Bist Du verrückt, das hältst du nicht lange durch“, hörte ich immer wieder. Selbst Wetten wurden im meinem Freundeskreis abgeschlossen. Keiner glaubte, dass ich das ernst meinte. Doch für mich gibt es bisher keinen guten Grund, um von zuhause auszuziehen. Zu Hause habe ich meine Freunde, meine Familie – und Abstand vom Hochschulalltag. Da brauche ich mich um wenig zu kümmern und kann trotzdem mein eigenes Ding durchziehen. Natürlich ist Frankfurt eine schöne Stadt, die sicher einiges zu bieten hat. Doch allein die hohen Mietpreise sind für mich ein ausschlaggebender Grund, jeden Tag den Weg auf mich zu nehmen. Denn eines ist klar: Einfach ist Pendeln nicht. Ausziehen kann jeder, Pendeln muss man wollen.
Die Zeit sinnvoll nutzen
Vor dem Studium habe ich mir das Pendeln schön geredet. Jetzt, fast drei Monate später lautet meine erste Bilanz: Noch ist es machbar. Ich genieße es, abends in mein gewohntes Umfeld zurückzukommen. Dafür nehme ich den langen Weg gerne auf mich, obwohl mir dabei täglich drei Stunden „verloren“ gehen. Ich gebe zu: Manchmal ist es ganz schön anstrengend. Vor allem dann, wenn die Bahn mal wieder aus unerklärlichen Gründen Verspätung hat. Effektiv im Zug zu arbeiten, so wie ich es mir ausgemalt habe, ist nicht immer möglich. Oft ist es viel zu laut im Zug, manchmal unterhalte ich mich mit anderen Fahrgästen oder ich bin einfach zu müde zum Arbeiten und schlafe einfach ein. Bisher hatte ich immer Glück und bin pünktlich wieder aufgewacht. Manchmal lässt sich die Zeit auch sinnvoll nutzen. Dann erarbeite ich die neuen Texte, schreibe Mails und erledige alles, was aus dem Zug möglich ist. Auch Vokabeln lassen sich prima im Zug lernen.
Pendeln kann Spaß machen
Wie es in Zukunft aussieht? Mal sehen, vielleicht ziehe ich eines Tages doch noch nach Frankfurt. Aber derzeit gefällt es mir, so wie es ist. Und eines steht fest: Pendeln kann auch Spaß machen. In den letzten Wochen kam es mir so vor, als lieferten sich die Schaffner täglich einen Wettkampf, wer die lustigere Durchsage spricht. Die Bitte, dass man kein Gepäck im Zug liegen lassen soll, klang mal ernst und bedrohlich, ein anderer Schaffner flehte die Fahrgäste förmlich an, darauf acht zu geben. Und neulich saß mir ein junger Mann gegenüber. Er war eingeschlafen und zog dabei eine Grimmasse, bei der man schon schmunzeln musste. Dann fing er auch noch an, zu schnarchen, und das ganze Zugabteil lachte, so laut, dass der Mann aufwachte und sich irritiert umsah, als er merkte, dass ihn alle anstarrten.
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