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Ohne Transzendenz Korruption

Der Kommunismus hat eine Langzeitfolge, die durch Demokratie nicht auszutreiben ist: Die Korruption. Postkommunistischen Länder, ob Rumänien oder Bulgarien, oder Länder mit überzeugter Demokratie, wie die Ukraine, sind gelähmt. Polen hat wohl diese Krankheit überwunden. Wie kommt es zu diesem Ergebnis. Es zeigt sich, dass weder Kapitalismus noch Kommunismus den Gemeinsinn fördern, sondern die Schwelle gegen Korruption abbauen.

Der folgende Beitrag ist aus Gesprächen des Autors in Polen und der Ukraine entstanden:

Das irdische Paradies entpuppte sich als ein leeres Versprechen

Der Verzicht auf den eigenen Vorteil erfordert einen höheren Wert, warum es sich das lohnen muss, seinen eigenen Vorteil zurückzustellen. Im Kommunismus ging es zuerst um einen anderen Verzicht, nämlich den auf die Religion. Das war mit dem Versprechen verknüpft, dass mit diesem Verzicht für alle eine zufriedenstellende Welt entsteht. Die Religion musste deshalb überwunden werden, so die Grundthese von Marx, weil sie den Menschen durch Vertröstung auf eine zukünftige Welt davon abgehalten hat, das Paradies mit eigener Hände Arbeit zu bauen. Wenn dann diese Endform der Gesellschaft, die kommunistische, erarbeitet sein würde, wäre auch der Mensch mit sich im Reinen und könnte den Erfolg seiner Tätigkeit genießen. Das hat nicht funktioniert.
Es liegt einmal an der Fehlsteuerung durch die Planwirtschaft, die nicht auf Erfindungsgeist setzt, sondern zu einem erstickenden Kontrollsystem führt. Zum anderen kommt es nicht zu der erwarteten Zufriedenheit durch materielle Verbesserungen. Zwar hat sich der Freiheitsaspekt, der im Kapitalismus mehr Raum hat, als die für die Wirtschaft erfolgreichere Strategie im Vergleich zur Planwirtschaft erwiesen. Jedoch hat es auch unter kommunistischer Herrschaft erhebliche Fortschritte in der Versorgung der Bevölkerung gegeben. Aber die Unzufriedenheit wuchs und hat das System zum Einsturz gebracht. Warum kommt aber am Ende, ob in Rumänien, in der Ukraine, in Russland oder China, Korruption heraus?

Wer die Mittel verteilt, wird korrupt

Marx hatte die Überwindung der Entfremdung versprochen, damit der arbeitende Mensch unmittelbar die Früchte seiner Arbeit genießen kann. Im Kapitalismus wird er mit einem geringen Lohn abgespeist, während der Besitzer der Produktionsanlagen den "Mehrwert" abschöpft. Deshalb die Verstaatlichung der Firmen. Ebenso gehören auch die öffentlichen Investitionen, also Straßen, Schulen, Opernhäuser der Allgemeinheit. Der einzelne Arbeiter ist Mitbesitzer der Drehbänke wie der Straßenbahnen und Bibliotheken. Das könnte zufrieden machen. Es braucht dann nur Verwalter der Produktionsanlagen und der öffentlichen Güter. Aber gerade die nutzen ihre Position, um sich persönlich zu bereichern. Die Oligarchen haben es den Parteioberen nur nachgemacht.

Man könnte nun argumentieren, der Kommunismus habe aus sich heraus die Korruption hervorgebracht. Man sieht jedoch am Kapitalismus die gleichen Tendenzen, die immer wieder korrigiert werden müssen, ob Kartellabsprachen, Bonus-Zahlungen, Aktien des Unternehmens im Besitz von Vorstandsmitgliedern, Schmiergelder zur Erlangung eines Auftrages und demnächst neue Bereicherungsstrategien. Im Kommunismus sind diese Tendenzen durch Korruption befriedigt worden, weil die Parteibürokratie nicht durch Boni, Beteiligung am Aktienvermögen, sondern auf diesem Weg zu Besitz kommen konnte. Im Unterschied zur Herrschaft einer Parteielite können sich in den größeren Freiheitsräumen des Kapitalismus Gegenkräfte gegen die Selbstbereicherungstendenzen entfalten. Es handelt sich wohl um eine menschliche Grundkonstante, die nicht durch ein Wirtschaftssystem außer Kraft gesetzt werden kann. Marx hat die Sorge für den eigenen Vorteil wohl nicht als eine so wirksame Gefährdung seines Systems erkannt hat. Dagegen war sich Jesus über die destruktiven Folgen des Reichtums klar.

Das Gegenbild der Abtei

Das kommunistische Manifest hat bereits die christliche Urgemeinde entwickelt. Lukas berichtet in seiner Apostelgeschichte in Kap. 4,32  „Die Menge der zum Glauben Gekommenen war ein Herz und eine Seele, und nicht einer sagte, etwas von seinem Besitz sei ihm eigen, sondern ihnen war alles gemeinsam.“
Die Zielvorstellung war hier nicht Freude am Erarbeiteten, sondern Erwartung des Weltendes, das die erste christliche Generation noch zu ihren Lebzeiten erwartet. Die von Lukas entwickelten Maßgaben wurden, als die Enderwartung in einem größeren Zeithorizont eingebettet werden musste, für das Mönchtum in Ost und West übernommen. "Es gehörte Ihnen alles zusammen." Das empfinden Mitglieder einer Abtei auch so. "Es gehört mir nicht persönlich, aber uns." Dieses Wirtschaftsprinzip hat die einzelnen von der Angst vor fehlendem Essen und vor Alleingelassensein bei Krankheit befreit und zugleich die Abteien reich gemacht. Reiche Abteien ziehen aber keinen einsatzbereiten Nachwuchs an. Deshalb brauchte es immer wieder Reformen und auch Enteignungen. Die religiösen Gruppen zerfallen ohne das Armutsideal, denn sie brauchen Menschen, die sich einer größeren Aufgabe widmen als selber reich zu werden. Die sind aber auch für jedes Gemeinwesen unentbehrlich.

Überschuss an Engagement erfordert Überschreiten: Transzendenz

Jede Gruppe, jede Firma, jedes Gemeinwesen braucht Menschen, die ihren eigenen Vorteil nicht an erste Stelle setzen. Auch der Kommunismus braucht solche Menschen und hat sie auch gehabt. Er hat jedoch mit seiner ersten Realisierung in Russland und überall später die Machtfrage an die erste Stelle gesetzt. Zuviels humane Begabungen sind auf der Strecke geblieben und zu wenige konnten sich entfalten. Das alles hat es auch im Christentum gegeben und gibt es weiter. Jedoch kann die Machtfrage immer wieder  von der des religiösen und caritativen Engagements zur Seite geschoben werden. Demokratien haben die Möglichkeit, Eliten auszutauschen.

Die Systemfrage für mehr Engagement

Jede Gesellschaft braucht Menschen, die über das eigene Überleben hinausdenken und Aufgaben für die Gruppe, die Firma, die Gesellschaft übernehmen, die nicht dem eigenen Vorteil dienen. Das muss nicht mit einer religiösen Motivation unterlegt werden. Es ist aber unerlässlich, dass eine Überschreiten des eigenen Ichs, eben Transzendenz gelingt. Es hängt auch von den Bedingungen ab, die das Gesellschaftssystem einräumt. Offensichtlich war die gesellschaftliche Konstruktion des Kommunismus so angelegt, dass die Bereitschaft, sich zu engagieren, immer mehr abgebaut wurde. Das führt zu der Einstellung, dem System möglichst viel zu entnehmen. Damit sinkt die Schwelle gegenüber Korruption, denn diejenigen, die durch ihr Engagement eine moralische Mauer gegen Selbstbereicherung darstellen, sind so wenige, dass man keine Skrupel mehr haben muss. 

Ein Kommentar von Eckhard Bieger.


Kategorie: Verstehen

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