Die Tatsache, dass Menschen Menschen umbringen, ist so alt wie die Menschheit. Die Genesis versuchte schon mit der Erzählung von Kain, der Abel umbringt, eine Erklärung anzubieten. Die Tatsache ist damit nicht weniger schrecklich. Man müsste auch eher von einer Feststellung sprechen: Der Mensch ist so veranlagt, dass er seinen Mitmenschen tötet. Die Reaktion auf eine solche Aussage ist bei den meisten Menschen ein Erschrecken und das Beteuern, dass so ein Mensch nur krank sein kann. Dieser Mensch ist vielleicht gar nicht krank, sondern normal, er tut das, was ihm als Mensch in die Wiege gelegt wurde. Alle Versuche, sich dem „Bösen“ zu entziehen, können nur zynisch werden, weil eine einzelne Tat in Beziehung zu anderen Handlungen des Menschen gesetzt werden müsste. Der Tod anderer Menschen wird bewusst verdrängt, weil es zum Beispiel kaum möglich wäre, ins Auto einzusteigen. Das Auto ist eine Waffe. Natürlich, so können Kritiker sagen, ist der Tod, der durch einen Verkehrsunfall verursacht werden kann, nicht beabsichtigt. Da sind widrige Umstände zusammen gekommen und ein Autofahrer ist keine Bestie wie Paddock. Das Ergebnis bleibt jedoch ein Verkehrstoter, den es nicht geben würde, wenn ich nicht ins Auto einsteige. Wir kennen die Zusammenhänge, die zwischen dem Kauf eines Smartphones und dem Leiden der Menschen bestehen, die die für das Smartphone notwendigen Erze abbauen. Wir wissen, dass ein großer Teil unserer Kleidung unter unwürdigen Arbeitsbedingungen in Entwicklungsländern produziert wird. Unser Wohlstand beruht auch darauf, dass deutsche Firmen Waffen, Panzer und anderes Kriegsmaterial produzieren. Die Verweise auf die Toten durch Nikotin, Alkohol und Drogen entschuldigen oder entschärfen nicht das scheinbar ziellose Töten des Attentäters von Las Vegas. Solche Vergleiche machen jedoch deutlich, dass wir zynisch bestimmte Todesarten in eine Rangliste bringen. Dem Zynismus der Waffenindustrie, dass das Tragen von Waffen den Gebrauch von Waffen verhindern würde, kann man eigentlich nichts entgegensetzen. Es entspricht der Logik, die das Böse als Krankheit nur bei wenigen Mitmenschen annimmt.
Ein anderer Blick
Legt man sich darauf fest, dass jeder Mensch einen unbestimmbaren und unlenkbaren Tötungsimpuls besitzt, dann geht es nicht mehr darum, die Tat eines Einzelnen erklären zu wollen. Man muss sich vorstellen können und auch wollen, selber ein solcher Mann wie Stephen Paddock zu sein. Er bietet sich gerade dazu an, weil er – wie in den Medien dargestellt – so normal war. Wer sich auf dieses Szenario gefühlsmäßig einlässt, wird sehr schnell konkrete Menschen vor Augen haben, auf die man mal zielen könnte. Dieses Erschrecken über die eigenen Fantasien und Abgründe löst den Impuls aus, etwas zu tun, damit es nicht dazu kommt. Erklärungen für diese Gedanken werden nicht gesucht, weil man spürt, dass nicht etwas erklärt werden muss, was einfach da ist. Es geht um eine Inhibition, also die Hemmung dessen, was in uns steckt. Dort liegt die Notwendigkeit zu handeln. Zynisch wird es, wo Offensichtliches durch Erklärungen verdreht wird, vom eigentlichen Geschehen ablenkt. Und das eigentliche Geschehen ist nicht die Schießerei in Las Vegas, sondern die Tatsache Mensch und damit ich als Mensch.
Versuch der Erklärung, warum erklärt wird
Es ist unübersehbar, wie die Dinge zusammenhängen. Wer Soldaten nach Afghanistan schickt, weiß, dass Soldaten auch schießen und Menschen töten. Keine Soldaten zu schicken, ist nicht zwangsläufig die Antwort auf dieses Wissen. Das wird ein ambivalentes Problem bleiben. So zu tun, als wäre ein Kriegseinsatz ein humanes Anliegen, wird dagegen schon zynisch. Den Islam für die Gewalt des IS verantwortlich zu machen und nicht die Interessen der Staaten am Öl zu benennen, ist ebenso zynisch. Sobald man sich jedoch auf solche Diskussionen einlässt, hat man eigentlich schon verloren. Es ist nicht aufzulösen. Es wird immer Radikale geben, die sich der Religion bedienen. Der Versuch, die Zusammenhänge überzeugend zu klären, führt in eine unendliche Begründungskurve. Genau an solche „Nachbesprechungen“ von Ereignissen wie in Las Vegas, haben wir uns gewöhnt. Wir sind süchtig nach genauen Beschreibungen der Vorgänge und der Analysen, die fast gleichzeitig mit dem Geschehen vorgenommen werden. Uns fällt es kaum noch auf, wie zynisch solche Berichterstattungen sind, weil sie komplexe Zusammenhänge simplifizieren. Auf der anderen Seite werden sofort Maßnahmen diskutiert, wie solche Vorgänge verhindert werden können. Und der Apparat funktioniert auch ausgesprochen gut. Die Abwehrmaßnahmen gegen terroristische Anschläge sind gut geplant und haben Erfolg. Und auch hier haben wir uns daran gewöhnt, dass solche Maßnahmen unsichtbar sind, wir uns jedoch darauf verlassen können. Sowohl bei den Gegenmaßnahmen wie auch bei den Erklärungsversuchen werden der Schrecken und die Gewalt als vermeidbare Geschehnisse präsentiert. Das wiederum ist zynisch, weil damit ein Teil des Menschseins, der eben „böse“ ist, weggeredet und wegorganisiert wird. Und es ist zu vermuten, dass gerade hierdurch der Drang verstärkt wird, sich diese Seite des Menschseins zurückerobern zu wollen. Mensch zu sein, bedeutet eben auch, töten können zu wollen. Vor allem seit der Aufklärung herrscht der Glaube vor, durch die Vernunft könne der Mensch zu dem werden, was er sich als ideales Menschsein vorstellt. Er müsse nur den Mut haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Dass der Mensch lernen könnte, manchmal vielleicht gezwungen werden muss, sich so zu verhalten, wie es dem Ideal entspricht, wird durch das Prinzip Vernunft torpediert. Die Vernunft ist kein Garant dafür, dass der Mensch nicht tötet. Der Versuch, Vorgänge wie das Tun von Stephen Paddock zu erklären, sind ein Rettungsversuch der Vernunft, bei dem der Träger der Vernunft, nämlich der einzelne Mensch, freigesprochen wird. Ihm wird der „böse Teil“ seines Menschseins durch Absolution umgedeutet in eine fiktive Möglichkeit, die nur bei Krankheit zur Gefahr wird. Damit wird ein Raum geöffnet, bei dem ein „böses Tun“ als gute Tat erscheinen kann.
Die Alternative
Es mag utopisch erscheinen, eine Überlegung ist es dennoch wert, wenn nach einem Geschehen wie dem in Las Vegas, nicht davon berichtet würde, sondern dieses Geschehen zum Anlass genommen wird, Maßnahmen, Übungen, Techniken vorzustellen und weitere Überlegungen anzustellen, wie jeder Einzelne seinen „bösen“ Teil kontrollieren kann. Der Schrecken über einen Anschlag wird nicht medial ausgekostet, vielmehr werden die Angst vor einem weiteren Anschlag und der Schrecken über den gewesenen zur Motivation, um aktiv bei sich selbst zu werden. Damit wird ein zukünftiger Anschlag nicht sicher verhindert, es entsteht eine gesellschaftliche Dynamik einer größeren Aufmerksamkeit und Sensibilität. Der Einzelne würde gezwungen, bei sich zu bleiben und bekäme keine Möglichkeiten geboten, auf „nette“ Erklärungen zurückzugreifen und seine Gewaltfantasien oder mörderischen Absichten auf Menschen wie Stephen Paddock oder Anders Behring Breivik zu projizieren. Dies würde allerdings auch dazu führen, dass deutlicher die „bösen“ Absichten von Politikern, Managern wie auch dem unmittelbaren Nachbarn erkannt würden und damit der Drang stärker würde, die politisch-gesellschaftlichen Verhältnisse zu ändern, um so sich besser vor sich selbst schätzen zu können.
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Das US-Unterbewusstsein: Waffenstarrend
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