Foto: hinsehen.net

Kunst macht etwas

Ein gebildeter Mensch – so war es einmal – nahm sich Zeit für einen Museumsbesuch, einen Gang ins Theater, in die Oper oder ins Konzert. Es gehörte einfach zum Bildungsbürgertum dazu, sich für die schönen Künste zu interessieren. Diese Zeit scheint vorbei zu sein. Dennoch sind Museen, Theater, Konzertsäle und Opernhäuser durchaus gut besucht. Was bewirken Kunst, Musik oder Theater? Begegnet man nicht mehr und mehr dem Phänomen, dass Unterhaltung gesucht und eine intensive Beschäftigung mit dem Dargebotenen verbrämt wird?

Gegen Kunst gibt es viele Einwände und manche sind sicherlich auch berechtigt. Künstler denken selten betriebswirtschaftlich und fordern Gelder, die sie einfach ausgeben. Immer wieder geht es durch die Presse, dass schlecht kalkuliert wurde und Schulden die Folge waren. Kunst schließt manche Bevölkerungsschichten aus, einmal weil Eintrittskarten einfach sehr teuer oder weil die Inhalte schlichtweg unverständlich sind. Es ist nur ein bestimmter Kreis, der sich für Kunst interessiert und die Nase rümpft, wenn kenntnisfrei über etwas dahergeredet wird. So könnte man meinen. Wer genauer hinschaut, wird feststellen, dass erstens Kunst nicht mehr ganz so elitär ist, wie sie mal war. Eine Kleiderordnung existiert nicht wirklich und die Eintrittspreise sind kaum teurer als eine Kinokarte. Im Museum Folkwang in Essen ist für die Dauerausstellung der Eintritt sogar frei. Das Problem scheint ein anderes zu sein. Es gibt zu viele Veranstaltungsorte und zu viele Veranstaltungen. Das Publikum will das Besondere, die großen Künstler sehen und hören. Man möchte dabei gewesen sein, macht mit dem Smartphone Fotos, um sie im Bekanntenkreis zu zeigen. Bei Musikveranstaltungen herrscht oft eine unerträgliche Unruhe, es wird geredet, gehustet usw. Es scheint eine Angst vor stillen, heiligen oder unheimlichen Momenten zu geben. Es gibt Spannungen, die manche Zuhörer oder Zuschauer nicht aushalten. Daneben gibt es natürlich immer noch die aufmerksamen Interessierten. Von Kunst wird ein Unterhaltungseffekt erwartet, so wie es in anderen Bereichen auch ist. Nachrichten werden lustig dargeboten, ein Infotainment ist inzwischen üblich. In der Schule oder den Hochschulen wird von den Lehrenden erwartet, dass sie den Stoff unterhaltsam aufbereiten und auch Gottesdienste werden wie Events angeboten, bei denen man anschließend seine Bewertung abgeben kann.

Kunst ist auch nur ein Phänomen einer langweiligen Gesellschaft

Zwar leben wir in einem Zeitalter, in dem sehr viel passiert, das von Umbrüchen gekennzeichnet ist, doch das Gros erstarrt in Langeweile. Es ist vieles vorhersehbar, Anstrengendes wird leicht gemacht, jeder soll mitkommen, die Unterhaltungsindustrie passt sich den niedrigen Ansprüchen an, um mehr zu verkaufen. Kunst ist Teil dieser Dynamik und daher ist auch Kunst langweilig geworden. Alternative Projekte werden schnell vereinnahmt und zum Mainstream gemacht, der Drang, mehr Abwechslung und das besondere Event zu bieten, führt letztendlich zu mehr Einerlei. Es geht darum, Aufmerksamkeit zu erreichen. Dieses Bemühen scheint manchmal mehr Energie zu binden als das Eigentliche. All das ist keine Besonderheit von Kunst, es ist ein allgemeines Problem in einer Gesellschaft, wo Aufmerksamkeit eine der wichtigsten Ressourcen ist.

Was Kunst trotzdem bietet

Kunst, Musik und wohl auch Philosophie sind Bereiche des gesellschaftlichen Lebens, die anders sein können und wollen. Diese Freiheit ist durchaus durch die gesellschaftlichen Verhältnisse beschränkt, doch gibt es immer wieder erstaunliche Ereignisse, die wie kreative Korrekturen der gesellschaftlichen Zustände wirken. Es gibt Ausnahmekünstler, bei denen völlig Ahnungslose oder Bildungsferne spüren, dass da etwas Außergewöhnliches passiert. Oder es gibt Kunstobjekte, die Erfahrungen ermöglichen, die man nicht erwartet hat. So erging es mir beim Besuch des Klosters Eberbach im Rheingau. Unerwartet sah ich beim Herumschlendern einen Kubus, aus dem es warm und goldig herausschimmerte. Ich ging in diesen Raum und es war Gold. Mit Blattgold sind die Wände überzogen, alles ist Gold, auch der Boden und die Decke. Durch Fenster fällt Licht in diesen Raum. Schatten, Spiegelungen und eine wohlige Wärme, ein wertvolles Gefühl erfüllt mich als Betrachter. Ich kann die Tür von innen verschließen, damit ich mich ganz in diese Stille begeben kann. Das Kunstobjekt trägt den Namen „goldraum“, ich habe es nicht erwartet, mich hat dieser Raum angestrahlt und ich konnte das Gold in mich hineinscheinen lassen. Als ich den Raum verlasse, steht dort eine Frau, ich spreche sie an, es ist die Künstlerin. Und der „goldraum“ öffnet sich über den eigentlichen Raum hinaus. Mit Hildegard Stephan, der Künstlerin, ergibt sich ein spannendes Gespräch. Und ich denke, wenn Kunst etwas macht, dann sind es solche Begegnungen. Es war unerwartet, es waren Zufälle, es war das Gespräch und ich habe mich darauf eingelassen. Warum sollte ich noch weiter fragen, was macht Kunst? Kunst hat etwas mit mir gemacht und ich habe darüber vergessen, dass ich mich oft aufgeregt habe, weil gehustet wurde, Unruhe herrschte und der nötige Respekt den Künstlern gegenüber fehlte.

„goldraum“ kann man noch bis Ende April im Zederngarten von Kloster Eberbach bewundern. Ansonsten findet man Informationen auf www.hildegardstephan.de



Kommentare (0)

Keine Kommentare gefunden!

Neuen Kommentar schreiben

Zum Seitenanfang