Ob die Künstliche Intelligenz auch Arbeitsplätze von Geisteswissenschaftler*innen überflüssig macht, hängt von der Kompetenz der Arbeitenden ab. Schreibende Autoren sollten es nicht wie die vielen Zeitungsredakteure machen, die wegen des Auflagenschwunds entlassen wurden. Sie hätten im Internet längst Neues aufbauen können – mit ihrer journalistischen Kompetenz. Denn ob Internet oder KI, die Menschen interessieren sich weiterhin für Lokales, nicht nur für das, was gestern passiert ist, sondern was es über ihre Stadt, ihre Region zu wissen gibt und zu wissen gab. Sie hätten z.B. die Archive der Regionalzeitungen auswerten und so eine Geschichte des Lokalen schreiben können. Dafür hätten sie in größeren Spannungsbögen denken müssen. Denn jedes Ereignis, auch die Skandale, kommen irgendwann zurück und werden fortgeschrieben. Alles, was heute aktuell ist, ist aus Vorherigem entstanden. Dieses ruht in den Archiven der Zeitungen. Was die Lokaljournalisten hätten entwickeln können, ist jetzt Herausforderung für Autoren. Für einzelne Arbeitsfelder, Drehbücher, Literaturwissenschaft, Philosophie seien die neuen Herausforderungen skizziert:
Drehbücher mit dem KI-Assistenten
Was den Zeitungs-Journalisten passiert ist, muss den Drehbuchautor*innen Ansporn sein, sich mit der KI zu beschäftigen. Sie wird den Drehbuchautor nicht ersetzen, ihm aber aus der Konstellation heraus einen Krimi, die Folge einer Arztserie weiterschreiben, indem sie aus den gespeicherten Handlungsfolgen typische Handlungsabläufe aufgreift und dazu gleich den Rohentwurf der Dialoge mitliefert. Nicht sehr viel anders läuft schon die Drehbucharbeit für die Daily Soaps. Die Handlungsmuster sind im Moment noch in den Köpfen der Autoren eingelagert. Der Algorithmus wird deshalb zum Konkurrenten, weil sehr viel mehr Muster speichern und diese auch schneller in Beziehung zu einer Handlung setzen kann als das menschliche Gehirn. Zudem lagern bei YouTube viele ungenutzte Ideen, die ein Algorithmus mit hoher Geschwindigkeit durchforsten kann.
Nicht nur Medienarbeit wird durch künstliche Intelligenz umstrukturiert, es betrifft die Geisteswissenschaften, weil diese sich im Medium der Sprache bewegen.
Die Guttenbergs können intelligenter plagiieren
Geisteswissenschaftler verarbeiten Gedanken, die andere schon gedacht, überprüft und kommentiert haben. Hier wird erkennbar, warum Google seine Halbwertszeit überschritten hat. Es liefert einen Gedanken, eine Information zehnfach und hundertfach. So gibt es zur Bibel, zu Platon, Kant u.a. bei Google sehr viel mehr Einträge als Gedanken. Dau eine Zahl. Für das Buch Deuteronomium des Alten Testamentes haben Wissenschaftler achttausend Veröffentlichungen ausfindig gemacht. In diesen Veröffentlichungen stehen aber nicht 8.000 verschiedene Gedanken. Eine Software, die die vielleicht 800 Gedanken aus dem Datenmeer zum Deuteronomium herausfischt und dann noch zu jedem der Gedanken sich die gebräuchlichen Formulierungen sucht, könnte leicht eine Doktorarbeit schreiben, deren Plagiatscharakter kaum nachweisbar wäre. Hätte zu Guttenberg diesen Algorithmus zur Verfügung gehabt, wäre er nicht aufgefallen. Was für das Buch Deuteronomium skizziert wurde, kann auf ganze Gebiete ausgedehnt werden:
Die Philosophie verliert ihren Sonderstatus
Es gibt viele philosophische Publikationen, aber im Vergleich dazu nicht so viele Fragestellungen. Würde ein Algorithmus die Philosophiegeschichte von Jürgen Habermas auswerten, wäre schon ein guter Teil der von Philosophen entwickelten Gedankengänge erfasst. Diese Gedanken hat Habermas dargestellt. Seine zweibändige „Auch eine Geschichte der Philosophie“ wäre mit ihren 1.700 Seiten für einen Rechner kein Problem. Was der Algorithmus nicht so einfach herausarbeiten kann, ist die geschichtliche Dynamik von Gedanken. Die Denker wurden für bestimmte Fragestellungen oder neue Zugänge zu Altbekanntem motiviert. Diese mitlaufenden Fragestellungen, die erst eine Denkschule vorantreibt, wäre dann das, wofür der KI-Assistent das Material liefert.
Philosophie muss den Geisteswissenschaften eine neue Perspektive geben
Es wäre nun genau Aufgabe der Philosophen, die Arbeitsbedingungen der Geisteswissenschaften auf neue Grundlagen zu stellen. Bleibt sie bei dem bisher Gedachten, kann ein Algorithmus große Teile des Fachs übernehmen. Wie „freigestellte“ Zeitungsredakteure sich eine neue, größere Aufgabe suchen müssten, so die Philosoph*innen. Sie müsste dringend erklären, was gerade mit dem Denken passiert. Nicht mehr nur eine Bibliothek bildet demnächst das Rückgrat eines Faches, sondern ein Algorithmus, der aus dem Bestand der Bibliothek Denkmuster herausholen kann.
Den Geisteswissenschaftlern muss endlich erklärt werden, was durch die digitalen Medien bereits verändert ist und welche Kulturleistungen Künstliche Intelligenz in Zukunft ermöglicht.
Technik wurde durch die Gotik geistig gefüllt
Ein Beispiel ist die Gotik: Sie wurde durch die Erfindung des Kreuzbogens, der das schwere Tonnengewölbe der Romanik ablöste, möglich. Die Idee, die Mauern, die nicht mehr für die Abstützung des Gewölbes nötig waren, durch große Fensterflächen zu durchbrechen, hatte wohl in der Lichtmetaphysik des Dionysius Areopagita ihren Ursprung. Die technische Entwicklung hat die Idee gebraucht, was man mit ihr gestalten kann.
Wie die Philosophie müssen die anderen geisteswissenschaftlichen Arbeitsgebiete in ihrer Struktur beschrieben werden, um abzusehen, wie GBT-3 u.a. Algorithmen die Arbeitsbedingungen ändern. Stellen sich die Geisteswissenschaftler nicht auf die Entwicklungen ein, ergeht es ihnen wie den Lokaljournalisten.
Heinrich Peuckmann hat den schwierigen Weg eines solchen Wortarbeiters beschrieben, der mit 120 anderen „freigesetzt“ wurde. „Aus der Spur“ heißt sein Buch. Geisteswissenschaftler müssen Algorithmen verstehen lernen.
Wie arbeitet Künstliche Intelligenz
Künstliche Intelligenz arbeitet anders als das menschliche Gehirn und spielt die Vorteile der Chips aus. Während unser Gehirn zwar auch mit Elektrizität funktioniert, aber auf chemischer Basis, kann der Chip die Impulse sehr viel schneller leiten als die Nervenzellen die Kalium-Ionen. Das ermöglicht dem Computer, sehr viel mehr Daten zu verarbeiten. Er kann schneller Daten alphabetisch oder nach einem anderen Prinzip ordnen. Ein anderes Verfahren wurde schon vor dem Computer angewandt, nämlich mit der Faktorenanalyse alle Merkmale miteinander in Beziehung zu setzen. Mit dem Computer ist das für sehr viel mehr Merkmale, Verhaltensweisen, Handlungsabläufe möglich. Man kann nicht nur zweihundert, sondern zwei Milliarden Merkmale berechnen, wie häufig sie miteinander vorkommen. Inzwischen können die Algorithmen Muster aus diesen Kombinationen herauslesen. Dadurch sind die Übersetzungsprogramme sehr viel treffsicherer geworden. Das Gedankenreservoir, das bei GPT-3 gespeichert ist, wurde nach diesen statistischen Verfahren entwickelt und spuckt, was man nicht erwartet hätte, Sprachmuster aus. Zwar „versteht“ der Algorithmus nicht, was er ausdruckt, er identifiziert nur Muster, ob in der Aufnahme der Computertomographie oder in einem 1.000-Seiten-Buch. Wenn es den Programmierern aber gelingt, dass Algorithmen nicht nur auszurechen, wie häufig z.B. 5 Worte zusammen vorkommen, sondern den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung herausfiltern, werden Betriebs- und Volkswirtschaft, aber auch Geschichte und Politologie durch den Einsatz künstlicher Intelligenz ihren Expertencharakter verlieren – oder sie machen es wie die gotischen Baumeister. Offensichtlich ist die technische Entwicklung so weit, dass Geisteswissenschaftler nicht mehr nur das schneller erledigen können, was sie bisher schon gemacht haben. Wie die gotischen Baumeister durch die technische Entwicklung nicht nur höher bauen konnten, sondern die Fenster durch die Glastechnik zum Sprechen gebracht haben.
Nachbemerkung: Mir ist es wie Schuppen von den Augen gefallen, als mir die Inhaber eines Softwarehauses erklärten, wie grundlegend sich die Arbeit eines Schreiners durch die von ihnen entwickelte Software verändert hat. Dort kann er eine Regalwand, eine Küchenzeile, ein Wohnzimmer entwerfen und dem Kunden sogar so vorstellen, dass die Lichtreflexe, die bei der Umsetzung des Entwurfs auf den Möbeln zu sehen sein werden, auf dem Bildschirm erscheinen. Seine Arbeit hat sich auch deshalb weitgehend auf den Bildschirm verlagert, weil die Maschinen in der Werkstatt inzwischen so gesteuert werden, dass sie aus Holplatten das aussägen, was ihnen der Entwurf des Schreiners vorgibt, den er am Bildschirm zusammengestellt hat.
im Vergleich mit dem Schreiner deutet sich an, dass dieser vorgeben muss, was die Software dann konstruiert und auf den Bildschirm bringt. Das, was die geisteswissenshaften ausmacht, wird mehr gefragt sein, nämlich in größeren Zusammenhängen zu denken. Es wird sicher viel weniger Doktorarbeiten geben. Die Konkurrenz mit dem Algorithmus wird nicht zuletzt auf der Ebene der Sprache ausgetragen. Wer mit einem umfangreichen Wortschatz noch einen eigenen Sprachduktus entwickelt, kann damit Plagiatsvorwürfen entgehen.
Zum Verständnis, wie Künstliche Intelligenz konstruiert wird, hat mir das mit Humor und gut gewählten Vergleichen geschriebene Buch der Informatik-Professorin Katharina Zweig geholfen: „Ein Algorithmus hat kein Taktgefühl – Wo Künstliche Intelligenz sich irrt, warum uns das betrifft und was wir dagegen tun können“
Informationen über den Textgenrator GPT-3
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