Es geht diesmal nicht darum, ob Gott existiert, sondern welche Funktionen Künstliche Intelligenz übernehmen wird. Liest man “Der Neue Gott” von Claudia Paganini, hält man ihre Analysen für Spekulationen einer Science-Fiction Autorin. Je weiter sie einen in den digitalen Kosmos einführt, desto mehr wird einem klar, dass es Realität ist. Es ist ja schon seit Corona Realität, dass allein das ZDF mehr Gottesdienstteilnehmer am Sonntagmorgen versammelt als Gläubige in den Kirchenbänken sitzen. Die Autorin beschreibt KI als die neue Software des Religiösen. Die Algorithmen analysieren nicht nur Röntgenbilder, sie therapieren bereits, können Exerzitien geben und auf Rückmeldungen der Übungen reagieren, Wie wird KI damit gott-gleich?
Religionsgeschichte mit Algorithmen parallelisiert
Die Autorin stellt zu jeder göttlichen Eigenschaft, z.B. „Gott, der Transzendente“ die polytheistischen und monotheistischen Vorstellungen dar und zeigt, wie Algorithmen das leisten, was früher einer Gottheit zugeschrieben wurde, Gott wird Allwissenheit zugeschrieben, schon die von Google zusammengestellten Listen führen zu der Überzeugung, eine Suchmaschine wisse alles, was man wissen kann. Allmacht wird mit militärischen Auseinandersetzungen in Beziehung gesetzt. Algorithmen steuern nicht nur Drohnen, sondern in Zukunft kämpfende Roboter gegeneinander. Sie können die Gott zugeschriebene Fähigkeit, wieder zum Leben zu erwecken, verstorbene Künstler durch Bearbeitung von Bild- und Tondokumenten auf dem Bildschirm auftreten lassen. Es ist zwar nur der Bildschirm, aber der Effekt ist der Eindruck, die Person sei gar nicht gestorben.
Die Macht liegt in der Nutzung
Algorithmen werden wie selbstverständlich zur Alltagswelt gehören. Das Handy dafür tragen wir bereits als 6. Sinn mit uns, es verbindet uns mit einer allwissenden, allgegenwärtigen, allmächtigen, Gerechtigkeit garantierenden, fürsorglichen Intelligenz. Da diese neue Göttin nicht die Zeit vermehren kann, nimmt sie Anderem die Zeit weg. Je mehr sie „kann“, desto weniger Zeit bleibt für die anderen. Da sie nicht nur wie bisher Google Wissen zugänglich macht, sondern inzwischen auch therapieren, auf Fragen gezielt Lebensberatung anbieten kann und den Menschen viel näher ist als kirchliche Seelsorge, werden ihre Angebote entsprechend genutzt werden und die Nutzer im Alltag begleiten. Die Wirkung kommt nicht dadurch zustande, dass dies schon alles möglich ist, sondern dass es genutzt wird. Dieser selbstverständliche Gebrauch verlegt die Reflexion über Lebensfragen in den digitalen Kosmos. Dieser wird die Menschen endgültig vom Gebe abbringen. Darauf bereitet Tiktok die jungen Nutzer bereits vor, denn mit seinen Fotos und Videosequenzen bietet es Rezeption ohne Anstrengung.
durchschschlagende Wirkung
Nach der Lektüre legt man das Buch alles andere als erleichtert weg. Es steht bereits schon sehr viel ernster, seitdem ChatGPT die Bühne betreten hat. Auf jeden Fall ist die katechetische Epoche zu Ende, in der man meinte, durch möglichst viele Erklärungen Religiosität zu erzeugen. Wenn die Kirchen noch irgendwie vorkommen wollen, muss etwas alternativ angeboten und konkret gemacht werden. Alles, was körperlich getan werden muss, ist eine Alternative, so die Sakramente. Wenn die Ausbildungsstätten nicht auf die neue Kommunikationslandschaft vorbereiten, wird die Beteiligung auf unter 10% schrumpfen. Nicht weil die Säkularisierung weitergeht, sondern weil sich die Jüngeren in religiösen Fragen nicht mehr an diese Institutionen wenden.
Eine Post-ChatGPT-Publikation
Das Buch selbst setzt neue Standards für theologische Texte. Es ist linear aufgebaut, indem es auf den üblichen Apparat von Anmerkungen verzichtet. Damit untrbricht sie nich ihren Gedankengang. Die Autorin muss nicht zeigen, was sie alles gelesen hat. Es ist ein Buch nach ChatGPT, denn da kann man alles abfragen und muss sich nicht mehr durch die Listen der Suchmaschinen klicken. Zu publizieren lohnt sich nur noch, was noch nicht gedacht wurde. So braucht die Autorin für die Darstellung der 9 Eigenschaften Gottes jeweils nur 10 Seiten. Es wird zuerst der Umgang mit einer der als Funktionen zu verstehenden Begriffe in den polytheistischen und monotheistischen Religionen beschrieben und dann, wie diese Funktionen durch Künstliche Intelligenz abgedeckt werden.
Die mitschwingenden theologischen Themen
Die Autorin weist im letzten Kapitel darauf hin, dass die KI ein Geschöpf der Macher ist und deren Welt- und Religionsverständnis transportiert. Das kann auch ein teuflisches sein. Wendet man diese Überlegung der Autorin auf ihr eigenes Buch an, dann schwingt dort die Theodizeefrage im Hintergrund mit. Eine solche Metaanlyse wird KI dier Theologie nicht wegnehmen. Nämlich zu reflektieren, welches Gottesverständnis ein von einer Maschine erstellter Textsie implizit vermittelt.
Dafür braucht es solche Bücher. In 10 Jahren wird man spätestens sagen, dass Claudia Paganini die Augen für die völlig neue Gestaltungsebene von Religion geöffnet hat. Dem Verlag ist zu danken, dass er uns Lesern das hete schon ermöglicht. Deshalb wird es Herder auch in 10 Jahren weiter geben. Denn was könnte der Gegenpol zu KI sein? Bücher, die nicht von ChatGPT geschrieben wurden.
Link: KI-was bleibt noch für die Geisteswissenschaften?
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