Aufklärung heißt in England Zeitalter des Lichts. Die Gotik war bereits ein solches Zeitalter. Foto: hinsehen.net

Kant, Aufklärung und die katholische Variante

Der wichtigste Denker der Aufklärung war Immanuel Kant, der den Zustand vorher als „selbstverschuldete Unmündigkeit“ bezeichnete. Der Mensch solle es wagen, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Im 21. Jahrhundert kann man berechtigterweise die Frage stellen: Ist die Aufklärung ein gescheitertes Projekt? Diente die Aufklärung nicht der aufstrebenden urbanen Mittelschicht als Machtinstrument, wie es Philipp Blom formuliert? Kritisch angemerkt kann werden, dass Immanuel Kant streng pietistisch erzogen worden war und deutliche Züge einer Zwangsstörung hatte. Wie – so ließe sich als ein philosophisches Experiment fragen – wäre eine Aufklärung zu denken, die von einem katholischen, das Leben genießenden Philosophen entwickelt wurde?

Das Werk eines Philosophen durch seine Biografie zu erklären, schmälert keineswegs die Bedeutung seiner Ideen und Gedanken. Die zweibändige psychoanalytische Studie über Goethe von K. R. Eisler hat den deutschen Dichterfürst keineswegs entlarvt oder bloßgestellt. Im Gegenteil, die Lektüre der Studie macht neugierig und bietet eine lebensnahe Deutungsvariante an, die das Werk neu und anders erschließen lässt. Und die wohl beliebteste Einführung in das Denken wichtiger Philosophen, „Die philosophische Hintertreppe“ von Wilhelm Weischedel, beginnt jeweils mit den biografischen Anekdoten, um auch damit die Philosophie zu erklären.

Der Protestantismus der Aufklärung

Kant wuchs in einem pietistischen Umfeld auf, seine Mutter war fromm und sorgte dafür, dass ihr Sohn Immanuel das Collegium Fridericianum besuchen konnte, das von dem pietistischen Theologen Schultz geleitet wurde. Später war sein Tagesablauf zwanghaft geregelt und diszipliniert.  Wie eine bekannte Anekdote berichtet, sollen die Königsberger Bürger ihre Uhren nach ihm gestellt haben. Er nahm auch nicht mehr als zwei Pillen pro Tag ein, selbst wenn es ärztlich dringend geraten war. Kant lüftete sein Zimmer nicht, weil er der Überzeugung gewesen war, dass Lüften die Vermehrung von Wanzen fördern würde. Diese Hartnäckigkeit und Strenge mit sich selbst fügt sich zu dem Bild, was man von strengen Pietisten hat. Seine philosophischen Schriften enthalten einige Anspielungen auf Erfahrungen, die sein zwanghaftes Wesen kennzeichnen. Ebenso kann man auch seine Handlungsanweisung verstehen, die auf der Unbedingtheit des „Du sollst!“ beruht. Das bekannte Beispiel vom Verbot der Lüge, auch wenn damit ein Mensch in Gefahr gebracht wird, könnte man sicherlich als zwanghaft deuten. Es ist wichtiger, einem Prinzip zu folgen als seinem Mitgefühl. Die Aufklärung trägt dieses Zwanghafte an sich. Die Vernunft mag zwar von der Unmündigkeit befreien, doch ersetzt sie nicht das Wollen. „Diese aufklärerische Vernunft ist die säkularisierte Version der Seele, die sich von der Schlacke des Körpers befreien muss, um gereinigt in den Himmel aufzusteigen.“ (Philipp Blom, 2017. Was auf dem Spiel steht. Karl Hanser: München) Und nach Philipp Blom muss die Frage gestellt werden, ob die Aufklärung nicht dafür mitverantwortlich ist, dass aus dem seine Vernunft gebrauchenden mündigen Bürger der „mündige“ Konsument wurde, der nur glaubt eine Kaufentscheidung zu treffen, weil er seinen Verstand gebraucht.

Aufklärung auf Katholisch

Stellt man sich vor, Kant wäre katholisch und beispielsweise in Köln Professor gewesen, dann hätte er den Satz philosophisch korrekter, aber vom Sinn her gleich formuliert: Prinzipien sind wie Fürze, man muss sie ab und zu fahren lassen. Er hätte Karneval albern gefunden und gleichzeitig bei der Sitzung im Gürzenich mitgeschunkelt. Das Gefühl hätte er vor die Vernunft gestellt, wenn es gerade mal so schön ist. Vernunft ist nicht alles, das hätte ein katholischer Kant in Köln gelehrt. Katholisch bedeutet Aufklärung, darüber aufzuklären, dass nicht alles aufgeklärt werden sollte. Und dass das Aufzuklärende als Geheimnis viel schöner ist. Die Idee einer Aufklärung verschließt sich dem Katholischen. Es bleibt das Wissen um die Kleingläubigkeit, das Beharrenwollen am Volkstümlichen. Der Katholik kennt die selbstverschuldete Unmündigkeit, wenn er steif dabeisitzt. Er geht das Wagnis ein, einfach mitzumachen. Er folgt nicht einem vernünftigen Entschluss, sondern der Überwindung seiner Trägheit oder seinem Verzagtsein. Die Kernthese der katholischen Aufklärung ist die innere Gewissheit, dass eine Handlung sich im Tun wandelt. Daher sind das Erstellen von Prinzipien oder Regeln, die vernünftige Entscheidung oder das intensive Durchdenken kein Garant für die Zufriedenheit über das Ergebnis. Die Maxime des Handelns ist nicht daran ausgerichtet, ob alle anderen auch so handeln könnten. Entscheidend ist, dass man das Gute zulässt. Steuern kann man das nicht, man kann nur offen für die Möglichkeit sein, dass sich am Ende alles zum Guten wendet. Der kategorische Imperativ, von einem katholischen Kant aufgestellt, könnte lauten: Handle so, dass die Maxime deines Handelns von dir verantwortet wird und lass dich auf das ein, was passiert.


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