Der Lockdown der Coronakrise wirft vor allem die Risikogruppen, die nach wie vor die Vorgaben einhalten sollen und es auch strikt tun in eine innere Krise. Sie geraten in ein Vakuum, das gefüllt werden will - aber womit? Bücherwürmer, die ihre Zufriedenheit aus Wissen schöpfen, Einzelgänger, die sowieso gut mit sich alleine klarkommen, oder diejenigen, die noch über Homeoffice die Welt draußen am Laufen halten können, müssen daran wohl nicht so stark leiden
Auf mich verwiesen
In diesem Vakuum bin ich, wenn ich auch noch alleine lebe, nur noch mit mir zusammen. Wenn ich alle Kontakte meide, bin ich den ganzen Tag mit mir alleine konfrontiert. Viele Dinge, die mein Leben bisher bestimmt haben, „gehen“ nicht mehr. Wenn ich mich aber Tag für Tag nur damit beschäftige, was mir fehlt, wenn es nur um mein Ego, mein Ich geht, das sich ausleben will, aber nicht kann, dann wird die Vereinzelung noch größer. Wie kann ich dem entkommen? Ist die Coronazeit eine verlorene Lebenszeit für mich, weil ich gerade nicht vereisen oder meine Lieben und Freundinnen nicht sehen, nicht wie früher mich mit anderen „normal“ treffen kann? Muss ich mit meinem „Leben“ warten bis Corona vorbei ist? Das Vakuum fordert mich heraus, Erfahrungen der Stille, der Leere zuzulassen.
Achtsamkeit einüben
In der Stille sein, meditieren, achtsam den Atem verfolgen, das kann ich dank meiner Yogalehrerin Petra jeden Tag einüben, weil ich mich jetzt in der Coronazeit online in ihre Yogastunden einklinken kann. Das hilft mir sowohl für meine Tagesstruktur als auch in der Einübung von Achtsamkeit für das, was gerade jetzt passiert. Nicht gestern oder morgen ist da gefordert, nicht der tägliche Kleinkram, sondern meine innere Aufmerksamkeit darauf zu lenken, was gerade ist. Die Gedanken nicht abschweifen lassen, dem eigenen Atem folgen. In der Beobachtung zu bleiben, ist ziemlich schwierig für mich. Immer wieder ertappe ich mich dabei, dass ich aussteige. Entweder denke ich darüber nach, was ich noch erledigen will oder welches Thema ich beim nächsten Mal für hinsehen.net schreiben kann, dass ich noch die Waschmaschine ausräumen muss. Ich lasse Gedanken über Nichtigkeiten zu, die mit Yoga nichts zu tun haben.
Im Jetzt sein – tiefer leben
Es geht aber beim Yoga nicht ums Denken, sondern darum, das Jetzt in meinem Körper ohne Bewertung wahrzunehmen, mich auf den Atem zu konzentrieren, ganz in meiner Mitte zu sein. Yoga ist eine Pause für meine linke Hirnhälfte, in der das Denken wie der Verstand sitzen. Wenn ich im Denken bleibe hindert es mich daran, in meine Innerlichkeit, wie in die Tiefe zu kommen. Weg von der Grübelei. Nur wenn ich den Augenblick achte, beobachte, spüre, was ist, bin ich im Jetzt. Darin liegt die Chance, meine rechte Hirnhälfte zu aktivieren und gleichzeitig meine linke zu entlasten, damit das Gehirn neue Verbindungen knüpfen kann. Diese sind für neue Ideen notwendig. Es braucht Übung, um die Achtsamkeit auf das, was ich spüren und in mir beobachten kann, aufzubringen. Aber gleichzeitig kann ich erleben, dass dieses Üben mich in tiefere Erfahrungsräume hineinlässt. Ich kann in eine andere Sphäre eintreten. Da wird das Vakuum irgendwie gefüllt. Ich spüre mich zugehörig zu einem großen Ganzen. Zerfließe geradezu wie in einem Fluss. Ich bin nicht nur mein kleines Ich, das sich egoistisch um sich selbst dreht, sondern verbunden mit allem. Ich scheine mich wie eine dritte Person von außen zu beobachten. Da fehlt mir nichts. Solche Erfahrungen mache ich auch, wenn es gelingt, mich in meinem Garten nur auf das einzulassen, was gerade um mich herum geschieht. Mir hilft diese Erfahrung, mich im Alleinsein nicht einsam zu fühlen. Mich verbunden zu wissen mit den Menschen und dem Kosmos. Das heißt nicht, dass mir nicht wie vielen anderen auch meine tatsächlichen Begegnungen fehlen. Aber es lässt sich besser aushalten.
Meditation
Schon die Weisen, die spirituellen Lehrer weltweit aus den verschiedenen Religionen haben Meditationsformen gefunden, mit denen sie in tiefere Erkenntnisebenen eintreten konnten. Meditation kann auch mir gerade in dieser Auszeit helfen, mich nicht damit zu beschäftigen, was im Augenblick alles nicht geht, sondern mich innerlich mehr mit der Welt zu verbinden.
Pater Steindl-Rast, ein Benediktiner-Mönch, Eremit und spiritueller Lehrer beschreibt über die Selbstfindung folgendes:
Das Ich, das sich nur mit sich selbst beschäftigt, vereinsamt immer mehr. Es geht darum, im einzigartigen, sehr wertvollen Ichsein das Selbst zu entdecken. Das Selbst in uns zu finden, was uns mit allen anderen verbindet. Es gibt nur ein Selbst auf der Welt, das sich in vielen Ich`s ausdrückt. Die vielen Ich`s leben in der Gemeinschaft des Selbst. Wenn das Ich aber vergisst, dass es nur eine Ausdrucksform des großen Selbst ist, in dem alle Ich`s vorkommen, schrumpft es zu einem kleinen egoistischen Ego, das durch Angst, Furcht, Aggression und Konkurrenzkampf gesteuert wird.
Nach der Aussage von Steindl-Rast ist unsere Gesellschaft, die wir geschaffen haben eine Ego Gesellschaft, mit all den Folgen, die damit verbunden sind.
Sich lebendig fühlen
Die Coronakrise, die mir die Ablenkungen von außen nimmt, gibt mir die Chance, mehr nach innen zu wachsen. Tiefere Dimensionen meines Seins in der Welt zu spüren, mich im großen „Ganzen“ im Selbst mit Mensch und Natur zu erleben. Es fühlt sich lebendig und irgendwie richtig an. Vielleicht ermöglicht Corona damit auch die Umkehr in ein vertieftes Leben nach der Krise.
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