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Gott wohnt nicht im Gehirn

Die Vorstellung von Gott lautet: Er muss im Gehirn sitzen. Deshalb müsste die Hirnforschung die Region finden, die die Vorstellung von Gott hervorbringt. Die bisherigen Forschungsergebnisse geben wenig her. Deshalb führen uns Berichte von Menschen die Nahtoderfahrungen hatten an die Grenze, die wir alle einmal überschreiten. Deshalb ist der Band "Wohnt Gott im Gehirn" von Hans Goller kein Fachbuch der Neurowissenschaften, sondern sollte jeden Leser interessieren.

Das Buch kann auch deshalb empfohlen werden, weil es in einer flüssigen Sprache verfasst ist, ohne den vertrackten Wissenschaftsjargon, der mit möglichst vielen Anmerkungen aufwartet, ohne dass der Autor zu einer Aussage kommt, die den Leseaufwand lohnt. Anderes hier. Der Leser wird sicher in flüssiger Sprache durch die Vielfalt der Forschungsergebnisse und die dabei auftretenden Fragen geführt. Zudem garantiert der Titel eine Leseerfahrung, die den Reiz eines gedruckten Werkes erfahren lässt, nämlich eine große Schrift, sorgfältiger Satz und ein Literaturverzeichnis, das zur weiteren Lektüre reizt. Wäre nicht der Umschlag, der unter Verwendung des Klinik-typischen Blaus weniger zu einer Entdeckungsreise ins Bewusstsein lockt. Zwei wichtige Erkenntnisse seien herausgestellt:

Die Messinstrumente können keine Gedanken lesen

Die Beobachtung der Hirnströme zeigt, dass Meditation weniger ein emotionaler als ein geistig- erkenntnismäßiger Vorgang ist. Untersucht wurden Ordensfrauen und tibetische Mönche bei der Meditation. Überrascht ist der Leser, wie mager die Ergebnisse der Vorgänge im Gehirn sind, die mit den modernen Verfahren beobachtet werden können. Eigentlich lässt sich nur feststellen, welche Hirnregionen mehr durchblutet werden. Einen Einblick in die direkte Interaktion der Neuronen leisten die Beobachtungsinstrumente nicht. Die Behauptung einiger Forscher, die Gottesvorstellung würde vom Gehirn hervorgebracht und sei durch das Zusammenspiel der Nerven voll erklärbar, kann mit den zur Verfügung stehenden Messinstrumenten weder belegt noch widerlegt werden. Zudem bleibt die Grenze, die dem Messen von außen gesetzt ist. Denn aus den kleinen elektrischen Impulsen lässt sich nur erkennen, dass die Nervenzellen aktiv sind. Was der Mensch aber denkt, welche Vorstellungen er entwickelt, kann aus den Milliarden elektrischen Impulsen nicht abgelesen werden. Deshalb bleibt die Forschung auf das angewiesen, was Menschen berichten.

Nahtoderfahrungen ereignen sich bei abgeschaltetem Gehirn

Menschen berichten, dass sie von oben zusehen konnten, wie sie operiert wurden. Diese Erfahrungen gehen so weit, dass bei Herzstillstand eine Lichterfahrung gemacht wird, mit der die Patienten in eine neue Welt eintreten, Verstorbenen begegnen und von diesen wieder in ihren Körper zurückgebracht werden. Diese Erfahrungen sollen hier nicht weiter beschrieben werden, denn sie lohnen die Lektüre, weil sie nicht nur vom Autor gut ausgewählt sind, sondern den Leser darauf vorbereiten, was ihm vor dem Schritt über die Todesschwelle erwartet. Dem Tod wird durch diese Berichte der Schrecken genommen. Es soll nur der These mancher Hirnforscher nachgegangen werden, auch diese Erfahrungen würden von den Hirnzellen erzeugt. Da diese Erfahrungen nicht von allen Patienten gemacht werden, bei denen ein Herzstillstand eintritt und bei einer Operation gewöhnlich die Hirnströme nicht beobachtet werden, kann die These aufrecht erhalten werden, das Gehirn sei der Urheber dieser Bilder und des Gehörten, von dem die Patienten berichten. Wenn jedoch bei einer Hirnoperation das Gehirn gänzlich "abgeschaltet" wird und das Enzephalogramm die Null-Linie erreicht, können solche Erfahrungen nicht vom Gehirn erzeugt werden. Der Autor kann über eine Patientin berichten, die bei einer solchen Operation die Nahtoderfahrungen gemacht hat, von denen andere bereits berichtet haben, ohne dass deren Hirnströme gemessen wurden. Allein diese wenigen Seiten, S. 240ff, lohnen die Lektüre, weil sie einen Ausblick geben, wie man auf die Todesschwelle zugeht und warum die Menschen in dieser anderen Welt bleiben wollen.

Für die Frage, ob das Gehirn die Gottesvorstellungen hervorbringt, ergeben die Nahtoderfahrungen sowohl eine empirische Aussage und bringen zum anderen die philosophische Durchdringung des Problems eine großen Schritt weiter:

Das Bewusstsein ist vom Gehirn ablösbar

Wenn eine Patientin, deren Hirnaktivitäten nachweislich ausgeschaltet wurden und die daher klinisch tot war, sogar Gespräche des Operationsteams, die sie von außerhalb, auf ihren Körper blickend mitbekommen hat, wiedergeben kann, dann ist unser normales Bewusstsein an die Gehirnvorgänge gebunden, kann sich aber von ihnen lösen, ohne dass die Patienten ihr Ich-Bewusstsein verlieren. Das führt zu der Frage, was die Behauptung eigentlich behauptet, unser Gehirn würde uns eine jenseitige Welt vorspiegeln.

Unser Gehirn täuscht sich nicht selbst

Die These, religiöse Vorstellungen würden uns nur von unseren Neuronen vorgegaukelt, verlangen ja ein Selbstbewusstsein, das sich über sich selbst täuscht. Aber welchen Täuschungen unterlegen Hirnforscher, wenn sie andere Gehirne untersuchen. Dann sehen sie ja nicht in das andere Gehirn eines anderen, sondern sind auf ihre eigenen Gehirnvorgänge verwiesen, die erst aus den Sinneswahrnehmungen die Beobachtung "erzeugen". Sie können mit Recht davon ausgehen, dass das, was ihr Gehirn ihnen zu erkennen gibt, mit der Wirklichkeit des anderen Gehirns zu tun hat. Wenn dann Menschen von Erfahrungen berichten, die sie außerhalb ihres Körpers gemacht haben, dann berichten Sie ja nach ihrer Reanimation auf der Basis von Gehirnvorgängen. Diese Vorgänge sollen dann eine Täuschung sein. Jedoch können Menschen mit solchen Nahtoderfahrungen Gesprächsfetzen und sogar eine genaue Beschreibung von Instrumente wiedergeben, die vor der Operation mit einem Tuch zugedeckt waren. Der Autor fragt mit Recht, wer das Selbst ist, was hier getäuscht wird, s. 259. Er treibt aber die Frage nicht weiter, ob dieses Selbst auch nur eine Gehirnfunktion ist und damit das Gehirn sich sozusagen selbst etwas vorspiegelt. Oder ist das Selbst nicht etwas, das nicht nur Körper und auch nicht nur Geist ist, so dass wir sowohl unser Denken wie die Nahtoderfahrungen als zu von uns "erlebte" erleben und zugleich den Körper als zu unserem Selbst gehörig fühlen. Die christliche Theologie wurde auf diese Frage gestoßen, als sie klären musste, ob Jesus eine menschliche Seele hatte. Die erste Annahme, dass anstelle der menschlichen Seele der Logos, der Sohn Gottes anstelle der menschlichen Seele den Körper belebt. Die Evangelien legen nahe, dass Jesus kein verkörperter Gott war, sondern ganzer Mensch der mit der Person des Sohnes Gottes identisch ist. Diese Fragen könnten heute neu angegangen werden und unsere Vorstellung vom Menschen erweitern. Goller weist auf das Buch von Günter Ewald hin, der die Hirnforschung auffordert, die alten physikalischen Modelle hinter sich zu lassen und bei der Quantenphysik ein angemesseneres Verständnis der menschlichen Leiblichkeit zu suchen.

Eckhard Bieger

Hans Goller Wohnt Gott im Gehirn?: Warum die Neurowissenschaften die Religion nicht erklären 

Ewald, Günter, Auf den Spuren der Nahtoderfahrungen, Kevelaer 2012 

Zum Personbegriff und der Leib-Seele-Frage in der frühen christlichen Theologie

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Kategorie: Gelesen

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