Sich von Gott erfassen lassen Foto: hinsehen.net E.B.

Gott gibt es nicht wie z.B. einen Stern

Gott gibt es nicht wie ein etwas, das man sich gegenüberstellen könnte. Wir können ihn nicht wie eine Tierart bestimmen, um ihn dann zu fotografieren. Er ist auch nicht Ergebnis einer mathematischen Gleichung, die einen Anfang des Kosmos, den Urknall errechnen lässt. Für Gott kann nur das unbestimmte "ist" gelten. Gott erfassen zu wollen, hat ja zum Atheismus geführt, der fragt: Wo ist er denn. Ein anders Denken entwickelt Ahad Milad Karimi, das sowohl dem christlichen Denken über Gott, sondern wohl auch dem Buddhismus nahe kommt. Ob er islamisches Denken vermittelt, ist allerdings fraglich.

Wenn es Gott gäbe, so wie wir Atomteilchen, Milchstraßen, Lebewesen benennen, dann wäre er eben ein Gegenstand neben anderen. Aber es gibt keinen Standpunkt außerhalb Gottes, von dem ein Geschöpf beurteilen könnte, ob es ihn gibt. Die Forderung nach einem empirischen Beweis für die Existenz dieses "Gegenstandes" setzt ja voraus, dass Gott wie die größte Substanz gedacht wird, neben der es noch kleine Substanzen gibt. Dieses Substanzdenken, lange gepflegt von christlicher Philosophie, kann dann nur zu dem Gedanken führen, diese Substanz irgendwie auszumachen. Ahmad Milad Karimi zeigt in "Warum es Gott nicht gibt und er doch ist," wie wir in die Irre gehen, wenn wir Gott so zur Sprache bringen, wie wir es mit den Alltagsdingen und anderen Menschen tun. Er legt ein Sprachtraining vor, wie wir uns Gott nähern können und verbindet es mit dem Koran. Karimi, afghanischer Herkunft, lehrt Islamwissenschaften in Münster. Sein Buch ist kein Buch über den Islam, auch nicht über den Koran, sondern wie wir denken können, wenn wir über Gott sprechen. Von christlicher Seite hat man einen solchen Gedankengang lange nicht in dieser intellektuellen Durchführung in Händen gehalten.

Gott umfasst alles und wird nicht Teil des Ganzen

Weil es keine menschlichen Denkwerkzeuge gibt, um Gott angemessen zur Sprache zu bringen und keinen, wie von der Wissenschaft gefordert, unabhängigen Punkt, von dem sich der Mensch ein Urteil über Gott bilden könnte, können nicht der Glaubende, sondern auch der denkende Religionsphilosoph und der von Gott sprechende Theologe Gott nur auf sich zukommen lassen. Aber warum dann ein Buch von 222 Seiten?
Weil das Denken bewegt wird, leidenschaftlich, wie der Autor es selbst betreibt. Die menschlichen Denkwerkzeuge können Gott nicht im Denken einschließen, vielmehr ist das Leben ein ständige Beziehung zu Gott, der das Leben und die es ermöglichende Welt nicht nur geschaffen hat, sondern durchdringt. Denn Gott ist dem Menschen näher als dieser sich selbst. Der Koran sagt es mit dem Bild der Halsschlagader, noch näher als diese ist Gott dem Menschen. In seinem Verhältnis zu Gott befindet sich der Mensch in einem Schwebezustand der Unbestimmtheit.

Unser Denken über Gott braucht die Vordenker aus der Tradition

Das Denken wird noch in einem anderen Spannungszustand gehalten, nämlich durch die Tradition, die es erst zum Denken gebracht hat. Unser Denken kann diese Tradition nicht abschütteln. Zugleich ist es von der Zeit gefordert, sonst erstirbt das Widerständigkeit, das Ungewohnte, das Fordernde in der Religion. Eine treffende Zustandsbeschreibung findet sich auf S. 136. "Immer dann, wenn sich die Religion der Zeit ausgeliefert hat, den Fängen des Gewohnten und Gemütlichen, wenn sie nur noch als gefügiges Glied in der Kette der Ereignisse ihrem Geschäft - denn mehr ist es dann auch nicht - nachgegangen ist, war sie bereits ihrer Natur beraubt und schlug dann auch häufig in Unheilvolle und Pervertierte um."
Diese Feststellung gilt aus der Sicht des Autors auch für den Islam. Aber gilt das auch für die Grundannahme des Autors, diese Unfassbarkeit Gottes sei die zentrale Aussage des Korans? Der Autor entwickelt seinen Diskurs nämlich nicht aus dem Koran heraus, sondern im Gespräch mit der westlichen Philosophie. Insofern ist sein Buch keine Auslegung des Korans, sondern ein Denkweg mit westlichen sowie muslimischen Denkern. Bei den muslimischen Theologen muss der Autor in der Geschichte weit zurückgehen. Während die Erwähnung westlichen Autoren mit Kant beginnt, lebten die muslimischen Denker, die der Autor heranzieht, vor 1300. Diese Blütezeit islamischen Denkens, wurde mit der Zerstörung Bagdads durch die Mongolen1258  beendet. Seitdem gilt die wörtliche Auslegung des Korans. Gerade das, was der Autor beschreibt,  gilt ja nicht für die heutige Auslegung des Korans, sondern ist der in Judentum und Christentum geübte Umgang mit den zentralen Texten.  Karimi schriebt: "Denn der Koran ist ein geschichtliches Phänomen. Er ereignet sich nicht außerhalb der Geschichte ...(er) ist selbst als  eine Geschichte zu betrachten, die den Zug ins Weite weckt, die weitergeht, die Geschichte macht. Der Koran ist entschieden, progressive Revolte gegen eine autoritäre Haltung, die (auf-)bewahren, konservieren und archivieren will, was abhanden und verloren gehen könnte. Die Heilsgeschichte, die Botschaft des Korans, was der Koran in seiner Essenz will, bricht allein aus und mit der Interpretationsgeschichte hervor. Eine Offenbarung, die nicht festgeschrieben ist, sieht ihre Botschaft weder als eine Lehre an, die gleichsam hinter ihr liegt, aber stets neuninterpretiert wird, noch als eine Lehre, die ein für alle Mal gegeben ist." Diese Maßgabe lässt sich seitens des christlichen Religionsverständnisses voll übernehmen, sie bezieht sich aber nicht auf die Bibel, sondern auf Christus, der diese Offenheit und Unabgeschlossenheit durch die Gegenwart seines Geistes bewirkt. Ein Buch ist nun mal etwas Fertiges, es ist nicht der Buchstabe, sondern der Geist, der lebendig macht.
Und wird der Koran von den Muslimen nicht als etwas Abgeschlossenes betrachtet, das wörtliche Gefolgschaft fordert. Ist es nicht dieses betonartige Koranverständnis, das die Muslime seltsam stumm bleiben lässt, wenn ihre Religion mit spektakulären Gewalttaten auf die Fernsehschirme gebombt wird. Diesen Islam kritisiert der Autor als Perversion der Religion (S. 149ff) Aber warum gibt es nur den Staatsakt für den französischen Polizisten, der sich als Geisel hat nehmen lassen und erfordert wurde. Wo bleibt eine bildmächtige Gegeninszenierung des Islam? Sie schauen wahrscheinlich der Zeremonie zu und tun nichts gegen die Zerstörung ihrer Religion.

Ein erstaunliches, ein lesenswertes Buch, ja eine Pflichtlektüre

So fraglich die Erwähnung des Koran im Diskurs des Autors ist, sein Buch betreibt unabhängig von seinem Koranverständnis einen Diskurs, dem sich nicht nur Philosophen und Theologen, nicht nur Prediger und Religionslehrer unterziehen sollten, sondern alle, die nach einer Predigt, einer Fernsehsendung, einem Artikel sich fragen, ob da tatsächlich von Gott die Rede war. "Der besondere Reiz Gottes zeigt sich dadurch, dass wir - indem wir um ihn ringen, mit ihm hadern, ihn leugnen und wiederum in Hingabe uns niederwerfen, aufstehen und klagen, nach ihm rufen oder ihn anschweigen - in allem, was wir tun, selbst ergriffen sind." S. 133

Ahmad Milad Karimi, warum es Gott nicht gibt und er doch ist, Herder, Freiburg 2018, 222 S.

 

 



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